Lukas Ziegler ist elf, Thomas Schori 57 Jahre alt. Die beiden kennen sich nicht und wohnen auch nicht im selben Kanton. Und doch verbindet sie etwas: Sie haben sich während einigen Lektionen in der Schule für Swissaid engagiert – eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für nachhaltige Entwicklung im globalen Süden einsetzt. Der Klassenlehrer von Lukas hatte die Schülerinnen und Schüler im vergangenen Jahr gefragt, ob sie Abzeichen verkaufen möchten. Fazit: «Alle wollten dabei mitmachen», sagt Lukas. Bei Schori ist es über vierzig Jahre her, seit er als Oberstufenschüler von Haustür zu Haustür gegangen und für Swissaid Abzeichen verkauft hat. «Die ganze Klasse musste mitmachen. Man erklärte uns, es sei für einen guten Zweck und man könne damit vielen Menschen helfen», sagt Schori.
Hilfe im Nachkriegseuropa
Der Abzeichenverkauf für Swissaid durch Schülerinnen und Schüler hat eine lange Tradition. Seit 75 Jahren gehen Schweizer Schulkinder von Haustür zu Haustür und sammeln Geld für die Nichtregierungsorganisation. 1948 wurde Swissaid als Schweizer Europahilfe gegründet. Es war damals der Wunsch des Bundes, dass die Schweiz im Nachkriegseuropa Hilfe leistet und dass diese Unterstützung finanziell von der ganzen Bevölkerung mitgetragen wird. Ab den 1960er-Jahren engagierte sich die einstige «Schweizer Europahilfe» dann als Swissaid vor allem in den Ländern des Südens.
Swissaid ist heute eine von vielen NGOs, welche die Schule für sich entdeckt haben. Der Verein «Lernen durch Engagement» präsentiert auf seiner Website eine Reihe an Beispielen für sogenanntes Service Learning: Da sammeln Sechstklässlerinnen und Sechstklässler aus Granges mit diversen Aktionen Geld für den Bau einer neuen Schule im indischen Ladakh. In Wil verkaufen Schulkinder einer Eingliederungsklasse selbst gepressten Apfelsaft zugunsten einer Schule in Kongo und die Zweitklässlerinnen und Zweitklässler erhalten durch viele kleine, gute Taten Geld für Erdbebenopfer in Japan.
Organisationen binden Schulklassen aber nicht nur für Sammlungen ein, sondern kreieren auch eigene Unterrichtsangebote oder stellen Material und Unterrichtsinhalte zu diversen Themen zur Verfügung. Es stellt sich jedoch die Frage: Wie weit darf sich eine Schule von einer Organisation einspannen lassen und wo liegt die Grenze?
Kein Engagement im «luftleeren Raum»
Daniel Ingrisani ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule Bern. Er sagt: «Verboten ist ein solches Engagement für NGOs durch Schulklassen nicht, es gehört aber auch nicht explizit zum Bildungsauftrag.» Ingrisani hat als Junglehrer selbst mit seinen Klassen für NGOs Geld gesammelt. «Bei mir sind solche Engagements meistens im Projektunterricht entstanden. Das heisst, die Schülerinnen und Schüler haben sich nicht nur vertiefend mit der Thematik auseinandergesetzt, sondern damit auch verschiedene Fachbereiche berührt.»
«Verboten ist ein solches Engagement für NGOs durch Schulklassen nicht, es gehört aber auch nicht explizit zum Bildungsauftrag.»
Problematisch sei das Engagement einer Schulklasse für eine Organisation oder die Verwendung von entsprechendem Unterrichtsmaterial dann, wenn das Ganze im luftleeren Raum stattfinde und sich keinerlei Berührungspunkte mit dem Unterricht ergeben. «Die NGO und ihr Anliegen, für das sich eine Klasse engagieren soll, müssen Thema sein im Unterricht», sagt Ingrisani.
In den Unterricht einbetten
Im Zentrum soll der Unterricht stehen. Das betont auch Christine Bänninger, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule FHNW mit Schwerpunkt Service Learning und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. «Eine Klasse kann sich durchaus für eine NGO engagieren. Dieses Engagement muss aber in den Unterricht eingebettet sein», sagt auch sie. Schülerinnen und Schüler sollten zudem anhand eines Engagements gezielt neue Kompetenzen erwerben können. «Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler nicht instrumentalisiert werden. Lehrpersonen dürfen der Klasse nicht ihre Meinung oder die einer NGO aufdrücken, sondern müssen sie befähigen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, unterschiedliche Haltungen zu diskutieren.»
Unreflektierte Engagements für Organisationen sollten in der Schule nicht stattfinden, sind sich Ingrisani und Bänninger also einig. Die Inhalte müssten von den Lehrpersonen kritisch angeschaut und didaktisch sinnvoll aufbereitet werden. Dann liessen sich mit gesellschaftlichem Engagement verschiedene fachliche wie auch überfachliche Kompetenzen erwerben.