Die Schweiz kennt den Gemeinde- und Kantonsrat, den Nationalrat, den Ständerat – und natürlich den Bundesrat, der dieser Tage neu bestellt wird. Was viele nicht wissen: Dass es auch Bürgerinnen- und Bürgerräte gibt. Die Teilnehmenden werden nicht an der Urne gewählt, sondern per Zufall ausgelost. Akademiker sitzen neben Handwerkerinnen, Romands neben Tessinerinnen, hier Geborene neben Zugewanderten. Aktuellstes Beispiel für einen Schweizer Bürgerinnen- und Bürgerrat: der Zukunftsrat U24. Dieser besteht aus 80 repräsentativ ausgelosten jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren. Der Rat hat das Ziel, Empfehlungen zu einem zukunftsrelevanten Thema zu erarbeiten und an die Öffentlichkeit zu tragen.
«In der Schweizer Politik sind junge Menschen deutlich unterrepräsentiert», sagt Che Wagner, Co-Projektleiter des Zukunftsrats U24. «Mit diesem Projekt wollen wir der Stimme der Jugend mehr Gehör verschaffen. Alle Jugendlichen können partizipieren, unabhängig von Geschlecht, Aufenthaltsstatus oder Bildungsweg.» Um dies zu ermöglichen, lancierte der Zukunftsrat eine Umfrage. Anfang 2023 wurden Jugendliche landesweit aufgefordert, relevante Themen einzugeben, die ihnen unter den Nägeln brennen. Eine Kommission hat die fünf relevantesten ausgewählt.
«Mit diesem Projekt wollen wir der Stimme der Jugend mehr Gehör verschaffen.»
Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern kantonaler Jugendparlamente und des Bundesparlaments zusammen. Dabei sind aber auch Organisationen wie die Pfadibewegung, UNICEF, Pro Juventute, das Schweizerische Rote Kreuz oder die Uni Zürich. Im Frühjahr 2023 wurde anhand einer repräsentativen Umfrage unter 20 000 Jugendlichen aus diesen fünf Themen eines ausgewählt: die psychische Gesundheit.
Nicht bloss heisse Luft
Dieser Politprozess orientiere sich an den Leitlinien für Bürgerinnen- und Bürgerräte der OECD – der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. So sei sichergestellt, dass die Thematik repräsentativ abgestützt und institutionell mitgetragen werde, erklärt Wagner. «Wir wollen nicht bloss heisse Luft produzieren, sondern etwas bewegen, bis hinein ins nationale Parlament.» Im Herbst hat der Zukunftsrat U24 in drei Wochenendsessionen über das Thema debattiert – und dazu 18 Empfehlungen erarbeitet. Die national relevantesten sind:
Nationales Präventionsgesetz:
Gefordert wird ein bundesweit einheitliches Vorgehen im Umgang mit psychischer Gesundheit, entgegen dem Flickenteppich aus kommunalen oder kantonalen Ansätzen.
Neues Schulfach «Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung»:
In der Schule werde zu wenig Aufklärungsarbeit geleistet. Um Resilienz zu fördern, sei ein entsprechendes Schulfach bereits ab Primarschulstufe unumgänglich.
Obligatorischer Kurs für Eltern:
Die ersten 1000 Tage sind für die psychische Entwicklung des Kindes entscheidend. Deshalb gibt es die Forderung nach einem (entwicklungs-)psychologischen Crashkurs für erstmalige Eltern.
Staatliche Regulierung von Social Media:
Die Digitalisierung übt grossen Einfluss auf die Psyche aus. Entsprechend sind Anbieter gesetzlich in die Pflicht zu nehmen.
Psychologische Standortbestimmung:
Während der obligatorischen Schule sollen alle Jugendlichen Anrecht auf eine Expertise zur individuellen psychischen Situation erhalten, -unabhängig von Herkunft und sozioökonomischem Status.
Am 23. November 2023 wurden die Forderungen in einer Resolution der Öffentlichkeit präsentiert. Danach wird sich zeigen, was der Zukunftsrat U24 tatsächlich bewirken kann. «Ein Treffen von Zukunftsrätinnen und Zukunftsräten mit Bundespräsident Alain Berset hat bereits stattgefunden», gibt sich Che Wagner zuversichtlich. «Ich bin überzeugt, dass der neue Bundesrat und das neue Parlament ein offenes Ohr für die Anliegen junger Menschen im Land haben.»