Hasen, Bären und andere Freunde

Warum Plüschtiere so wichtig sind

Viele Kinder haben ein Plüschtier, das sie immer bei sich tragen – sei es beim Arztbesuch, in den Ferien oder in der Kita. Das Kuscheltier spendet Trost und gibt Sicherheit. Umso mehr leiden Kinder, wenn sie es verlieren.

teddy bear sitting on a bench
Kuscheltiere sind von grosser emotionaler Bedeutung für Kinder. Sie unterstützen auch beim ersten Abslösungsschritt von der Mutter. Foto: iStock/Sergey Fedoskin

Laurin kuschelt sich im Hotelzimmer aufs Sofa. Ein aufregender Tag liegt hinter ihm. Er war mit Mama, Papa und seiner kleinen Schwester Melina auf einer Wanderung in den Bergen. Dort hat er schneebedeckte Gipfel gesehen, ist auf einem Spielplatz herumgetobt und mit einer Seilbahn gefahren. Mit dabei war auch der Plüschhase Stefan. Laurin trug ihn während der ganzen Wanderung bei sich, damit auch der Hase die Berglandschaft geniessen konnte. Plötzlich schreckt Laurin vom Sofa hoch. Wo ist Stefan überhaupt? Laurin kann ihn nirgendwo entdecken. Er rennt weinend zu Mama, die das ganze Hotelzimmer auf den Kopf stellt. Stefan bleibt unauffindbar. «Wir haben ihn auf dem Berg vergessen», merkt Mama plötzlich.

Diese Szene stammt aus dem Bilderbuch «Stefan, wo bist du?» von Nadine Gerber. Die Autorin hat sich vom Alltag inspirieren lassen: Ihr Sohn hat ein Lieblingsplüschtier namens Stefan, das öfters verschwindet, aber immer zurück nach Hause findet. Es sind Momente, wie sie in vielen Familien täglich vorkommen. Doch warum hängen Kinder so an ihrem Plüschtier?

Kuscheltiere helfen bei Übergängen

Für den englischen Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott (1896–1971) waren Plüschtiere sogenannte Übergangsobjekte. In den ersten Lebensmonaten hat ein Säugling noch kein Bewusstsein des eigenen Körpers. Das Baby empfindet die Mutter und den eigenen Körper als etwas Ganzes, Unzertrennliches. Ab einem Alter von etwa vier Monaten ändert sich dieser Zustand. Das Kind beginnt dann gemäss Winnicott, sich und die Mutter als eigenständig wahrzunehmen. In dieser Phase gewinnen Gegenstände wie Plüschtiere, Schmusedecken oder Puppen an Bedeutung. Das Kind projiziert die Beziehung zur Mutter auf ein Objekt – das sogenannte Übergangsobjekt. Es unterstützt das Kleinkind beim ersten Ablösungsschritt von der Mutter.

«In emotional aufwühlenden Situationen spenden Kuscheltiere Trost. Sie helfen Stress zu regulieren.»

Plüschtiere haben daher eine grosse emotionale Bedeutung für Kinder. «Das Kuscheltier gibt dem Kind Sicherheit und Halt», sagt Daniel Schmerse, Leiter Professur Kindliche Entwicklung und Sozialisationsprozesse an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz. «In emotional aufwühlenden Situationen spenden Kuscheltiere Trost. Sie helfen Stress zu regulieren, beispielsweise wenn das Kind in der Kita zum ersten Mal von den Eltern getrennt ist.» Somit seien Kuscheltiere für ein Kind mehr als nur Spielzeug. Sie sind ihm eine Freundin oder ein Freund. Zwar weiss das Kind, dass das Kuscheltier nicht aus Fleisch und Blut ist, verleiht ihm beim Spielen aber eine Persönlichkeit. Wie lange Kinder an Plüschtieren hängen, ist ganz verschieden. «Eine Altersgrenze lässt sich nicht festlegen. Es ist auch fraglich, ob es diese braucht», sagt Schmerse. «Die meisten Kinder haben ein Plüschtier als ‹Trostspender› bis zum Alter von etwa fünf Jahren. Viele spielen mit ihnen bis zu einem Alter von zehn Jahren weiter, beispielsweise in verschiedenen Formen des Rollenspiels.»

Traurigkeit des Kindes ernstnehmen

Die grosse emotionale Bedeutung des Plüschtiers sorgt dafür, dass Kinder beim Verlust des Lieblingshasen oder des Teddys oft sehr traurig sind. «Es ist wichtig, die Traurigkeit des Kindes anzuerkennen und nicht abzutun», sagt Schmerse. Für manche Erwachsene ist es schwer nachvollziehbar, dass ein Kind um ein verschwundenes Spielzeug trauert – besonders, wenn es viele weitere Plüschtiere und Puppen besitzt. Um das Kind besser zu verstehen, können sich Eltern fragen: Wie würde es mir gehen, wenn ich etwas verliere, das mir am Herzen liegt? Etwas, mit dem ich viele schöne Erinnerungen verbinde und das mir in schwierigen Situationen geholfen hat? Der Verlust des Plüschtiers ist für Kinder auch eine Lektion im Umgang mit Gefühlen. «Eltern sollten dem Kind dabei helfen, Worte für die Traurigkeit zu finden. Durch das Benennen und Versprachlichen gelingt es, die Traurigkeit zu verarbeiten.» Sätze wie «Ist doch nicht schlimm» seien dagegen wenig zielführend.

Elefant auf Weltreise

Der Verlust eines Plüschtiers ist für Kinder dramatisch. Darum greifen Eltern manchmal zu kreativen Methoden, um ihre Kinder zu trösten. So machte vor einigen Jahren folgende Geschichte im Internet die Runde: Ein Junge aus den USA verlor seinen geliebten Plüschelefanten Fezzik. Die Eltern erzählten ihm, der Elefant sei auf Weltreise gegangen. Ein Bekannter der Familie postete daraufhin ein Foto von Fezzik in den sozialen Medien und bat darum, den Elefanten mittels Photoshop in Fotos berühmter Sehenswürdigkeiten zu integrieren. Bald tauchten unzählige Bilder von Fezzik auf: auf der Freiheitsstatue, in einer venezianischen Gondel oder sogar auf dem Mond. Die Eltern baten zudem um Hinweise, um welches Modell es sich beim Plüschelefanten handele und wo dieses nachzukaufen sei. Ob sie je fündig wurden und Fezzik wieder heimkehrte, ist nicht bekannt. Glücklich endet dagegen die Geschichte von Laurin und seinem Hasen. Dank magischer Unterstützung durch eine Fee finden beide wieder zusammen. Allerdings ist dabei auch ein bisschen die Hilfe von Laurins Mama nötig.

Bindung zum Plüschtier bleibt

Plüschtiere begleiten viele Menschen bis ins Erwachsenenalter hinein, beispielsweise als Schlafbegleiter. «Das ist vollkommen okay und akzeptabel», sagt Daniel Schmerse. «Die meisten von uns haben überwiegend positive Erinnerungen an ihre Kindheit. Kuscheltiere sind eine Brücke in diese Zeit.» Darum besteht die emotionale Bindung, die als Kind zum Plüschtier aufgebaut wurde, im Erwachsenenalter weiter. «Auch wenn sich Erwachsene rein kognitiv vergegenwärtigen können, dass es sich bei dem Kuscheltier nur um ein Objekt handelt, wird dadurch der emotionale Bezug nicht einfach gelöscht.»

Autor
Caroline Kienberger

Datum

03.01.2023

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