Tagesschulen und Mittagstische

Sollen Schulkinder den ganzen Tag in der Schule verbringen?

«Welche Schule braucht die Schweiz?», fragte eine Studie. Eine der Antworten war diese: Eine grosse Mehrheit will eine Tagesschule oder Schulen mit Mittagstischen. An der Umsetzung jedoch scheiden sich die Geister.

Kinderrucksäcke hängen an einer bunten Garderobe.
Für die Betreuung von Kinder und Jugendlichen an der Schule gibt es verschiedene Modelle. Foto: iStock/Circle Creative Studio

Die Zeiten, als die Schulhausglocke den Heimweg der Schulkinder einläutete, sind vorbei. Nicht alle Eltern können ihre Kinder unmittelbar nach Schulschluss daheim betreuen. Eine Zahl spricht da Bände: 71 Prozent der Bevölkerung wünschen gemäss einer Umfrage eine Schule mit flächendeckenden Tagesstrukturen.

Politische Einstellung prägt

Die Umfrage führte die Stiftung Mercator unter dem Titel «Welche Schule braucht die Schweiz?» durch. Dazu wurden rund 7700 erwachsene Personen zu verschiedenen Aspekten der Schule und des Lernens befragt. Hier wird ein Aspekt daraus näher betrachtet, und zwar jener der Tagesstrukturen.

Die Zustimmung zur Schaffung flächendeckender Angebote variiert je nach Gruppe (vgl. Abbildung). Bei den über 55-Jährigen, also eher den Grosseltern, stimmen 77 Prozent zu. Bei den 36- bis 54-Jährigen, häufig wohl Eltern, nur 67 Prozent. Am unterschiedlichsten ist die Zustimmung im Vergleich der politischen Präferenz: Von den Teilnehmenden, die sich politisch links einordnen, stimmten 86 Prozent für Tagesstrukturen. Von jenen, die sich eher rechts sehen, sprachen sich lediglich 67 Prozent dafür aus.

«Eine Tagesschule hätte ich als berufstätige Mutter gut gebrauchen können.»

Nicht einfach Aufgabe der Schulen

Dagmar Rösler, Präsidentin des Verbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, versteht das Bedürfnis nach Tagesstrukturen: «Eine Tagesschule hätte ich als berufstätige Mutter gut gebrauchen können.» Sie hält aber auch fest, dass die Betreuungsaufgabe nicht ausschliesslich an die Schulen abdelegiert werden dürfe. In erster Linie müssten die Gemeinden solche Angebote aufbauen. Zumindest in Städten oder in Stadtnähe tun sie dies auch. Das ist nicht weiter erstaunlich. Denn dort ist auch das Bedürfnis am höchsten: Die Umfrage zeigt, dass sich besonders die Bevölkerung in Städten und in der Agglomeration Tagesstrukturen wünscht.

Das passt zu einer Abstimmung im Herbst 2022. Die Bevölkerung der Stadt Zürich sprach sich damals für die flächendeckende Einführung von Ganztagesschulen aus. Ab diesem Schuljahr wird dies etappenweise umgestellt. Einfach ist das nicht. Zum Beispiel sind nicht alle erfreut über die Einführung fixer Nachmittage. Dies mache zum Beispiel die Raumplanung für Schulen unflexibel, so die Kritik.

Ganztags oder lieber wahlweise?

Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Die Mercator-Studie zeigt interessante Tendenzen bei den Bedürfnissen. Die Autorinnen und Autoren vermeiden aber zu konkrete Interpretationen für die konkrete Umsetzung. Sie schreiben zwar von Tagesschulen und Tagesstrukturen, vermeiden aber klare Definitionen.

«Die Schule soll zunehmend zu einem Lern- und Lebensraum werden.»

Zwischen Tagesschulen mit fixen Zeiten und Tagesstrukturen mit gebuchten Betreuungstagen liegen Welten. Diese Welten versucht die Stadt Bern zu vereinen. Die Stadt hat für sich ein Mischmodell gewählt, das beide Optionen bietet. «So können Eltern das Modell wählen, das am besten zu ihren Lebensumständen passt», sagt die Schulamtsleiterin Luzia Annen auf Anfrage. Zudem sollen die Kinder und die Jugendlichen Schule und Betreuung als Einheit erleben. «Die Schule soll zunehmend zu einem Lern- und Lebensraum werden. Die Ansprüche daran sind je nach Alter sehr unterschiedlich», sagt sie.

Wie die Gestaltung dieser Lebensräume gelingt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Zürich will den Willen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bis 2030 umsetzen. Bis dahin werden womöglich auch die ländlichen Regionen zunehmend nachziehen.

 

WEITER IM NETZ

Studie der Stiftung Mercator – www.stiftung-mercator.ch/journal/welche-schule-will-die-schweiz 

Autor
Patricia Dickson

Datum

12.09.2023

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