Barrieren

Richtig umgehen mit kultureller Vielfalt

Der Zürcher Schulkreis Limmattal ist urban und multikulturell: 41 Sprachen werden dort gesprochen. Die individuellen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler ändern nichts am Auftrag der Schule: Sie soll alle mitnehmen und bilden. BILDUNG SCHWEIZ hat nachgefragt, auf was es dabei ankommt.

Kinder, die unterschiedlich aussehen.
In der Schule treffen Kinder aus unterschiedlichsten Familien aufeinander. Darum ist sie ein guter Ort, um den Umgang miteinander zu üben. Foto: iStock/ Fat Camera

Etwas über drei Millionen Personen oder 41 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren hatten 2024 in der Schweiz einen Migrationshintergrund. Laut Bundesamt für Statistik sind etwas mehr als ein Drittel davon Schweizer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Die meisten sind selbst eingewandert, bei 630'000 von ihnen taten es die Eltern. Zeliha Aktas, Expertin für interkulturelle Kommunikation und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich sagt vor diesem Hintergrund: «Die Vielfalt an den Schulen ist heutzutage enorm gross.» Aktas leitet unter anderem den Lehrgang für Lehrerinnen und Lehrer, die im Kanton Zürich das Programm «Qualität in multikulturellen Schulen», kurz Quims, betreuen.

Was bedeutet es nun für Schulen, wenn viele Schulkinder aus anderen Kulturen stammen und andere Erstsprachen mitbringen? Oft sind sie zwar in der Schweiz geboren, wachsen aber in Familien mit diversen kulturellen Hintergründen auf. Für Aktas ist klar: «Schulen müssen sich mit interkultureller Kommunikation befassen und interkulturelle Kompetenzen aufbauen.» Damit meint sie die Fähigkeit, aber auch die Bereitschaft und das Interesse, mit Menschen aus diversen Kulturen zu kommunizieren, ohne dass es zu Konflikten kommt. Es gehe darum, unter den Schülerinnen und Schülern den gegenseitigen Respekt, die Anerkennung und Empathie zu fördern. Vielfalt solle als Normalität erfahren werden.

«Schulen sind der ideale Ort, um den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen und Milieus zu erlernen und auch zu üben», ist die Schweizerin mit kurdischen Wurzeln überzeugt. Dabei komme der Haltung der jeweiligen Lehrperson eine wichtige Rolle zu. Neutralität hält Aktas für eine Illusion – keine Lehrperson könne ihre kulturelle Prägung verleugnen. Professionell sei, diese zu erkennen und bewusst zu steuern.

Zum Beispiel das Sihlfeld in Zürich

Das versucht man im Schulhaus Sihlfeld in der Stadt Zürich: «Kulturelle Vielfalt ist im Schulhaus Sihlfeld Alltag», sagt die Lehrerin und Quims-Beauftragte Regula Späni. Das Programm Quims unterstützt Schulen im Kanton Zürich mit zusätzlichen finanziellen Mitteln, die einen Anteil von mindestens 40 Prozent Schülerinnen und Schülern mit nicht deutscher Erstsprache aufweisen.

Alle Quims-Schulen verfügen über Beauftragte, welche die Aktivitäten an der Schule koordinieren und das Geld verwalten. Im Sihlfeld sind das rund 45'000 Franken pro Jahr. Die Schule Sihlfeld ist seit dem Start des Programms im Jahr 2006 dabei. Aktuell hat sie einen Anteil von knapp 40 Prozent fremdsprachiger Kinder. «Die Spanne zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern hat sich aber eher noch vergrössert», stellt Späni fest.

Zoff gibts schon ab und zu

«Natürlich gibt es manchmal Zoff auf dem Pausenplatz, wenn verschiedene Welten aufeinanderprallen», sagt Späni. Dennoch seien kulturelle Konflikte zwischen den Kindern selten. Interkulturelle Verständigung werde in den Klassen gelebt, ohne dass es dazu separate Lektionen oder Projekte gebe. Am Weihnachtssingen werden laut Späni Lieder aus verschiedenen Kulturen berücksichtigt und an Schulhausfesten bringen Eltern Speisen aus ihren Ländern mit. «Der Schwerpunkt unserer Arbeit hat sich in den letzten Jahren auf die Förderung des Schulerfolgs aller Kinder verlagert», sagt Späni.

Am Weihnachtssingen werden im Sihlfeld Lieder verschiedener Kulturen berücksichtigt.

Die Schule Sihlfeld setzt das zusätzliche Geld vom Kanton zum Beispiel für die Förderung der Lesekompetenz ein. Das sogenannte Tandem-Lesen wird konsequent in jeder Klasse durchgeführt. Immer zwei Schulkinder lesen sich gegenseitig einen Text vor. Die Tandems werden von der Klassenlehrperson ausgewählt. Gelesen wird im Schulzimmer oder draussen im Gang. Das Tandem-Lesen findet dreimal in der Woche während 20 Minuten statt, das gesamte Programm dauert sechs bis neun Wochen. Zu Beginn und am Schluss der Trainingsperiode gibt es einen Test zur Leseflüssigkeit.

Doch nicht nur Deutsch zählt. Die Schule ermuntert und berät Eltern, ihre Kinder in den Unterricht zu heimatlicher Sprache und Kultur zu schicken. «Das ist ein Schatz, den die fremdsprachigen Kinder mitbringen», sagt Späni. Wenn die Kinder die Erstsprache beherrschten, falle es ihnen auch leichter, Deutsch zu lernen.

Das Sihlfeld ist Partnerschule des Programms «Future Kids» der Asylorganisation Zürich. Studierende unterstützen 13 Kinder aus dem Sihlfeld beim Lernen, die das Fach Deutsch als Zweitsprache besuchen. Dabei geht es nicht nur um Nachhilfeunterricht, sondern auch um Lerntechniken, Lernstrategien und darum, den Kindern ein gutes Vorbild zu sein. Die Studierenden besuchen die Kinder einmal pro Woche zu Hause und erhalten so ihrerseits einen Einblick in andere Lebenswelten. Für Späni ist das Projekt eine moderne Form von interkulturellem Austausch, bei dem beide Seiten profitieren. «Wir versuchen, allen Kindern einen Boden zu geben, der zum Schulerfolg beiträgt. Niemand soll durch die Maschen fallen», fasst sie das Credo der Schule Sihlfeld zusammen.

Schulkreis Limmattal als Pionier

Die Schule gehört zum Zürcher Schulkreis Limmattal, der die alten Arbeiterquartiere 4 und 5 umfasst. Vor 20 Jahren nahmen hier alle Schulen am Quims-Programm teil, heute sind es noch fünf. Die Quartiere sind aber divers geblieben, an den 14 Schulen werden insgesamt 41 Sprachen gesprochen. «Bei uns war es schon immer zentral, wie die Schulen mit der Vielfalt ihrer Schülerinnen und Schüler umgehen, und das gilt auch heute noch», erzählt Katrin Wüthrich. Sie ist Präsidentin der Schulkreisbehörde Limmattal. Besonders gefördert würden die HSK-Kurse, also der Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur. Ursprünglich sind diese Kurse, die es heute in verschiedenen Kantonen gibt, sogar im Schulkreis Limmattal entstanden, erinnert sich Wüthrich. Heute gibt es laut Wüthrich in jeder Schule eine Lehrperson, die für HSK verantwortlich ist. Sie kümmert sich darum, dass sowohl die Eltern als auch die Kinder über das entsprechende Kursangebot informiert sind. Und HSK-Lehrpersonen werden zum Beispiel immer wieder in eine regelmässig stattfindende Lesenacht miteinbezogen, sodass dort nicht nur deutsche, sondern auch fremdsprachige Texte vorgetragen werden.

«Eine Schule muss eine Kultur der Anerkennung aufbauen.»

Ursprünglich aus einer Schule im Kreis 4 heraus entstand auch die «Kanzbi», eine interkulturelle Bibliothek für Kinder und Jugendliche. Sie verleiht Bücher, Spiele und neue Medien in zahlreichen Sprachen. Damit sollen Kinder mit mehrsprachigem Hintergrund und ihre Familien gefördert werden. Zusätzlich gibt es Computerkurse und niederschwellige Angebote, etwa für Kinder, Jugendliche und mehrsprachige Mütter. Die Betonung der Vielfalt gereicht dem Schulkreis nicht zum Nachteil – im Gegenteil. So haben die Schulen weniger Mühe als anderswo, gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer zu finden. «Viele Lehrpersonen schätzen die kulturelle Vielfalt und den offenen Umgang der Schulen damit. Deshalb unterrichten sie gerne bei uns», stellt Wüthrich fest.

Deutschpflicht auf dem Pausenplatz

Was der Schulkreis Limmattal im Umgang mit kultureller Vielfalt unternimmt, ist im Sinne von Zeliha Aktas. Weniger gut findet sie, wenn eine Schule restriktiv vorgeht. So hört sie immer wieder von Schulen, die das Sprechen der Erstsprache auf dem Pausenplatz verbieten. Dies führe dazu, dass Kinder mit einer anderen Muttersprache sich nicht wirklich anerkannt fühlen. «Ich habe das in meiner Jugend als kurdisch sprechende Schülerin in der Türkei selbst erlebt.»

Interkulturelle Kompetenz sei eine Schlüsselqualifikation für das 21. Jahrhundert. Und sie könne gelernt werden, gerade in der Schule. Dies festzustellen, ist Aktas sehr wichtig. Moderne Gesellschaften müssten ihre Vielfalt anerkennen. «Wenn die Kinder und Jugendlichen das in der Schule gelernt und akzeptiert haben, dann wird es für die Gesellschaft nachher auch einfacher.»

Autor
Roland Schaller

Datum

09.12.2025

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