Schulleitung

«Plötzlich war ich nicht länger nur Kollege, sondern Vorgesetzter»

Vor rund vierzig Jahren entstanden an den Volksschulen die ersten professionellen Schulleitungen. Ein Pionier und der oberste Schulleiter der Schweiz berichten von ihren Erfahrungen.

Eine Frau sitzt am Schreibtisch, vor ihr zwei Bildschirme. Sie tippt etwas auf der Tastatur. Foto: istock/alvarez
Per Brief, Mail oder Whatsapp? Die richtige Kommunikation ist Teil einer gut geführten Schule. Foto: istock/alvarez

Eine Schule ohne Schulleitung – für jüngere Lehrerinnen und Lehrer unvorstellbar. Dabei wurden Schulen vor einigen Jahrzehnten noch ganz anders geführt. An vielen Standorten fehlten Schulleitungen sogar komplett. BILDUNG SCHWEIZ blickt zurück auf die Anfänge der geleiteten Schule und zeigt, mit welchen Herausforderungen heutige Schulleiterinnen und Schulleiter konfrontiert sind.

Schritt für Schritt entstanden

Bis in die 1980er-Jahre galt: Je höher die Schulstufe, desto strukturierter geführt war die Schule. Oberstufen und Gymnasien, besonders im städtischen Raum, verfügten schon in den 1950er- und 1960er-Jahren über einen Rektor oder einen Schulvorsteher. An Primarschulen hingegen gab es meist keine offizielle Schulleitung.

Verwaltungsaufgaben wurden von den Lehrpersonen selbst erledigt. Zu Beginn der 1980er-Jahre kam es dann in vielen Kantonen zu einem Umdenken: Lehrerinnen und Lehrer wanderten vermehrt in den Wirtschaftssektor ab. Viele Schulen kamen darum auf die Idee, Lehrpersonen eine Personalführung zur Verfügung zu stellen – ähnlich wie in der Wirtschaft. So kam es in einigen Kantonen zu einer ersten Professionalisierung der Schulleitung.

Schule ist kein Unternehmen

«Die Entwicklung passierte schrittweise», erinnert sich Bruno Rupp, ehemaliger Schulleiter und ehemaliges Mitglied der Geschäftsleitung LCH. Er war vor knapp vierzig Jahren am Aufbau von ersten Schulleitungen im Kanton Bern beteiligt. Dabei half er auch, Kurse zur Schulführung zu organisieren. Dabei zeigte sich jedoch schnell: Eine Schule muss anders geführt werden als eine Firma.

Im Vordergrund steht die Pädagogik und nicht Umsatz und Gewinn. Die Seminare wurden angepasst und fanden bei mehr und mehr Lehrpersonen Anklang. So erhielten die ersten Schulen im Kanton Bern schrittweise eine Schulleiterin oder einen Schulleiter. Bruno Rupp war einer davon: Er führte ab Mitte der 1980er-Jahre die Schule, an der er unterrichtete.

 

«Für viele Schulleitende, auch für mich, war die Rolle anfangs ungewohnt.

 

Die neue Funktion war für alle Beteiligten eine Umstellung. «Für viele Schulleitende, auch für mich, war die Rolle anfangs ungewohnt. Plötzlich war ich nicht länger nur Kollege, sondern auch Vorgesetzter.» Es sei schwierig gewesen, die Balance zu wahren. Die Situation habe in der Kommunikation viel Feingefühl erfordert, etwa bei den neu entwickelten Mitarbeitendengesprächen. Plötzlich wurde man auch zur Anstellungsbehörde. Früher war das Sache der Schul-kommission.

Öffnung des Klassenzimmers

Mit der Einführung der Schulleitung begannen Lehrpersonen auch stärker zusammenzuarbeiten. Sitzungen wurden abgehalten, um den gegenseitigen Austausch zu fördern. «Die Klassenzimmer öffneten sich langsam nach aussen. Lehrpersonen tauschten Ideen aus. Es war spannend, diesen Prozess zu begleiten», sagt Rupp. Neben der Organisation von Sitzungen und der Personalführung war er damals für einen grossen Teil der administrativen Belange zuständig.

Schulsekretariate gab es nämlich damals auch noch nicht an jedem Standort. Weil die administrativen Aufgaben zunahmen, wurden auch diese schrittweise aufgebaut. Der Aufgabenbereich einer Schulleiterin oder eines Schulleiters hat sich in den letzten Jahrzehnten stark erweitert. Für die meisten Schulleitenden wäre es heute wohl kaum mehr möglich, neben der Vielzahl an Aufgaben noch eine Klasse zu unterrichten. Überstunden sind für viele Schulleitende Teil des Berufs. Dies ergab der Schulleitungsmonitor 2022.

Steigende Ansprüche

Die Umfrage ist ein Kooperationsprojekt des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH), der Conférence latine des chefs d’établissements de la scolarité obligatoire und der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. 1059 Personen haben an der Befragung teilgenommen. Über die Hälfte von ihnen gab an, häufig Zeiten zu erleben, in denen sie zu viele Verpflichtungen erfüllen müssen. Am meisten Zeit kosten sie dabei Verwaltungstätigkeiten sowie Tätigkeiten im Bereich der Personalführung und -entwicklung.

 

«Viele Schulleiterinnen und Schulleiter kämpfen damit, genügend qualifizierte Mitarbeitende zu finden.»

 

Viel Raum nehmen zudem die Pensenplanung und die Stellenbesetzung ein. Gerade Letzteres ist in Zeiten des Personalmangels eine Herausforderung: «Viele Schulleiterinnen und Schulleiter kämpfen damit, genügend qualifizierte Mitarbeitende zu finden, die den höher werdenden Ansprüchen an die Schule gerecht werden», sagt Thomas Minder, Präsident des VSLCH und Schulleiter im Thurgauer Eschlikon.

Zu den steigenden Ansprüchen gehöre etwa das Thema Integration. «Es ist für eine Lehrperson und auch für die Schulleitung sehr herausfordernd, vor allem für Kinder mit besonderen Bedürfnissen das geeignete Setting zu finden.»

Als wichtige Aufgabe mit Stolpersteinen erwähnt Minder die Kommunikation. Viele Schulleiterinnen und Schulleiter bekundeten Mühe damit und seien unsicher, so Minder. «Wo früher einfach ein Brief verschickt wurde, müssen wir heutzutage überlegen, welchen Kommunikationskanal wir für welche Information am besten wählen.» Der Schulleitungsmonitor 2022 ergab denn auch: 63 Prozent aller Befragten würden im Bereich Digitalisierung gern etwas dazulernen. Nachholbedarf sehen sie unter anderem auch in den Bereichen Führung, Schulentwicklung oder Krisenmanagement.

Minder möchte bessere Ausbildung

Für die Ausbildung von Schulleitenden gibt es einen von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren gesetzten Rahmen im Umfang eines CAS (Certificate of Advanced Study). Gemäss dem VSLCH zeige sich aber immer mehr, dass diese Zeitdauer den Ansprüchen an eine gute Ausbildung nicht genüge.

Einzelne pädagogische Hochschulen bieten darum bereits DAS (Diploma of Advanced Studies) für Schulleitungen oder MAS (Master of Advanced Studies) im Bereich Schulmanagement an. Die Geschäftsleitung des VSLCH würde jedoch einen Master-of-Arts-Studiengang begrüssen, analog der Ausbildungsdauer zum Abschluss Schulische Heilpädagogin/Schulischer Heilpädagoge. «Das würde dem Anspruch des Berufs entsprechen.»

Neben der Ausbildung und dem theoretischen Wissen sei aber vor allem eines wichtig, meint Thomas Minder: Wer eine Schule leiten möchte, müsse vor allem Freude an Menschen haben. Wichtig seien auch eine positive Grundhaltung und die Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen. «Ich vergleiche die Rolle der Schulleitung gern mit jener einer Klassenlehrperson.»

Der Alltag kann herausfordernd sein, macht aber viel Freude.»

Bei beiden Berufen sei es wichtig, dass alle Beteiligten miteinbezogen werden – ganz im Sinn der Partizipation. Für die Schulleitung im Besonderen gelte es, die Lehrpersonen an der Entwicklung der Schule mitarbeiten zu lassen. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden. Muss Minder doch einmal alleine eine Entscheidung fällen, muss er sie auch gut erklären können, damit sie akzeptiert wird. «Dann gibt es wohl auch keine oder wenig Diskussionen. Es ist genau wie im Schulzimmer.»

Ein Beruf, der Freude macht

Trotz aller Herausforderungen sei Schulleiter oder Schulleiterin ein schöner Beruf. «Es ist genau wie die Aufgabe der Lehrperson ein Beruf mit hoher Sinnhaftigkeit.» Auch Bruno Rupp, der seit zwei Jahren pensioniert ist, bereut seine Entscheidung nicht. «Ich würde diesen Beruf wieder machen», sagt er. «Es ist kein Job, den man des Geldes wegen macht, sondern aus einer inneren Motivation heraus. Der Alltag kann herausfordernd sein, macht aber viel Freude.»

Dies bestätigen auch die rund 1000 Schulleitenden, die an der Monitoring-Umfrage teilgenommen haben. 95 Prozent von ihnen geben nämlich an, dass sie ihre Schule gern leiten.

Autor
Caroline Kienberger

Datum

04.11.2023

Themen