Hier ein Schulcontainer, da ein Pavillon neben dem eigentlichen Schulgebäude – die Schulraumknappheit in der Schweiz ist vielerorts augenfällig. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Gerade urbane Gemeinden stossen beim Schulraum ans Limit. Wo die Not bereits zu gross ist, sind kreative Lösungen gefragt.
So auch im luzernischen Kriens. Hier sind zwei Klassen der Schule Kuonimatt in einem Gewerbegebäude untergebracht. «Im Schulhaus fehlte schlicht der Platz», sagt Schulleiterin Sandra Schuler. Nun teilen sich die 5. und 6. Klasse das Gebäude mit einem Metallverarbeitungsbetrieb und einer Liftfirma. Während im Erdgeschoss geschweisst wird, wird ein Stockwerk weiter oben in ehemaligen Büros unterrichtet. «Wir mussten lediglich Mobiliar wie Pulte oder Beamer anschaffen», sagt Schuler. Der Rest, etwa die farbigen Wände und der Teppichboden, stammen vom Vormieter. Ebenso die Empfangstheke im Eingangsbereich, die jetzt als Ablagefläche für Velohelme dient.
Seit eineinhalb Jahren sind die beiden Klassen hier untergebracht. «Zu Beginn waren Eltern, Kinder und Lehrpersonen skeptisch», sagt Schuler. Heute sei diese Skepsis verflogen. «Die Fünft- und Sechstklässler finden es sogar cool, dass sie nicht mehr mit den Jüngeren das Schulhaus teilen müssen», sagt Schuler.
Pausenplatz gibt es keinen
Die Zwischennutzung ist auf insgesamt drei Jahre ausgelegt. Mittelfristig ist eine Erweiterung des eigentlichen Schulhauses geplant. «Das ist dringend notwendig, da die aktuelle Situation nicht den Zielen des Lehrplans 21 entspricht und wir unsere pädagogischen Vorstellungen nicht umsetzen können», sagt Schuler. Über den zusätzlichen Schulraum im Gewerbepark ist sie froh, sagt aber auch klar: «Auf Dauer ist das keine Lösung.» Zu gross seien die Herausforderungen, etwa der zusätzliche Koordinationsaufwand innerhalb des Lehrteams.
Speziell ist auch die Pausensituation. Einen Pausenraum gibt es im Aussenbereich des Gewerbeparks nämlich nicht. Kleine Pausen verbringen die Kinder deshalb im Innern, die grosse Pause auf dem Platz der eigentlichen Schule. Dazu müssen sie 300 Meter durchs Quartier marschieren. «Die Kinder verlieren so jedes Mal fünf Minuten ihrer Pause und ich fünf Minuten Unterrichtszeit», sagt Oliver Klapproth. Er ist als Klassenlehrer am temporären Schulstandort tätig. Hinsichtlich des Unterrichts gibt es ebenfalls Einschränkungen: «Es fehlt an Rückzugsorten für Gruppenarbeiten oder Einzelcoachings», so Klapproth. Für Fachunterricht wie technisches oder textiles Gestalten oder Sport muss zudem jedes Mal der Standort gewechselt werden.
Ein Polizeiposten als Schule
Die Ausgangslage in Kriens ist kein Einzelfall: In der Stadt Bern entsteht derzeit in ungenutzten Büroräumen entlang der Autobahn ein neues Oberstufenzentrum. In Basel startet diesen Sommer die neue Sekundarschule Rosental als Provisorium im ehemaligen Direktionsgebäude der Agrartech-Firma Syngenta – Marmortreppe und Mahagoni-Wände inklusive. In Wil dient derweil ein ausgedienter Polizeiposten als Schulhaus und die Stadt Zürich will das ehemalige Studio von Radio SRF zu einem Schulgebäude umfunktionieren.
Das spektakulärste Umnutzungsprojekt stammt ebenfalls aus Zürich: Für acht Millionen Franken lässt die Stadt die reformierte Kirche Wipkingen zu Schulraum umbauen. In ihr sollen dereinst unter anderem ein Verpflegungs- und Betreuungsraum für 100 bis 150 Schülerinnen und Schüler entstehen.
Gründe für die Zunahme
Dass die Beispiele ausschliesslich aus städtischen Gebieten stammen, ist kein Zufall. Schulraum ist insbesondere in urbanen Zentren und deren anliegenden Gemeinden knapp. «Die Menschen sind mobiler geworden und wechseln rascher ihren Wohnort – sowohl innerhalb der Schweiz als auch im Rahmen der internationalen Migration», sagt Friederike Pfromm. Sie ist Leitende Expertin für Schulraumentwicklung beim Ingenieur- und Planungsbüro Basler und Hofmann.
Weil die Menschen in die urbanen Zentren ziehen, werde dort der Schulraum knapp. Gleichzeitig leiden auch strukturschwächere Gebiete: Diese verzeichnen eine allgemeine Tendenz zum Wegziehen und sehen sich gezwungen, ihre oft unterbesetzten Schulhäuser zu schliessen.
Ein weiterer Grund für den aktuell knappen Schulraum ist die Entwicklung der Geburten in der Schweiz. Sank diese in den Nullerjahren zwischenzeitlich auf 72 500 Geburten pro Jahr, stieg sie seit dem Jahr 2010 auf jährlich über 80 000 Geburten. Und der Trend hält weiter an: Im Jahr 2021 kamen gemäss dem Bundesamt für Statistik in der Schweiz 89 644 Kinder zur Welt – so viele wie letztmals zu Zeiten des Babybooms.
Die steigende Zahl der Geburten hat logischerweise Folgen für die Schulen: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler auf obligatorischer Stufe stieg seit dem Jahr 2010 um rund sieben Prozent. Eine Tendenz, die gemäss den Prognosen des Bundesamts für Statistik mindestens bis ins Jahr 2031 anhalten wird.
Wenn der Trend kehrt
Neue Lernformen oder die Einrichtung von schul- und familienergänzenden Tagesstrukturen können zusätzliche Gründe für den erhöhten Platzbedarf an Schulen sein. «In der Summe führt das dazu, dass sich die Schülerzahlen äusserst dynamisch entwickeln und eine entsprechend dynamische Schulraumplanung notwendig ist», sagt Pfromm.
Während die individuelle Mobilität in Zukunft kaum abnehmen wird, dürfte sich der Trend zu mehr Geburten früher oder später umkehren. So jedenfalls geschah es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Babyboom-Generation ihre Schulzeit abschloss und vielerorts plötzlich Schulraum überschüssig war.
In Bern hatte das zur Folge, dass die Stadt einen Teil des Schulgebäudes Steigerhubel an den Kanton verkaufte, der dieses zu einer Gewerbeschule umfunktionierte. Nun – Jahrzehnte später – benötigt die Stadt just in diesem Quartier dringend mehr Schulraum, weshalb der eben erst für mehrere Millionen sanierte Allwetterplatz einem Schulhausneubau weichen muss.
Vorausdenken statt reagieren
Wo ein Neu- oder Ausbau nicht möglich ist, sind Alternativen gefragt. Was empfiehlt die Expertin den Gemeinden, die rasch auf zusätzlichen Schulraum angewiesen sind? «Containerlösungen können sinnvoll sein, wenn absehbar ist, dass die Schülerzahl in 10 bis 15 Jahren bereits wieder abnimmt», sagt Friederike Pfromm.
Dass es überhaupt solche Provisorien braucht, liesse sich gemäss Pfromm jedoch oft verhindern: «Viele Gemeinden reagieren erst, wenn ihnen der Schulraum bereits ausgeht.» Oft sei es dann für eine optimale Reaktion zu spät. Die Realisierung eines neuen Schulgebäudes dauert nämlich mehrere Jahre. Hinzu kommen mögliche Verzögerungen durch juristische oder politische Blockaden, beispielsweise wenn die Stimmberechtigten wie 2022 im solothurnischen Neuendorf den Kredit für den Schulbau an der Urne ablehnen.
Die Expertin Pfromm empfiehlt den Schulen und Gemeinden deshalb ein besseres Monitoring der Schülerzahlen. «Werden dabei wichtige Parameter wie die Wohnbautätigkeit berücksichtigt, wird ein frühzeitiges Handeln möglich.»
In der Krienser Kuonimatt wurde die Möglichkeit zum frühzeitigen Handeln verpasst. Auch lässt der Startschuss für den Bau des neuen Schulgebäudes auf sich warten. Trotzdem gibt sich die Schulleiterin Sandra Schuler zuversichtlich: «So gut das Gewerbegebäude als Zwischenlösung funktioniert, so optimistisch bin ich, dass wir schon bald wieder über genügend geeigneten Schulraum verfügen.»