Berufswahl

Nach der Berufsmesse kommt der Realitätscheck beim Schnuppern

Bildung Schweiz berichtete letztes Jahr darüber, wie sich vier Jugendliche an den SwissSkills über Lehrberufe informierten. Inzwischen haben die jungen Leute Schnupperlehren besucht. Wo stehen sie heute? Haben sich ihre Berufswünsche bestätigt oder verändert? Bildung Schweiz hat bei den Jugendlichen nachgefragt.

Ein Teenager steuert einen Gabelstapler.
Fatlind interessiert sich für die Arbeit in der Logistik. Wichtiger als der Beruf ist ihm jedoch, möglichst schnell eine Lehrstelle zu finden. Fotos: Claudia Baumberger

Manchmal hat die Berufswahl etwas Zufälliges. Eigentlich möchte Fatlind Logistiker werden. An den SwissSkills erhielt er einen ersten Einblick in diesen Beruf. Dort hat der Achtklässler geschickt mit dem Gegengewichtsstapler einen Metallstift bewegt und sich ausführlich mit Berufsleuten und Berufsbildnern unterhalten. Seither sind mehrere Monate vergangen. Eine Schnupperlehre als Logistiker hat er noch nicht gemacht. In Münchenbuchsee, wo er in die Schule geht, erklärt Fatlind der Journalistin stattdessen: «Ich werde im Januar eine Schnupperlehre als Detailhandelsfachmann machen.»

Warum nun doch nicht Logistiker? Es habe sich so ergeben. Weil sein Bruder in einem grossen Einkaufszentrum arbeite und dort nachgefragt habe, ob er eine Schnupperlehre absolvieren könne. So kam Fatlind rasch und einfach zu einer Schnupperlehre im Detailhandel. Der Beruf des Logistikers steht bei Fatlind zwar immer noch hoch im Kurs. Er will sich jedenfalls um eine Schnupperlehre in einem Logistikbetrieb bemühen. Aber er geht die Lehrstellensuche vor allem pragmatisch an: «Ich möchte Anfang der 9. Klasse eine Lehrstelle haben», sagt er. Das ist ihm wichtiger als der Beruf, den er erlernen wird. Denn er blickt schon weiter. Die Grundausbildung sieht er als Basis, um sich anschliessend weiterzubilden. Gerne möchte er zur Polizei oder zur Berufsfeuerwehr. Und: An der Berufsmesse SwissSkills hat er sich vorgenommen, im Rechnen besser zu werden, da Zahlen für Logistiker wichtig sind. «Ich habe gute Fortschritte im Rechnen gemacht und nehme auch mal die Aufgaben mit nach Hause», erzählt er stolz.

Die Zeit, als mit der Lehrstelle ein Beruf fürs Leben gewählt wurde, ist definitiv vorbei.

Aufstiegsmöglichkeiten sind wichtig

Die Zeit, als mit der Lehrstelle ein Beruf fürs Leben gewählt wurde, ist definitiv vorbei. Das zeigt sich auch bei Safaa. Sie denkt wie Fatlind bereits über ihren Lehrabschluss hinaus. Im September hat sie sich an den SwissSkills über den Beruf der Medizinischen Praxisassistentin (MPA) informiert und war sehr begeistert. Inzwischen hat sie drei Schnupperlehren absolviert: Je eine als MPA, als Fachfrau Gesundheit (FAGE) und als Fachfrau Betreuung (FABE). Am besten gefallen hat ihr der Tag als FAGE in einem kleinen Spital. Dort seien die Arbeiten sehr abwechslungsreich gewesen, und sie habe viel helfen können. Auch die sozialen Aspekte seien wichtig gewesen. Und vor allem habe sie gemerkt, dass ihr mit dieser Grundausbildung eine Vielzahl von Weiterbildungen offenstünden, mehr als mit einem MPA-Abschluss.

Neu heisst Safaas Berufsziel Hebamme. Sie interessiert sich sehr für Medizin, hilft gerne anderen Menschen und arbeitet gerne im Team. Als Nächstes wird sie in einer Tierpraxis schnuppern gehen. Danach möchte sie nochmals eine Schnupperlehre als FAGE machen, möglichst in einem grossen Spital oder in einer Kinderstation. Sie will dort prüfen, ob die Lehre als Fachfrau Gesundheit wirklich das Richtige für sie ist.

Einen anderen Weg nimmt Aurela. Auch sie hat sich damals über die Lehre zur MPA informiert. Inzwischen konnte sie in diesem Beruf schnuppern gehen: «Es hat mir sehr gut gefallen und es hat meinen Berufswunsch vollkommen bestätigt», sagt sie. Sie hat als Nächstes vor, sich für eine Lehrstelle als MPA zu bewerben.

Zuversichtlicher Lehrer

Jordi Puerro ist der Lehrer von Fatlind, Safaa, Jael und Aurela. Alle vier besuchen das 8. Schuljahr. Die Realklasse im Schulhaus Bodenacker in Münchenbuchsee umfasst das 7. bis 9. Schuljahr. Von den Jugendlichen der 9. Klasse hat einer bereits eine Lehrstelle, die anderen sind noch auf der Suche oder werden in ein 10. Schuljahr eintreten.

Wichtig sei die Unterstützung des Elternhauses, ist Puerro überzeugt. Wenn diese aus zeitlichen oder sprachlichen Gründen fehle, engagiere er sich stärker. Im Unterricht lehrt er die Jugendlichen, eine Bewerbung sowie einen Lebenslauf zu schreiben. Auch Telefonate und Vorstellungsgespräche werden geübt. Puerro führt Elterngespräche und besucht mit den Jugendlichen das Berufsberatungs- und Informationszentrum. Im Schulhaus gibt es zudem weitere Angebote zur Berufswahl, wie beispielsweise Berufswahlateliers oder Übungs-Vorstellungsgespräche mit Berufsbildnern, für die sich die Jugendlichen anmelden können. Puerro ist es ein Anliegen, dass die Jugendlichen mehrere Schnupperlehren besuchen und sich nicht auf einen Beruf fixieren.

Das 10. Schuljahr findet Puerro eine sehr gute Option für Jugendliche, die etwas mehr Zeit brauchen. Die Jugendlichen der 8. Klasse möchten am Ende der obligatorischen Schulzeit jedoch am liebsten direkt in eine Lehre eintreten. Das 10. Schuljahr erachten sie eher als Zeitverschwendung. Das motiviert sie, sich in der Schule einzusetzen und zumindest in den Fächern, die für ihre Lehre wichtig sind, gute Noten zu erzielen. Auch Jael möchte sich für das 10. Schuljahr nur anmelden, falls sie keine Lehrstelle findet. An den SwissSkills hat sie sich über den Beruf zur Fachfrau Betreuung für Kleinkinder erkundigt. Ihre erste Schnupperlehre hat sie dann allerdings in einer Demenzstation eines Altersheims gemacht: «Ich möchte auch noch andere Berufe kennenlernen», sagt sie dazu. Im Altersheim habe es ihr sehr gut gefallen, besonders weil man genügend Zeit habe, um sich um die alten Menschen zu kümmern. Mit dem vielen Putzen konnte sie sich allerdings weniger anfreunden. Als Nächstes geht sie eine Woche in einer Kinderkrippe schnuppern, danach zur Spitex und anschliessend in ein Fitnessstudio. Doch eigentlich steht für sie bereits fest, dass sie FABE für Kleinkinder lernen möchte. Sie ist zuversichtlich, eine Lehrstelle zu finden.

«Wer sympathisch rüberkommt und anpacken kann, findet eine Lehrstelle»

Weniger Lehrstellen

Der LehrstellenPuls (www.lehrstellenpuls.ch) misst die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lehrbetriebe und deren aktuelle und zukünftige Berufslernenden. Die Ergebnisse vom November 2022 zeigen: Das Lehrstellenangebot für den nächsten Sommer geht tendenziell zurück. Um für ein Vorstellungsgespräch überhaupt eingeladen zu werden, sind Schulleistungen wichtig, stellt Jordi Puerro immer wieder fest. Wichtig sei aber auch der Eindruck, den Jugendliche bei Schnupperlehren hinterliessen: «Wer sympathisch rüberkommt und anpacken kann, findet eine Lehrstelle», sagt Puerro. Darum ist er bei den meisten seiner Schüler und Schülerinnen zuversichtlich, dass es klappen wird. Eine Zuversicht, die auch Fatlind, Safaa, Aurela und Jael teilen: Sie gehen ihre Berufswahl ohne Ängste an und glauben daran, dass sie eine Lehrstelle finden werden. Zudem wissen sie, dass ihnen viele Optionen offenstehen. Sorgen macht sich Puerro einzig um sozial auffällige und schulschwache Jugendliche. Zum Glück seien dies eher Einzelfälle, die dann individuell mehr Unterstützung erhalten. Auch ihnen will Puerro einen guten Start ins Arbeitsleben ermöglichen.

Autor
Claudia Baumberger

Datum

31.01.2023

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