Bildungsdirektor Stähli

«Klassenlehrpersonen sind die Stützpfeiler der Schulen»

Der Schwyzer Bildungsdirektor Michael Stähli sieht sich mit Forderungen von Lehrerinnen und Lehrern konfrontiert. Er bezieht Stellung und spielt den Ball gar zurück: Berufsverbände müssten ihre Position klären und mithelfen, das Berufsbild zu stärken.

Stähli steht vor einem Amtsgebäude.
Bildungsdirektor Michael Stähli steht nationalen Lösungen skeptisch gegenüber. Fotos: Gion Pfander

Sie sind Schwyzer Bildungsdirektor. Die Lehrpersonen in Ihrem Kanton sind verärgert. Verstehen Sie das?

MICHAEL STÄHLI: Ja. Sie haben eine andere Auffassung als die Bildungsdirektion und die politischen Behörden, wie das Bildungssystem weiterentwickelt werden soll.

Die Berufsverbände warnen seit Jahren vor dem Lehrpersonenmangel. Haben Sie zu wenig getan?

Wir sind dran. Aber politische Prozesse brauchen Zeit. Wir tauschen uns regelmässig mit dem kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerverband LSZ aus und haben kurze Wege und eine direkte Kommunikation. Die Grösse des Kantons Schwyz lässt dies im Unterschied zu grösseren Kantonen zu.

Beim LSZ herrscht der Eindruck vor, man sei nicht auf offene Ohren gestossen. Können Sie das nachvollziehen?

Wir haben rund 2000 Lehrpersonen und darunter eine grosse Bandbreite von Meinungen. Wenn ich aber Anliegen politisch weitertragen soll und in Regierung und Parlament Mehrheiten finden will, muss ich die wichtigsten Forderungen kennen. Ich kann nicht mit einem ganzen Bündel antreten, bei dem nur ein Teil der Lehrkräfte dahinter steht. Es braucht eine Konsolidierung.

Der LSZ hat jetzt eine Petition mit drei Forderungen lanciert. Entspricht das dem, was Sie erwarten?

Wir sind nun mit konkreten Erwartungen konfrontiert. Das hilft. Aber das Meinungsbild der Lehrerschaft bleibt fragmentiert.

ZUR PERSON

Michael Stähli (die Mitte) ist seit 2016 Bildungsdirektor des Kantons Schwyz. Er ist 56-jährig, verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

«Mit höheren Löhnen würden wir nicht mehr, sondern einfach teurere Lehrpersonen erhalten.»

Werden wir konkret: Verlangt wird etwa die Entlastung von Klassenlehrpersonen. Wie stehen Sie dazu?

Dieses Anliegen kann ich sehr gut verstehen. Ich war kürzlich in einer Talschaft, wo man glaubt, dass dort die Welt noch in Ordnung ist. Eine Klassenlehrerin erzählte mir hingegen: Sie habe kürzlich bei der Schulkommission deponiert, dass sie so nicht mehr weiterfahren wolle. Die Belastungsgrenzen seien erreicht und von der Ausbildung her sei sie nicht auf eine solch herausfordernde Klasse vorbereitet worden. Die Hälfte benötige besondere Förderung, gleichzeitig müsse sie anspruchsvolle Übertrittsgespräche mit Eltern führen. Es muss geprüft werden, wie die Funktion der Klassenlehrperson mit gezielten Anreizen aufgewertet werden kann. Klassenlehrpersonen sind die Stützpfeiler der Schulen.

Weiter werden Lohnanpassungen verlangt, weil höhere Löhne in Nachbarkantonen den Mangel in Schwyz verschärften. Was sagen Sie dazu?

Da muss ich differenzieren. In der Innerschweiz sind wir mit den Löhnen wettbewerbsfähig. Schwyz grenzt aber auch an den Kanton Zürich. Dort liegt der Jahreslohn für Einsteigende rund 20 000 Franken höher. Dennoch halte ich den Lohn nicht für die Hauptursache für den Mangel an Fachpersonen. Wir würden nicht mehr Lehrpersonen erhalten, sondern einfach teurere.

Hier wollen Sie hart bleiben?

Es braucht keine generellen, sondern gezielte Anpassungen. Wenn schon müsste zum Beispiel der Einstiegslohn angehoben werden. Der jährliche automatische Lohnanstieg wiederum ist im Kanton Schwyz mit drei Prozent interessant. Mit zunehmender Anstellungsdauer reduziert sich daher das Lohngefälle zu den angrenzenden grossen Kantonen.

Wieso erwacht die Politik erst, wenn Druck aufgebaut wird?

Da gibt es für mich zwei Aspekte. Erstens: Andere Berufsfelder kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen. Meine Frau und meine Tochter arbeiten beide im Gesundheitswesen. Sie erleben genau dasselbe. Überall fehlen Fachpersonen, schweizweit und branchenübergreifend. Zweitens: Die Schule hat im Unterschied zu anderen Branchen mit dem Start des Schuljahres einen Stichtag bei der Besetzung von Stellen. Alle schauen dann hin. Die Situation wurde vielfach dramatischer dargestellt, als sie tatsächlich war. Natürlich kommt es zu Kompromissen und nicht jede Anstellung entspricht den Wunschvorstellungen. Das stelle ich nicht in Abrede.

Was sagen Sie Eltern, deren Kinder von ungenügend ausgebildeten Lehrpersonen unterrichtet werden?

Wir erteilen zwar befristete Lehrbewilligungen, zum Beispiel für jene, die auf dem Weg zur ausgebildeten Lehrperson sind oder die Zusatzqualifikationen noch nicht haben. Zurzeit haben lediglich rund 30 Personen keinen pädagogischen Hintergrund.

«Das Lehrdiplom alleine ist noch keine Garantie für eine gute Lehrperson.»

Das beruhigt betroffene Eltern wenig.

Das Lehrdiplom alleine ist noch keine Garantie für eine gute Lehrperson. Lebenserfahrung, Motivations- und Begeisterungsfähigkeit sowie weitere wichtige Eigenschaften braucht es ebenso.

Mit dieser Aussage sorgen Sie bei Lehrpersonen für Unverständnis. Es braucht also gar kein Lehrdiplom?

Doch, das ist die Grundvoraussetzung. Die Schwyzer Regierung ist nicht bereit, die Anforderungen in der Ausbildung zu senken.

Eine Umfrage des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) zeigt, dass die Öffentlichkeit zwar die Bildungsqualität gut findet, der Lehrpersonenmangel diese aber gefährdet. Sehen Sie das auch so?

Nein. Die Anstellungsbehörden schauen genau hin, wen sie anstellen.

Kompromisse führen nicht zu schlechterer Bildungsqualität?

Kurzfristig nein. Es ist aber im Auge zu behalten. Für uns wäre sie dann nicht mehr gewährleistet, wenn dies zum Beispiel von vielen Lehrbetrieben zurückgemeldet würde.

Von dort gibt es Klagen, man müsse Lehrlingen Basiswissen beibringen.

Das hiess es schon immer. Ich höre eher, dass überfachliche Kompetenzen wichtiger würden und dass wir da auf dem richtigen Weg seien.

Sie sind Mittepolitiker. Interessanter Befund der LCH-Umfrage ist, dass Rotgrün-Wählende und sogar SVP-Wählende sich mehr Sorgen machen als jene in der Mitte. Sieht die politische Mitte den Ernst der Lage nicht?

Ich denke eher, dass die Mitte dem föderalen System passende Lösungen zutraut. Die Kantone können sich austauschen, taugliche Rezepte anderer übernehmen und angepasste Lösungen finden.

Sie sind gegen mehr nationale Lösungen?

Die Folge wäre ein starreres System. Wir sehen schon im Kleinen, dass die Gemeinden keine Freude an Vorgaben des Kantons haben, weil sie unterschiedliche Voraussetzungen haben.

Der LCH ist ebenfalls föderal organisiert. Er hat nun eine nationale Dachkampagne lanciert, geht aber kantonal vor.

Dieses Vorgehen finde ich richtig: Alle sollen die Bildungsqualität hochhalten und keine Abstriche bei der Ausbildung machen. Die Umsetzung berücksichtigt aber kantonale Eigenheiten.

«Ich glaube, die Politik wird Hand zu Lösungen bieten.»

Wie schätzen Sie überkantonal die Bereitschaft zum Handeln ein in der Politik?

Die Anliegen werden ernstgenommen und ich glaube, dass die Politik Hand zu Lösungen bieten wird. Es wird aber nicht den einen Zauberschlüssel geben.

Sie haben letztes Jahr eine Umfrage unter Lehrpersonen durchgeführt. Aufgefallen ist darin, dass knapp die Hälfte davon abraten würde, den Beruf zu ergreifen. Das ist bedenklich.

Das hat uns auch besorgt. Dort sehe ich auch den Berufsverband in der Pflicht, das Selbstverständnis zu stärken und das Berufsbild zu verbessern. Der Staat kann dies ergänzend unterstützen.

Die Verbände sind schuld am schlechten Selbstbild der Lehrpersonen?

Das behaupte ich nicht. Ich sage nur, dass der Berufsverband einen Beitrag leisten kann und nicht nur die Politik.

Welches Rezept haben Sie, um die Situation in Ihrem Kanton zu verbessern?

Dank unserer Umfrage erkennen wir nun klar, wo der Schuh drückt. Es geht um Entlastungsmassnahmen und Anreize zur Attraktivierung des Lehrberufs. Die Stärkung der Schulleitungen wurde bereits realisiert. Als dritte Stossrichtung möchten wir die Chancen einer frühen Förderung im Vorschulalter nutzen können, um die Einschulung und damit die Arbeit der Lehrpersonen zu erleichtern. Dieses Ziel ist jedoch erst mittel- bis langfristig zu erreichen. Letztlich soll es um Massnahmen gehen, die nicht ein, zwei Jahre wirken und dann verpuffen.

Wann wird wieder Ruhe einkehren in den Schulzimmern?

Das wird nie passieren. Die Schule muss sich an den Leitplanken orientieren, die gesellschaftlich und politisch immer wieder überprüft, ausgehandelt und gegebenenfalls neu gefasst werden.

Autor
Christoph Aebischer

Datum

30.01.2024

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