Ernährungsberaterin im Interview

«In Sachen Ernährung sind Lehrpersonen ein Vorbild»

In den letzten Jahren haben sich Essgewohnheiten dramatisch verändert. Ernährungsberaterin Franziska Staub sagt, dass es nicht die eine richtige Ernährung für Kinder und Jugendliche gibt.

Franziska Staub steht auf einem Balkon.
Ernährungsberaterin Franziska Staub empfiehlt, Gemüse immer wieder in verschiedenen Formen anzubieten. Fotos: Philipp Baer

BILDUNG SCHWEIZ: Frau Staub, Haben sich Kinder früher besser ernährt als heute?

FRANZISKA STAUB: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Der Familientisch hat sich über die Jahre stark verändert. Die traditionelle Mittagsmahlzeit zu Hause ist heute nicht mehr die Regel. Früher gab es Frühstück, Mittagessen und Abendessen im Kreis der Familie. Heute hingegen verpflegen sich viele Kinder über den Mittag in der Schulmensa oder sie ernähren sich von Fertigkost aus dem Grossverteiler.

«Ernährungsgewohnheiten ändern sich im Schulkinderalter stetig.»

Wie beurteilen Sie die Ernährung von Schulkindern?

Es gibt nicht die eine richtige Ernährung für Kinder und Jugendliche. Es geht darum, in welchen Situationen was und warum gegessen wird. Jugendliche, die neben der Schule viel Sport treiben, haben einen höheren Kalorienbedarf als jene, die weniger aktiv sind. Was ich damit sagen will: Ernährungsgewohnheiten ändern sich im Schulkinderalter stetig. Wichtig ist, dass dabei auch das Nahrungsmittelangebot angepasst wird.

Zur Person

Franziska Staub arbeitet seit über 30 Jahren als Ernährungsberaterin. Sie verfügt über einen Bachelor in Ernährung und Diätetik und bietet ihre Dienste im Ernährungszentrum Optikal in Zug an. Sie ist unter anderem spezialisiert auf Gewichtsabnahme, Stoffwechselstörungen sowie Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern sowie Grossmutter von zwei Enkelkindern.

Sie bieten Ernährungsberatungen für Schulen und Kindergärten an. Wann wurde Ihnen klar, dass dies einem Bedürfnis entspricht?

Verschiedene Entwicklungen deuteten darauf hin. Beispielsweise ist Adipositas, also starkes Übergewicht, eine weit verbreitete Krankheit. Zudem werden die Patientinnen und Patienten immer jünger. Gleiches gilt für Diabetes. Weniger bekannt ist, dass Wachstumsstörungen im Kindesalter ein Krankheitsbild sind, das auf eine Mangelernährung zurückgeführt werden kann.

Wo liegt der Fokus bei diesen Schulworkshops?

In der Regel überlasse ich es der Schule oder der Lehrperson selbst, wo sie den Fokus legt. Kürzlich wollte ein Lehrer, dass ich mit den Kindern den Umgang mit Zucker im Alltag thematisiere. Es kam auch schon vor, dass ich im Rahmen einer Projektwoche zum Thema Gesundheit mit den Kindern angeschaut habe, wie eine ausgewogene Ernährung aussehen kann.

Welches Anliegen wird besonders häufig vorgebracht?

Oft wollen die Lehrpersonen, dass ich mit der Klasse den Zucker genauer unter die Lupe nehme – es ist ein riesiges Thema bei Kindern und Jugendlichen. Zucker finden wir in der Ernährung in unterschiedlichen Formen – vom Fruchtzucker über den Malzzucker bis zum Milch- und Kristallzucker. Für die Klasse ist es spannend, wenn ich aufzeige, welche Auswirkungen die verschiedenen Zucker auf den Körper haben.

Zum Beispiel?

Die starken Auswirkungen, die Fruchtzucker auf unseren Körper haben kann, ist vielen nicht bewusst. Mehr und mehr Menschen weisen beispielsweise eine Fettleber auf, für die nicht ein übermässiger Alkoholkonsum verantwortlich gemacht werden kann. Der Übeltäter ist der Fruchtzucker, der in der Leber direkt in Energie umgewandelt wird. Dabei fallen ungünstige Fettsäuren an, die zu unerwünschten Fettansammlungen in der Leber führen. Besonders auffällig wurde dies, als Smoothies aufkamen und man als ernährungs- und gesundheitsbewusster Mensch jeden Morgen einen frischgepressten Orangensaft zu sich nehmen wollte.

Wie kann man den Schülerinnen und Schülern gesunde Ernährung schmackhaft machen?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich ging beispielsweise mit einer Klasse in den Grossverteiler einkaufen und stellte den Kindern verschiedene Challenges, bei denen sie gewisse Kriterien erfüllen mussten. Welches Nahrungsmittel enthält den höchsten Fettgehalt? Welches am meisten Proteine? Das machte den Kindern Spass.

Bei diesem Einkauf sind Sie sicher auch auf Nutriscores gestossen, die anhand einer Farbenskala die Ausgewogenheit eines Nahrungsmittels kennzeichnen. Wie stehen Sie dazu?

Gut daran ist, dass sie eine Richtschnur bieten, die alle Konsumentinnen und Konsumenten verstehen. In der Praxis bringt der Nutriscore aber durchaus Probleme mit sich. Denn die Angaben sind auf eine gesunde, normalgewichtige und erwachsene Person ausgelegt. Sobald diese Parameter variieren, sind die Angaben nicht mehr zuverlässig und können ein Nahrungsmittel nicht angemessen bewerten.

Wie erkennt man als Eltern, ob die Schulmensa ausgewogen kocht?

Mensen können Zertifizierungen hinsichtlich der Qualität und Abwechslung des Essens erwerben. Ein bekanntes Zertifikat in der Schweiz ist die Fourchette verte. Hierbei kommen ausgebildete Ernährungsberaterinnen und -berater mehrmals jährlich vorbei und kontrollieren das Angebot auf seine Ausgewogenheit.

«Der Esstisch soll kein Erziehungsort sein.»

Ein Problem an Mensen: Es fehlt die Person am Esstisch, die den Kindern befiehlt, die Gemüsebeilage zu essen.

Der Esstisch soll kein Erziehungsort sein. Viel wichtiger ist, dass man dem Kind das Gemüse immer wieder in verschiedenen Formen anbietet. Ein erhoffter Effekt des Mittagstischs ist aber, dass sich die Kinder untereinander gesunde Essgewohnheiten abschauen können.

«Manchmal muss man kreativ werden, um Kinder für gesundes Essen zu begeistern.»

Kinder sind oftmals heikel, was Nahrungsmittel angeht. Wie lassen sie sich für den Apfel oder das Rüebli begeistern anstelle des Schokoriegels?

Das ist unterschiedlich. Es kann zum Beispiel auf die Art ankommen, wie etwas präsentiert wird. Serviere ich einen Apfel, der schon geschnitten ist, greifen Kinder eher zu, als wenn sie einen ganzen Apfel vor sich haben. Oder aber man bietet Alternativen an – beispielsweise getrocknete Apfelringe. Manchmal muss man kreativ werden, um Kinder für gesundes Essen zu begeistern.

Die Essgewohnheiten werden immer komplexer. Einerseits wegen freiwilligen Verzichts auf Lebensmittel wie beim Vegetarismus, andererseits wegen Unverträglichkeiten. Wie sollen Schulen damit umgehen?

Die Lehrpersonen sollten beobachten und sich allenfalls Notizen machen. Dank seiner Lehrerin kam beispielsweise ein Mädchen zu mir in die Praxis. Sie war bereits nach der Znünipause stets müde. Es zeigte sich, dass sie tatsächlich unter einer Mangelernährung litt, weil sich die Familie vegan ernährt hatte. Die Lehrpersonen sollten also aufmerksam sein. Es kommt hinzu: In Sachen Ernährung sind Lehrpersonen ein Vorbild. Trinkt die Lehrerin immerzu Cola und isst Süssigkeiten im Schulzimmer, kann man von Kindern nicht verlangen, dass sie darauf verzichten.

«Belohnungen sind immer gut, wenn man eine Leistung erbracht hat.»

Erlauben Sie mir noch eine ketzerische Frage: Ist es legitim, Süssigkeiten im Unterricht als Belohnung einzusetzen?

Das ist schwierig zu sagen. Belohnungen sind immer gut, wenn man eine Leistung erbracht hat. Hin und wieder darf es auch etwas Süsses sein. Wäre ich eine Lehrperson, würde ich mich fragen, wann es sinnvoll ist, etwas Süsses als Belohnung einzusetzen. Beispielsweise versuchten wir einer Schulklasse beizubringen, welche Kalorienzahl in etwa welcher Aktivität entspricht. Dazu mussten sie in die Velopedale treten und durften anschliessend die Menge verbrauchter Kalorien in Schokoladetäfeli essen. Bei diesem Beispiel ist die Belohnung also sehr passend.

Autor
Alex Rudolf

Datum

26.09.2024

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