Schulreise

Einmal schreiben wie Mönche im Mittelalter

Bei einem Besuch des Skriptoriums im Kloster Einsiedeln schreiben Schülerinnen und Schüler mit Federkiel und Tinte. Das Ergebnis dürfen sie mit nach Hause nehmen.

Blick über die Schulter von Rita Kälin. Sie schreibt mit einer Feder schwungvolle Buchstaben auf ein Papier, während die Schülerinnen und Schüler zuschauen. Fotos: Jonas Wydler
Rita Kälin zeigt den Schülerinnen und Schülern, wie das Schreiben mit dem Federkiel funktioniert. Fotos: Jonas Wydler

Neun Schülerinnen und Schüler der fünften und sechsten Klasse stehen an diesem kalten Wintersamstag vor der Hofpforte des Klosters Einsiedeln. Freiwillig sind sie in aller Herrgottsfrühe aus verschiedenen Ecken des Kantons Glarus angereist, um mit Federkiel und Tinte eine über 100 Jahre alte Schrift zu lernen.

Sie sind hier zu Besuch im Rahmen des ökumenischen Religionsunterrichts. Ein gemeinsamer Unterricht für verschiedene Konfessionen wäre früher undenkbar gewesen. Sogar die reformierte Stadtkirche in Glarus werde gemeinsam von Katholiken und Reformierten genutzt, wie die begleitende Pfarrperson Manja Pietzcker von der Kirchgemeinde Grosstal im Gespräch sagt. «Wir leben in ökumenischer Verbundenheit. Das gab anfangs kritische Fragen und Diskussionen. Inzwischen ist das kein Problem mehr. Die Kinder lernen mit Verschiedenheit umzugehen.»

Zurück von der Ökumene ins katholische Kloster: Die ehemalige Lehrerin Rita Kälin begrüsst die Schülerinnen und Schüler, wärmt sie mit dem wichtigsten Wissen über die Klosteranlage auf und führt sie schliesslich den langen Weg durch das Internat ans Ziel dieses Vormittags: ins Skriptorium, die mittelalterliche Schreibstube. Diese liegt hinter einer unscheinbaren Tür im Hauptgebäude des Klosters, zwei Stockwerke über der historischen Barockbibliothek.

Pergament und Tinte riechen

Das Zimmer mit schönem Ausblick diente lange als Lagerraum. Seit knapp zwei Jahren ist es ein Skriptorium. Hier wird aber nicht nur geschrieben: Es ist Museum und Workshop in einem. Bevor sich die Kinder auf die Bänke setzen und selbst eine Feder ansetzen, kitzelt Rita Kälin das vorhandene Wissen aus ihnen heraus: Woraus wurde früher Tinte hergestellt? Woraus andere Farben? Mit was schreiben wir eigentlich? Und wie riecht Pergament? Das wird hier alles nicht nur theoretisch abgehandelt, sondern mit allen Sinnen: Pergament aus Schafshaut geht durch die Hände und alle schnuppern an einem Fläschchen Tinte – «Wäh, wie das stinkt!»

Die Gruppe lernt, wofür das Falzbein diente, dass man auch mit Bambus schreiben konnte und aus welchen Materialien früher aufwendig Farben hergestellt wurden: aus Galläpfeln, Schildläusen, Purpurschnecken, Lapislazuli oder Eisensulfat. Diese Materialien hatten oft eine Weltreise hinter sich. Es wird jetzt gut nachvollziehbar, wieso ein Buch damals ein Vermögen gekostet hat.

Ziehen, nicht stossen

Bei aller Geduld und Neugierde – jetzt wollen die Kinder selbst ausprobieren. Statt auf Pergament wird im Workshop auf normales Papier gekritzelt. Statt mit Tinte aus Kohle wird mit solcher aus der Schale der Walnuss geschrieben. Und als Werkzeug dient eine Metallfeder, die es vor Jahrhunderten so noch nicht gab. Die Schrift, welche die Schülerinnen und Schüler gleich zu Papier bringen werden, heisst Unziale.

«Wie geht das nur?», fragt eine Schülerin ungläubig.

Rita Kälin zeigt zuerst vor: Winkel, Druck, Haltung – alles ist hier ein bisschen anders als im Schulzimmer. «Wie geht das nur?», fragt eine Schülerin ungläubig, während die Leiterin feine, breite, runde oder gerade Linien zieht. «Ziehen, nie stossen», antwortet sie.

Mehr Ausflugstipps für Klassen gibt es in der Rubrik Schulreise: bildungschweiz.ch > Schulreisen

Mit dem nötigen Werkzeug ausgestattet, nehmen die Kinder nun selbst Platz an den schweren Holzmöbeln und sogleich ist es totenstill. Zehn Minuten lang üben sie auf einem Fresszettel die Buchstaben, bevor sie auf einem schönen Papier etwas in Reinschrift schreiben. Dieses soll danach als Buchzeichen dienen. Die meisten Kinder schreiben ihren Namen drauf. Vorsichtig starten sie erste Versuche – und man bekommt langsam ein Gefühl dafür, wieso ein Mönch früher mehrere Jahre brauchte, um die Bibel abzuschreiben. Und wie Schreiben in einen meditativen Zustand versetzen kann.

Vertieft in Schreibarbeit

Die Kinder sind hoch konzentriert und beugen sich über das Papier. Vor allem die Linkshänder unter ihnen sind gefordert, damit es nicht schmiert. «Das R ist mega schwierig», sagt eine Schülerin. «Und man darf ja nicht zu fest drücken», hat eine andere soeben selber erfahren. Ein Schüler hat es zu gut gemeint mit der Tinte, nimmt das Geschmiere aber mit einem Achselzucken hin: «Das muss jetzt halt so sein.» Danach versucht er, das Ganze durch Schnörkel zu retten. Unter seiner Kapuze beobachtet «Heiri» das Geschehen stoisch von einer Ecke aus – eine Figur von Heinrich von Ligerz, der im 14. Jahrhundert als Schreiber im Kloster Einsiedeln lebte.

«Es hat sehr Spass gemacht, 10 von 10 Punkten.»

Die Gruppe hätte gern noch länger geschrieben. Das konzentrierte Hantieren mit Federkiel und Tinte hat ihr gefallen. Ein zuvor ungeduldig wirkender Schüler hat vor lauter Konzentration gar nicht mitbekommen, dass die Gruppe schon langsam aufbricht – das Mittagessen wartet. «Es hat sehr Spass gemacht, 10 von 10 Punkten», sagt er noch, bevor er vorsichtig sein noch feuchtes Buchzeichen einpackt und sich der Gruppe anschliesst.

Kontrastprogramm am Nachmittag

Nach dem Mittag steht für die Gruppe der Monkstrail auf dem Programm. Das ist ein guter Kontrast zum konzentrierten Stillsitzen und Schreiben: Mit detektivischem Spürsinn und einer Portion Mut geht es auf eine Schnitzeljagd kreuz und quer über das Gelände und durch die Welt der Mönche.

Dabei erfährt man Spannendes und Wissenswertes aus der Geschichte des Klosters Einsiedeln sowie dem heutigen Leben der dortigen Mönche. Zudem begegnet man an unerwarteten Orten allerlei Tieren, klopft an schwere Türen und kann über die prächtigen Bauten staunen.

Wer es weniger abenteuerlich mag, hat viele andere Optionen, den Ausflug in einem der wichtigsten Wallfahrtsorte Europas zu verlängern: So gibt es etwa verschiedene Führungen über das Klostergelände oder durch die Stiftsbibliothek. In der Region Einsiedeln locken weitere Aktivitäten. Die schöne Natur in der Umgebung lädt zum Wandern oder Spazieren ein und die Aktivitäten lassen sich mit verschiedenen Zielen in der Umgebung verbinden: Die Etzelkapelle und die Gangulfkapelle liegen am Jakobsweg, der sich vom Zürichsee über den Etzelpass nach Einsiedeln zieht.

Das Frauenkloster Au liegt 30 Gehminuten vom Kloster Einsiedeln entfernt und ist Ziel vieler Spaziergängerinnen und Spaziergänger, die hier einen Moment der Stille suchen. Zudem locken verschiedene Picknickplätze Familien, Kinder- und Jugendgruppen sowie Wanderinnen und Wanderer an. Und im Dorf Einsiedeln schliesslich finden sich weitere Sehenswürdigkeiten wie das Panorama, das Diorama und kleine Museen wie das Lebkuchenmuseum.

Nützliche Informationen

Der Besuch der mittelalterlichen Schreibstube eignet sich für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Zugelassen sind Gruppen bis maximal 25 Personen. Ein Standard-Workshop unter fachkundiger Begleitung dauert rund 60 Minuten, mit vorgängigem Einblick in die Stiftsbibliothek 90 Minuten. Für Schulklassen kostet der Workshop 180 Franken, verbunden mit einem Besuch der Bibliothek 220 Franken. Geöffnet hat das Skriptorium von Montag bis Samstag, von 10 bis 18 Uhr – Anmeldung erforderlich.

Mehr Informationen zum Skriptorium: kloster-einsiedeln.ch/skriptorium

Mehr Informationen zum Monkstrail: kloster-einsiedeln.ch/monkstrail

Autor
Jonas Wydler

Datum

29.02.2024

Themen