Neun Schülerinnen und Schüler der fünften und sechsten Klasse stehen an diesem kalten Wintersamstag vor der Hofpforte des Klosters Einsiedeln. Freiwillig sind sie in aller Herrgottsfrühe aus verschiedenen Ecken des Kantons Glarus angereist, um mit Federkiel und Tinte eine über 100 Jahre alte Schrift zu lernen.
Sie sind hier zu Besuch im Rahmen des ökumenischen Religionsunterrichts. Ein gemeinsamer Unterricht für verschiedene Konfessionen wäre früher undenkbar gewesen. Sogar die reformierte Stadtkirche in Glarus werde gemeinsam von Katholiken und Reformierten genutzt, wie die begleitende Pfarrperson Manja Pietzcker von der Kirchgemeinde Grosstal im Gespräch sagt. «Wir leben in ökumenischer Verbundenheit. Das gab anfangs kritische Fragen und Diskussionen. Inzwischen ist das kein Problem mehr. Die Kinder lernen mit Verschiedenheit umzugehen.»
Zurück von der Ökumene ins katholische Kloster: Die ehemalige Lehrerin Rita Kälin begrüsst die Schülerinnen und Schüler, wärmt sie mit dem wichtigsten Wissen über die Klosteranlage auf und führt sie schliesslich den langen Weg durch das Internat ans Ziel dieses Vormittags: ins Skriptorium, die mittelalterliche Schreibstube. Diese liegt hinter einer unscheinbaren Tür im Hauptgebäude des Klosters, zwei Stockwerke über der historischen Barockbibliothek.
Pergament und Tinte riechen
Das Zimmer mit schönem Ausblick diente lange als Lagerraum. Seit knapp zwei Jahren ist es ein Skriptorium. Hier wird aber nicht nur geschrieben: Es ist Museum und Workshop in einem. Bevor sich die Kinder auf die Bänke setzen und selbst eine Feder ansetzen, kitzelt Rita Kälin das vorhandene Wissen aus ihnen heraus: Woraus wurde früher Tinte hergestellt? Woraus andere Farben? Mit was schreiben wir eigentlich? Und wie riecht Pergament? Das wird hier alles nicht nur theoretisch abgehandelt, sondern mit allen Sinnen: Pergament aus Schafshaut geht durch die Hände und alle schnuppern an einem Fläschchen Tinte – «Wäh, wie das stinkt!»