Schulzuteilung

Ein Algorithmus teilt Kinder in Klassen ein

Die Verteilung der Kinder auf Klassen und Schulen ist jedes Jahr herausfordernd. Es gilt, die Klassen möglichst ausgewogen zusammenzustellen. Nun schafft in Uster ein neues Tool Abhilfe bei der Zuteilung.

Eine Hand setzt Spielfiguren auf ein virtuelles Netz.
Wer kommt in welches Schulhaus? Die Planung ist für Schulbehörden ein aufwendiger Prozess, der mehrere Monate beanspruchen kann. Foto: iStock/Olivier Le Moal

Viele Eltern von Kindergartenkindern fürchten den Moment: Sie finden im Briefkasten einen Brief, in dem die Schulbehörde mitteilt, welche Schule und Klasse das Kind nach dem Schuleintritt besuchen wird. Die Zuteilung der Schulbehörde entspricht nicht immer den Vorstellungen der Eltern. So kontaktieren Erziehungsberechtigte vielerorts die Schulbehörde schon weit im Voraus, weil sie ihr Kind lieber in eine andere Schule schicken möchten. Die Phase der Zuteilung kann somit auch für Schulbehörden eine herausfordernde Zeit bedeuten.

Ziel ist es, möglichst ausgewogen zusammengesetzte Klassen zu schaffen.

Damit möglichst alle Beteiligten zufrieden sind, investieren Schulen viel Zeit und Überlegungen in die Zuteilung der Kinder. Ziel ist es, möglichst ausgewogen zusammengesetzte Klassen zu schaffen. Die Schulbehörden berücksichtigen dabei verschiedene Kriterien – darunter etwa die sprachliche und soziale Herkunft des Kindes, das Geschlecht oder die angestrebte Klassengrösse. Zudem versuchen die Schulen, die Wünsche der Eltern in die Planung einzubeziehen.

Algorithmus für gerechtere Zuteilung

Die Planung ist für Schulbehörden manchmal ein so aufwendiger Prozess, dass sie mehrere Monate in Anspruch nimmt. Das Erfassen und Auswerten der Daten, die für die Zuteilung relevant sind, erfolgen meist zeitaufwendig per Hand und am Computer.

Unterdessen gibt es unterdessen Software, die Abhilfe schaffen soll. Die Schule Uster im Kanton Zürich hat im letzten Frühling erstmals auf eine entsprechende Webapplikation gesetzt: Sie erstellte die Schul- und Klassenzuteilung mittels des Tools «isa – intelligent school allocation». Entwickelt wurde das Tool vom Politologen Oliver Dlabač, Gründer des Forschungs- und Beratungsunternehmens Ville Juste.

Ziel des isa-Tools ist nicht nur die Entlastung von Schulbehörden, Schulleitungen und Lehrpersonen, sondern auch die Erhöhung der Chancengerechtigkeit. «Die computergestützte Zuteilung kann dazu beitragen, die Ungerechtigkeit betreffend Wohnort und Schulzuteilung auszugleichen», sagt Patricia Bernet (SP). Denn: «Schulischer Erfolg hängt noch immer stark vom Wohnort, der Schulzuteilung sowie dem sozialen und finanziellen Hintergrund der Eltern ab.» Bernet ist Mitglied der Stadtregierung und oberste Schulverantwortliche von Uster.

Ein weiterer Vorteil der computergestützten Zuteilung sei auch, dass die Schulverwaltungen bessere Entscheidungsgrundlagen erhalten. Zuteilungsentscheide lassen sich so im Fall von Einsprachen nachvollziehbarer begründet werden. Die gewonnene Zeit können die Schulverwaltungen stattdessen für Einzelfälle nutzen oder auch zur Klassen- oder Schulraumplanung.

Zigtausende Kombinationen

«Der Algorithmus macht das, was eine zuständige Behörde tun würde, wenn sie sehr viel Zeit hätte, um Zigtausende möglicher Zuteilungskombinationen zu prüfen und fehlerfrei auszuwerten», erklärt Oliver Dlabač die Funktionsweise von isa. Bei der Zuteilung der Kinder müssen die vorbereitenden Schulleitungen und Schulverwaltungen eine hohe Anzahl Kriterien berücksichtigen. «Ohne Hilfstool ist das nicht leistbar», so der Forscher. Die meisten dieser Kriterien sind gesetzlich vorgegeben. So muss die Schule beispielsweise garantieren, dass der Schulweg möglichst kurz und sicher ist. Die Klassen müssen ausserdem ausgewogen zusammengestellt sein. Dabei spielen Faktoren wie das Geschlecht, die Leistungsfähigkeit sowie die soziale und sprachliche Herkunft der Kinder eine Rolle. Der individuelle Förderbedarf darf ebenfalls nicht ausser Acht gelassen werden.

Vorschläge prüfen

Das Tool kann alle diese Kriterien bei der Planung berücksichtigen und dabei Informationen nutzen, die den Schulverwaltungen nicht zur Verfügung stehen. «Um bei der Schulzuteilung die Zusammensetzung nach sozialer Herkunft schätzen zu können, zieht isa neben schuleigenen Daten auch anonymisierte Steuerdaten zu Kleinquartieren bei», erklärt Dlabač. Basierend darauf erstellt isa Vorschläge, wie die Kinder auf die verschiedenen Schulstandorte verteilt werden können. Ganz ohne menschliches Zutun funktioniert der Prozess aber nicht. «Die Vorschläge werden weiterhin sorgfältig durch die zuständigen Stellen überprüft und angepasst. Es gibt auch immer Einzelfälle, wo besondere Umstände berücksichtigt werden müssen», sagt Dlabač.

Klassenzusammensetzung als entscheidender Faktor

Studien zeigen, dass die Zusammensetzung einer Klasse die Leistungen von Schülerinnen und Schülern beeinflusst. Gemäss dem akutellen Bildungsbericht der Schweiz spielt das Phänomen unter anderem an sogenannten «Risikoschulen» eine Rolle – Schulen mit einem hohen Anteil an fremdsprachigen Lernenden oder Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Haushalten. Ein Pisa-Bericht von 2016 zeigte: In der Schweiz hat die Klassenzusammensetzung einen auffallend starken Einfluss auf die Leistung der Entscheidend ist dabei der sogenannte Kippeffekt. Eine Leistungseinbusse für die gesamte Klasse tritt nämlich erst dann ein, wenn der Anteil an Kindern mit besonderem Förderbedarf über 30 bis 40 Prozent beträgt. Dann «kippt» die Leistung der Klasse. Neuere Studien bestätigen diesen Kippeffekt, auch im Zusammenhang mit dem Anteil integrierter Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf in Regelklassen. Die Forschung empfiehlt deshalb, auf die Zusammensetzung von Schulklassen ein besonderes Augenmerk zu legen.

Stetige Auswertung

Nutzerinnen und Nutzer können im Tool prüfen, wie sich unterschiedliche Varianten der Klassen- und Schulraumplanung auf die Schulwege, Auslastungen und Zusammensetzung der Klassen auswirken. Die manuellen Anpassungen an den Einzugsgebieten und an den Einzelzuteilungen in Schulen und Klassen werden in Echtzeit ausgewertet. «Die für jedes Kind simulierten Schulwege und deren Länge bleiben im Tool dokumentiert», sagt Dlabač. Den grössten Nutzen biete das Tool in Gemeinden, wo es dichter bebaute Wohngebiete und gut erreichbare alternative Schulstandorte gebe. Lohnenswert könne es auch für kleinere Gemeinden sein: Diese könnten das Tool bei Bedarf nur mit der Funktion für die Klassenzuteilungen beziehen.

«Die Lehrpersonen haben durch die bessere Durchmischung eine Entlastung wahrgenommen.»

Uster empfiehlt das Tool weiter

Getestet wurde das isa-Tool bislang flächendeckend in zwei Stadtzürcher Schulkreisen sowie in den Primarschulen Uster und Dübendorf. Die Schule Uster hat die App nach dem Test auch gleich für die Schulzuteilung angewendet und ist mit dem Tool zufrieden. Patricia Bernet zieht rund ein Jahr später eine positive Bilanz. Sie könne das Tool anderen Schulen weiterempfehlen. Die Rückmeldungen der Lehrerinnen und Lehrer seien ebenfalls gut. «Die Lehrpersonen haben durch die bessere Durchmischung eine Entlastung wahrgenommen», sagt sie. Fremdsprachige Kinder haben nun in allen Schulklassen ausreichend Sprachvorbilder. Zudem scheinen das allgemeine Wohlbefinden und das Lernklima von den ausgewogenen Zusammensetzungen zu profitieren. Positiv reagiert hätten auch die ausgewählten Eltern, die sich in Workshops vertieft mit dem Verfahren auseinandergesetzt haben. «Die Einsprachen haben gegenüber früheren Schuljahren sogar abgenommen», so Bernet.

Weitere Gemeinden interessiert

Indes haben weitere Gemeinden Interesse am isa-Tool signalisiert. «Sie informieren sich aktuell über die gemachten Erfahrungen in Uster», sagt Dlabač. Ab diesem Herbst steht isa dann sämtlichen interessierten Schulen gegen eine jährliche Lizenzgebühr zur Verfügung.

Oliver Dlabač und sein Team sind aktuell damit beschäftigt, das Tool weiterzuentwickeln. «Aktuell arbeiten wir an der Anwendungsfreundlichkeit der Webapplikation. Die Schnittstellen werden so gestaltet, dass das Tool universell in der Schweiz und auch in weiteren Ländern angewendet werden kann.» Zudem werde geprüft, ob künftig auch besondere Zuteilungswünsche in die Planung integriert werden könnten – etwa aufgrund förderlicher oder nachteiliger Verhältnisse zwischen Schülerinnen und Schülern.

Weiter im Netz

Mehr Informationen zum isa-Tool für Schulzuteilung – villejuste.com

Autor
Caroline Kienberger

Datum

08.02.2024

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