Schulreise

Die Schule, die ihr Angebot streicht und trotzdem viel bietet

Die Geigenbauschule Brienz ist ein Bjiou im Berner Oberland. Inmitten einer wunderbaren Landschaft lehrt die Schule nicht nur das Handwerk, sie öffnet ihre Türen auch für interessierte Gruppen. So ein Besuch ist lebendiger, fächerübergreifender Unterricht.

Ein kleines Mädchen strecicht mit einem Bogen über einen Kontrabass.
In der Geigenbauschule Brienz dürfen die Kinder Instrumente ausprobieren. Fotos: Mireille Guggenbühler

Birgit Steinfels schaut aus dem Fenster im Gang der Geigenbauschule Brienz im Kanton Bern. «Da sind sie!», sagt die Schulleiterin und zeigt auf den Dorfweg zwischen den alten, schmucken Häusern in Brienz West. 20 Schülerinnen und Schüler der Primarschule Zofingen, Kanton Aargau, kommen den Weg entlang.

Die Kinder aus der ersten bis dritten Klasse sind an diesem Vormittag bereits um halb acht Uhr in den Zug gestiegen, um die Geigenbauschule zu besuchen. Im Rahmen einer Projektwoche widmen sie sich mit zwei Musiklehrerinnen eine Woche lang den Streichinstrumenten. Sie lernen diese nicht nur aus der Ferne kennen: Dank dem Engagement der beiden Lehrerinnen Janine Frey und Arlette Dumrath haben die Schülerinnen und Schüler von einem Geigenbauer auch Instrumente zur Verfügung gestellt bekommen, die sie spielen dürfen. Der Besuch der Geigenbauschule ist nun ein Höhepunkt in dieser Woche.

Mehr Ausflugstipps für Klassen gibt es in der Rubrik Schulreise: bildungschweiz.ch > Schulreisen

Geigenbau im Glaserhaus

Die Geigenbauschule ist in einem historischen Chalet, dem Glaserhaus, untergebracht. Vor wenigen Jahren wurde es aufwendig saniert und um einen Anbau erweitert. In diesem befinden sich heute die Werkstätten, während im historischen Teil Bibliothek, Büro und Gemeinschaftsküche untergebracht sind.

In der ausgebauten Dachkammer finden Konzerte sowie Schul- und Lehrveranstaltungen statt. Das Glaserhaus wirkt freundlich, einladend und strahlt dank dem vielen Holz Wärme und Behaglichkeit aus. Nicht minder freundlich und warm ist der Empfang durch die Schulleiterin Steinfels: Sie freut sich sichtlich auf den Besuch der Kinder.

Auf erklärende Worte folgen handfeste Materialien.

Erfahrungen mit allen Sinnen

Einige der Kinder spielen selbst Geige, andere nicht. Doch alle wissen bereits dank der Projektwoche, dass man Geigen oder andere Streichinstrumente aus Holz baut. Interessiert hören sie den Ausführungen von Steinfels zu, die sich kurz und prägnant ausdrückt. Auf erklärende Worte folgen handfeste Materialien. Die Schülerinnen und Schüler sollen nämlich nicht nur theoretisches Wissen erhalten, sondern den Geigenbau mit allen Sinnen erleben.

Steinfels führt die sie deshalb ins Holzlager. Hier lagern Fichtenholzstücke in allen Grössen und Formen. Erstaunlich, dass aus diesen rohen Stücken dereinst ein so filigranes Musikinstrument wie eine Geige entstehen kann. Die Kinder dürfen die Holzstücke betasten und in den Händen drehen. So können sie erleben, wie sich das Geigenbaumaterial anfühlt und wie es aussieht. Später erklärt Steinfels anhand von Holzklötzen den Unterschied zwischen den Holzarten Fichte, Ahorn und Ebenholz. Vor allem diese werden im Geigenbau verwendet.

Eine alte Kunst

Schon nach kurzer Zeit ist klar: Ein Besuch an der Geigenbauschule Brienz deckt fächerübergreifend zahlreiche Inhalte ab. Nicht nur für den Musikunterricht, auch für Natur, Mensch, Gesellschaft hat das Museum zum Beispiel wegen dem benötigten Holz und dessen Herkunft Bedeutung. Ausserdem erhalten Besucherinnen und Besucher Einblick in einen Ort, in dem Handwerkskunst gelebt wird. Denn zurück im Haus besuchen die Schülerinnen und Schüler die Werkstatt. Hier arbeiten normalerweise die Lernenden der Geigenbauschule an ihren hölzernen Übungsstücken.

Insgesamt zwölf Lernende absolvieren in Brienz zurzeit eine vierjährige Lehre zum Geigenbauer oder zur Geigenbauerin mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Pro Jahr bietet die Geigenbauschule drei Ausbildungsplätze an. Trägerin der privaten Lehrwerkstatt ist die Stiftung Geigenbauschule Brienz.

Das Handwerk des Geigenbaus ist seit Jahrhunderten unverändert.

Im Moment haben die angehenden Geigenbauerinnen und Geigenbauer in der ausgebauten Dachkammer der Schule Instrumentalunterricht, weshalb die Werkstatt leer ist. Die Lernenden werden nicht nur im Bau von Geigen angeleitet, sondern auch in der Herstellung von Bratschen, Celli oder Kontrabässen – dem gesamten Spektrum der Streichinstrumente also.

Das Handwerk des Geigenbaus ist seit Jahrhunderten unverändert. Einzig die Hilfsmittel, die zum Einsatz kommen, sind etwas anders. Der Computer ist auch beim Geigenbau nicht mehr wegzudenken. So können für Restaurierungsarbeiten heute beispielsweise 3-D-Modelle erstellt werden. Doch für den eigentlichen Bau der Streichinstrumente braucht es nach wie vor Kopf, Hand und Herz. Wer die Ausbildung als Geigenbauer oder Geigenbauerin ergreift, trägt nicht zuletzt zum Erhalt eines immateriellen Kulturerbes bei.

Zwischen Instrument und Hobelspänen

Die Werkstatt versetzt die jungen Schülerinnen und Schüler aus Zofingen ins Staunen: Die Lernenden der Geigenbauschule haben ihre aktuellen Projekte nämlich auf den Werkbänken liegen lassen. Ein Cello im rohen Zustand wirkt doch ganz anders als ein fertig gebautes Instrument.

Die Werkplätze der Lernenden sind hell und freundlich. Hier werden Teile wie die Schnecke, die Wirbel zum Anziehen der Saiten, das Griffbrett sowie die Decke und der Boden des Instrumentenkorpus hergestellt. Hobel, Stichel, Stechbeitel, Messer, Geigenbaulöffel – alle diese Werkzeuge braucht es, um eine Geige bauen zu können. Einige der Werkzeuge kennen die Buben und Mädchen bereits, andere nicht. Noch spannender finden sie allerdings die dicken Hobelspäne, die überall auf den Werkbänken und am Boden herumliegen.

Ein unerwartetes Konzert

Nach dem Besuch und den Erläuterungen in der Werkstatt dürfen sich die Kinder auf leisen Sohlen in die Dachkammer schleichen, wo die angehenden Geigenbauerinnen und Geigenbauer gemeinsam an einem Musikstück üben. Die jungen Männer und Frauen spielen hingebungsvoll, was auch die Kinder spüren: Sie sagen während des kurzen Konzertes kein Wort.

Danach geht es in der Bibliothek der Geigenbauschule weiter. Die Schulleiterin erklärt den Kindern die einzelnen Bauteile eines Cellos, die sie auch anfassen und anschauen dürfen. Ungefähr 150 Stunden braucht ein fertig ausgebildeter Geigenbauer oder eine routinierte Geigenbauerin, um eine Geige herzustellen.

Nach der Führung durch die Geigenbauschule dürfen die Kinder nun noch die Dauerausstellung besuchen, die sich um die Geige in der Schweiz und den Geigenbau dreht. Hier dürfen auch In-strumente angespielt werden. Die beiden Schülerinnen Joanne und Nayeli diskutieren dabei über die Saitendicke beim Kontrabass. Dass sie diesen spielen dürfen, findet ihre Kollegin Lina super. Ihr Fazit: «Ich wusste zwar schon ein bisschen von einem Video, wie Geigenbau geht. Aber hier ist es viel spannender, weil man alles echt sieht und anfassen darf.»

Nützliche Informationen

Schulen bezahlen für die einstündige Führung durch die Geigenbauschule Brienz (maximal 25 Personen) 100 Franken, ausserhalb der Arbeitszeiten und während der Schulferien 150 Franken. Die Geigenbauschule ist zehn Gehminuten vom Bahnhof Brienz West entfernt. Für Klassen, welche die Geigenbauschule im Sommer besuchen, lohnt sich ein Abstecher ins idyllische Strandbad Brienz. Auswärtige Schulen bezahlen pro Kind zwei Franken. Es ist auch möglich, mit dem Schiff nach Interlaken Ost zurückzufahren. Der Gruppentarif Brienz-Interlaken Ost für Schulklassen beträgt 12.40 Franken pro Kind. Mehr Informationen: geigenbauschule.ch; strandbadbrienz.ch, bls-schiff.ch

Autor
Mireille Guggenbühler

Datum

20.03.2024

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