Medizinisches Angebot

Die School Nurse kommt in die Schweiz

In der Westschweiz ist sie schon unterwegs, die School Nurse. Nun gibt es auch Bestrebungen in Deutschschweizer Kantonen, das aus den USA kommende Konzept einzuführen.

Speaking to students about vaccinations
In den USA ist die School Nurse bereits seit vielen Jahren für die Gesundheitsversorgung an den Schulen im Einsatz. Foto: iStock/FatCamera

Während der Coronapandemie stellten sich Schulen plötzlich dringende Aufgaben: Wie sollen sich Lehrpersonen schützen können? Welche Hygienemassnahmen gelten? Wie können sie im konkreten Fall umgesetzt werden? Jedenfalls mussten Lehrpersonen Tätigkeiten übernehmen, die über ihre Lehrkompetenzen hinausgingen.

Der Umgang mit chronischen Krankheiten ist im Schulalltag eine Herausforderung.

Wenn Schulen in solchen Fällen ausgebildetes Personal beiziehen könnten, wie etwa Gemeinden die Spitex, wäre das eine Entlastung. In der Schweiz haben bisher einzig die Kantone Genf, Jura und Waadt sowie inzwischen auch Obwalden ein solches Angebot in Form von School Nurses eingeführt (siehe dazu Box «School Nurse»).

Neue Versorgungsmodelle sind gefragt

«Schulen können gesundheitsbezogene Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern nicht allein abdecken. Es ist für Lehrerinnen und Lehrer schwierig, sich daneben noch auf ihr Kerngeschäft, die Pädagogik, zu konzentrieren», sagt Margarithe Schlunegger von der Berner Fachhochschule (BFH). Schlunegger hat im Auftrag der BFH das Projekt Smile durchgeführt, eine Studie zur mobilen School Nurse in Deutschschweizer Schulen.

Um Schülerinnen und Schüler zu begleiten, Lehrpersonen im Schulalltag zu unterstützen und die Eltern zu beraten, sind neue Versorgungsmodelle mit niederschwelligem Zugang in Schweizer Schulen notwendig. Vor allem der Umgang mit chronischen Krankheiten stellt zunehmend eine Schwierigkeit im Schulalltag dar. So sind mittlerweile rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Schulalter in der Schweiz chronisch krank. Sie benötigen zu Hause und in der Schule Unterstützung, damit sie die Krankheit bewältigen und gleichzeitig am Schulunterricht teilnehmen können. Neben den somatischen Erkrankungen wurde in den letzten Jahren zudem auch ein Anstieg an psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen festgestellt.

School Nurse als mögliche Lösung

Ein Ansatz für eine adäquatere Gesundheitsversorgung von Schülerinnen und Schülern könnte die School Nurse sein, wie sie etwa in den USA oder in Schweden schon seit vielen Jahren im Einsatz ist. Für eine Bedarfsabklärung und Implementierungsoptionen führte Schlunegger von Herbst 2022 bis Sommer 2023 in Zusammenarbeit mit zwei Schulen im Kanton Bern eine Machbarkeitsstudie durch. «Im Rahmen unserer Studien schilderte uns beispielsweise eine Schulleitung im Kanton Bern den Fall eines Mädchens mit Diabetes, bei dem es immer wieder zu Blutzuckerentgleisungen kam. Niemand von den Lehrpersonen wusste, wie man damit umgehen sollte», erklärt Schlunegger.

«Lehrpersonen haben nicht die Ausbildung, um etwa Spritzen zu setzen.»

Ein betriebliches Gesundheitsmanagement an Schulen ist schon seit geraumer Zeit ein Thema. Aber braucht es an Schweizer Schulen wirklich weiteres Fachpersonal? Schulsozialarbeiterinnen decken heute bereits viel ab und unterstützen Lehrpersonen im Schulalltag, vor allem im psychologischen Bereich. «Bei unserer Befragung zu einem Einsatz von School Nurses wurden Kritikpunkte laut, etwa unnötige zusätzliche Schnittstellen oder eine zu geringe Auslastung», erläutert Schlunegger. «Wir konnten hier schon viel Vorarbeit leisten und haben für den Kanton Bern ein Stellenprofil erarbeitet, wie die School Nurse mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten kann.» Es sei gar nicht die Frage, ob sie etwas wegnehme. Sie stelle eher eine nötige Ergänzung dar, Kinder und Jugendliche gesundheitlich zu unterstützen.

School Nurse

In den Westschweizer Kantonen Genf, Jura und Waadt ist das Konzept der School Nurse bereits etabliert. Im Kanton Waadt etwa betreuen 120 School Nurses (73 Vollzeitstellen) rund 92 000 Kinder und Jugendliche. Zusammen mit Kinderärztinnen und Kinderärzten entscheiden sie über schulische Impfpläne und koordinieren die Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. In der deutschsprachigen Schweiz befindet sich die Rolle der School Nurse noch in der Pionierphase.

Auch die Eltern sind in der Pflicht

Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) sieht in der School Nurse grundsätzlich einen guten Ansatz, Lehrpersonen bei medizinischen Problemen im Schulalltag zu entlasten. «Als Lehrerin weiss ich, wie belastend es sein kann, wenn man im Unterricht chronisch kranke Kinder betreuen muss. Lehrpersonen haben nicht die medizinische Ausbildung, um etwa Spritzen zu setzen oder auf eine lebensbedrohliche Situation, etwa einen epileptischen Anfall, zu reagieren», sagt Dagmar Rösler, Präsidentin LCH.

School Nurses sollen in ländlichen Gebieten mobil unterwegs sein.

Grundsätzlich stehe sie der Idee einer School Nurse positiv gegenüber, da sie Lehrpersonen mehr Sicherheit bieten könnte. «Aber es sollte ein niederschwelliges Angebot sein. Zumal Finanzierung und Organisation nicht geregelt sind.» Rösler sieht in diesem Kontext aber auch die Eltern in der Pflicht: «Der Support der Eltern ist hier genauso wichtig. Sie sollten Lehrpersonen bei chronischen Krankheiten über die Behandlung informieren und mit ihnen eng zusammenarbeiten.»

Studien belegen positive Wirkung

Welche positiven Effekte die School Nurse hat, machen internationale wissenschaftliche Studien deutlich. Dort, wo sie tätig sind, wurde die Krankheitsrate gesenkt, es gab weniger Fehlzeiten von Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen wurden entlastet und Arztbesuche sowie Übertritte in Notfallstationen reduziert. Bei chronisch kranken Kindern entwickelte sich das Symptom- und Selbstmanagement positiv und Jugendliche mit psychischen Problemen wurden nach einem Aufenthalt in Psychiatrien wieder besser in die Schule integriert.

Ab dem Herbstsemester 2024 wird die Berner Fachhochschule für die Ausbildung zur School Nurse im Masterstudiengang Pflege das neue Wahlmodul «Schulgesundheitspflege – School Nursing» anbieten. «Zudem finden erste Abklärungen statt, wie ein Pilotprojekt für den Einsatz einer School Nurse in Schulen im Kanton Bern realisiert werden könnte», berichtet Schlunegger. Die frisch ausgebildeten School Nurses sollen in ländlichen Regionen mobil unterwegs sein und jeweils mehrere kleine Schulen abdecken.

Erste Erfahrungen in Obwalden

Als erster Deutschschweizer Kanton hat Obwalden in einem Pilotprojekt bereits Erfahrungen mit einer School Health Nurse gesammelt. Seit August 2022 betreut hier Martina Küchler mobil die neun Schulen im Kanton. «Mein Fokus liegt auf den gesundheitlichen Beratungsgesprächen der neunten Klassen, die zuvor von den Gemeindeärzten gemacht wurden», so die diplomierte Pflegefachfrau Höhere Fachschule mit entsprechender Zusatzausbildung. Die Finanzierung der School Health Nurse trägt der Kanton. Zusätzliche Kosten seien dadurch nicht entstanden, sagt Küchler: «Früher gab es für die Eltern einen Gutschein von 90 Franken für die schulärztliche Untersuchung.» Dieser Betrag sei durch die Leistungen der School Health Nurse optimiert worden.

In der Zusammenarbeit mit Lehrpersonen hat sie bisher gute Erfahrungen gemacht. «In unserem kleinen Kanton war ich bereits vorher schon bei den Schulen durch die Hörkontrollen gut bekannt», berichtet Küchler. Zudem sei ihre Rolle klar definiert und zu den Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern abgegrenzt. «Ich bin ausschliesslich bei gesundheitlichen Fragen Ansprechperson.»

Über die Beratungsgespräche hinaus habe sich ihre Rolle schon so etabliert, dass sie immer häufiger von Lehrpersonen bei Fragen oder Problemen angerufen würde: «Sie holen sich beispielsweise bei Fällen von Krätze oder Schuppenflechte meine Hilfe oder fragen meine Unterstützung bei dem Thema Verhütung an.» Für die Zukunft sieht die ausgebildete School Heath Nurse deshalb gute Chancen, dass ihr Profil weiter ausgebaut werden könnte: «Als School Health Nurse kann ich im Schulalltag wertvolle medizinische Unterstützung leisten, etwa wenn ein Kind nach der Krebsbehandlung wieder in die Schule zurückkehrt.»

Gesundheitsmanagement

Neben der School Nurse, die sich um das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler kümmert, braucht es auch einen Blick auf die Gesundheit der Lehrpersonen und der Schulleitung. So sieht es die Allianz betriebliche Gesundheitsförderung, die unter anderem auch vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz getragen wird. Jüngst wurde ein Argumentarium dazu veröffentlicht, warum die Investition in die Gesundheitsförderung sinnvoll ist. Die Zufriedenheit der Lehrpersonen stehe in direktem Zusammenhang mit der Qualität von Unterricht und Erziehung, ist darin etwa nachzulesen. Zudem seien gesunde und zufriedene Lehrpersonen weniger häufig abwesend. Welche konkreten Massnahmen umgesetzt werden sollten, müsse in individuellen Prozessen eruiert werden. Mehr Informationen

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Autor
Brigitte Selden

Datum

24.09.2024

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