Lehrpersonenmangel
Die Nachqualifikation scheitert oft an mangelnder Flexibilität
Sie wollen als vollwertige Lehrkräfte unterrichten, aber ihnen fehlt die Ausbildung. Weshalb ein Studium schwierig ist und manchmal einfach nicht drinliegt, erläutern drei Betroffene. Noch fehlt es an genügend flexiblen Ausbildungsgängen, klagen sie.
Ohne die vielen willigen und interessierten Menschen ohne Fachdiplom wäre manche Schule momentan verloren. Sie helfen aber nicht bloss aus, sie unterrichten. Das ist kurzfristig kein Problem, aber langfristig schon: Die Fachwelt ist sich einig, dass sie wie bisherige Quereinsteigende eine Ausbildung benötigen. Doch nur wenige dieser Laiinnen und Laien haben eine Ausbildung begonnen. Mangelt es am Willen oder an den Möglichkeiten? BILDUNG SCHWEIZ hat mit drei von ihnen gesprochen. Zwei stemmen die Doppelbelastung, einem ist sie unter den heutigen Umständen zu viel.
Anfragen bei neun Pädagogischen Hochschulen (PH) zeigen, dass es durchaus Angebote gibt. Für die in Zürich Poldis genannten Personen ohne Lehrdiplom bieten Pädagogische Hochschulen verschiedene Einführungskurse an. Die führen jedoch nicht zu einem vollwertigen Abschluss. Auf die Frage, welche Angebote sich speziell zur vollständigen Nachqualifikation der Poldis eignen, verweisen die meisten PHs auf ihr reguläres Angebot für den Quereinstieg.
Einfach ist dieser Quereinstieg jedoch nicht. «Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass man eine normale Arbeitswoche mit Ruhezeit am Wochenende hat. Die PH hat Priorität», sagt Marta Lado. Die gelernte Kauffrau hat vergangenen Herbst als Quereinsteigerin ihr Studium an der PH Luzern begonnen. Neben dem Studium müsse man Arbeits- und Privatleben gut organisieren. Sie arbeitet 40 Prozent als Nachhilfelehrerin und abends in einer Bar – weil sie so flexibel organisieren und während der Schulferien Extraschichten schieben kann. Immerhin: «Das Organisieren fällt mir dank meiner Berufserfahrung leichter als noch mit Anfang 20», erzählt Lado, die unterdessen Anfang 30 ist.
Erfahrung bestätigt und motiviert
Einer, der sich ebenfalls für ein PH-Studium entschieden hat, ist Dominik Wismer. Der gelernte Optiker arbeitete schon auf verschiedenen Gebieten. Er führte unter anderem ein Reisebüro. Der Lehrberuf reizte ihn schon früher. «Ich wollte schon immer mehr mit Menschen arbeiten. Im Alter von 20 Jahren fühlte ich mich dafür aber zu jung», erzählt er. Er begann im August 2021 ohne Diplom zu unterrichten.
«Ich verdiene 1000 Franken im Monat. Aufwand und Ertrag stehen da in keinem Verhältnis.»
Die Erfahrung bestätigte Wismers Wunsch, Lehrer zu werden. Seit eineinhalb Jahren studiert der 34-Jährige nun in Luzern. «Im ersten Jahr fiel mir das Studium noch schwer. Es ist sehr theorielastig und ich hatte gehofft, Studium und Arbeit seien leichter zu koordinieren.» Motivation gewinnt Wismer aus seiner Freude am Unterrichten. Er lebt hauptsächlich von seinem Ersparten. Neben dem Studium arbeitet er 20 Prozent im Förderunterricht auf der Primarstufe. Das sprichwörtliche Studentenleben beschönigt er nicht. «Es ist schwierig, in zwei Welten unterwegs zu sein», sagt er. Dazu komme die finanzielle Belastung: «Ich verdiene 1000 Franken im Monat. Aufwand und Ertrag stehen da in keinem Verhältnis.»
Das Studium ist finanziell nicht machbar
Die finanzielle Belastung, die ein Studium mit sich bringt, schreckt viele ab. So auch den 36-jährigen Marco Colombo. Der gelernte Physiotherapeut unterrichtet seit August 2023 als Poldi in Zürich auf der Sekundarstufe I. Er unterrichtet gerne und möchte auf dem Beruf bleiben, hat sich aber gegen ein Studium entschieden.
Die Herausforderung scheut er als ehemaliger Profizehnkämpfer nicht. «Ich kann mich gut anpassen und schrecke nicht vor anspruchsvollen Tätigkeiten zurück.» Die Lohneinbusse während des Studiums sei jedoch zu gross. «Poldis arbeiten bereits zu reduziertem Lohn. Ein Teilzeitstudium würde den Lohnausfall noch verlängern. Das ist finanziell nicht machbar – vor allem für jene mit Familie», rechnet Colombo vor.
Colombo engagiert sich zusammen mit rund 70 weiteren Poldis, damit für Leute wie sie ein gangbarer Weg geschaffen wird. «Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren Erfahrungen einen wertvollen Beitrag zur Bildung von Kindern und Jugendlichen leisten können», erzählt Colombo. Alle wollen den Beruf professionell ausüben, doch weder Voll- noch Teilzeitstudium sind für sie realistisch.
In einem gemeinsamen Schreiben wendet sich die Gruppe nun an PHs, Schulen und Berufsverbände. Darin erläutern sie ihre Situation und formulieren Vorschläge zu Anstellungsbedingungen und Studiengang, die ihre Nachqualifikation ermöglichen sollen. Dazu gehört für sie unter anderem die Anrechnung der Berufs- und Lehrerfahrung sowie verlängerte Anstellungsfristen für Poldis. Sie schlagen ausserdem eine reduzierte Präsenzpflicht vor und die Möglichkeit, während des Studiums bis zu 80 Prozent zu arbeiten.
Die Hürden bleiben hoch – trotz Zugeständnissen
Die Forderungen der Poldis sind nicht komplett unrealistisch. Einzelne PHs gehen bereits in Richtung mehr Flexibilität. Sie anerkennen Hochschulabschlüsse, rechnen teilweise Berufserfahrung an und bieten Teilzeitmodelle. Es sind allerdings kleine Zugeständnisse, die je nach Schulstufe variieren.
Wo PHs Flexibilität schaffen, wird diese genutzt. Diese Erfahrung hat auch die PH Luzern gemacht. Dort ist der Einstieg in den Ausbildungsgang für Quereinsteigende auf drei Arten möglich: Erstens gibt es die klassische Variante mit Aufnahmeprüfung. Zweitens kann der Zugang durch Anrechnung anderer Hochschulabschlüsse gewährt werden. Als dritte Möglichkeit schuf die PH schliesslich den Zugang «sur dossier». Dieses Verfahren ermöglicht Personen über 27 ohne Matura die Aufnahme ins Studium. Es setzt unter anderem einen erfolgreichen Lehrabschluss und mehrere Jahre Berufstätigkeit voraus. Ein Drittel der aktuell Immatrikulierten im Studiengang Primarstufe seien mit Prüfung oder «sur dossier» aufgenommen worden, schreibt die PH auf Anfrage.
Die PH Schwyz startet im Herbst 2024 mit einem neuen Ausbildungsmodell. Sie bietet für den Bachelorstudiengang Primarstufe ein Fernstudium an, das stark auf digitale Lernformen und Selbststudium aufbaut. Dieses stosse auf grosses Interesse, schreibt die PH. Die Infoveranstaltungen seien gut besucht und man sei zuversichtlich, dass die Mindestanzahl von 25 Studentinnen und Studenten für den Studiengang erreicht werde.
Studium stellt Leben auf den Kopf
Zeit und Geld bleiben aber die kritischen Faktoren für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Das Studium steht und fällt nicht zuletzt mit der eigenen Lebensplanung. Marta Lado gönnte sich vor dem Studium entsprechend die Zeit, um Geld zu sparen und sich mit Nachhilfeunterricht zu etablieren. Mit dem zusätzlichen Teilzeitjob in der Bar ist nun ihr Leben flexibel genug, dass sie dem Studium die nötige Priorität einräumen kann. Lado wusste ausserdem von Anfang an, dass sie die Passerelle umgehen wollte. «Ich wollte das Studium nicht um die Passerelle verlängern», erklärt sie. Das hätte sich nicht gelohnt. Sie wartete bewusst, bis sie im Alter von «sur dossier» an der PH Luzern aufgenommen werden konnte.
«Der Quereinstieg sollte keine finanzielle Belastung sein. Es muss sich lohnen, den Lehrberuf zu ergreifen.»
Doch die Hürden zum Lehrdiplom für interessierte Personen bleiben hoch. Im Schulalltag hadern die Poldis damit. Sie sehen, dass sie gebraucht werden. «Der Lehrpersonenmangel ist schlimm und wir wären da», sagt Colombo. Auch Wismer sieht in den Poldis viel ungenutztes Potenzial. «Es braucht Ideen, wie man Quereinsteigende abholen kann. Der Quereinstieg sollte keine finanzielle Belastung sein. Es muss sich lohnen, den Lehrberuf zu ergreifen.»
Unbestritten ist, dass sich das Studium inhaltlich lohnt. «Ich lerne in jeder Stunde Dinge, die ich im Praktikum und in meinen Nachhilfelektionen anwenden kann», erzählt Lado. Am Ausbildungsniveau wollen auch Wismer und Colombo nicht rütteln. «Es gibt zu viele Regeln. Das erschwert die Anpassung der Ausbildung an die Bedürfnisse der Poldis», sagt Wismer.
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Text: Patricia Dickson
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