Eine Woche im Wald
Die einen wuchten Baumstämme, die anderen hie und da einen Ast
Schülerinnen und Schüler aus der Stadt verlassen für eine Woche ihr Klassenzimmer und packen im Bündner Bergwald an. Dabei lernen sie das lokale Ökosystem hautnah kennen.

«Wie chame nume die Viecher wägbringe?», fragt ein Mädchen und fuchtelt wild mit ihren Händen vor dem Gesicht. Ein Laubkäfer fliegt um die Jugendliche herum, während sie mit ihrer Kollegin das Gemüse für das Mittagessen schnippelt. «Du bisch haut i sim Läbesrum», antwortet ihr ein Schulkamerad. Es ist ein Donnerstag in einem Waldstück nahe der Rheinschlucht bei Trin-Mulin im Kanton Graubünden.
«Am Abend sind wir erschöpft, die Füsse tun weh und wir haben blaue Flecken vom Stolpern und Hinfallen.»
Zwei neunte Klassen aus dem zürcherischen Urdorf sind daran, hier nach einem Holzschlag die zurückgelassenen Äste zu Haufen aufzuschichten. Junge Bäume erhalten so genügend Licht und Raum, um sich zu entwickeln.
Der Wald als Neuland
Für die Stadtkinder sind die Arbeit und der ganztägige Aufenthalt im Wald ungewohnt. Die einen Jugendlichen finden das «cool, abwechslungsreich, spannend und gut», während die anderen klagen: «Am Abend sind wir erschöpft, die Füsse tun weh und überall am Körper haben wir blaue Flecken vom Stolpern und Hinfallen.» Ausserdem lauern überall Zecken und sonstige Viecher. Zwei Mädchen wollen darum erst im Lagerhaus wieder aufs WC gehen.
Engagement als Tradition
An der Sekundarschule Urdorf ist es Tradition, in der neunten Klasse kurz vor Abschluss der Schulzeit einen Sozialeinsatz zu absolvieren. «Lernen durch Engagement», nennt dies Klassenlehrer Patrick Frauenfelder. Es geht ihm darum, dass man im Rahmen eines Sozialprojektes als Gruppe zusammen anpackt. Dieses Jahr ist die Schule für das Bergwaldprojekt im Einsatz.

Die Stiftung Bergwaldprojekt nahm dem Klassenlehrer einen Teil des organisatorischen Aufwands ab. Zur Vorbereitung besuchte dafür eine Projektleiterin die Schule und erklärte den Jugendlichen, wie die Woche ablaufen wird. «Zudem organisierte das Bergwaldprojekt neben der Waldarbeit die Unterkunft und Verpflegung», sagt Patrick Frauenfelder. Er ist zusammen mit 31 Jugendlichen und Marcel Achermann, einem zweiten Klassenlehrer, ins Lager gereist. Beide Lehrer schätzen es, selbst im Wald anzupacken und dabei mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Da diese in wenigen Wochen die Schule verlassen werden, erlebt Frauenfelder diese Gespräche oft wie Abschlussgespräche: «Manchmal erzählen die Jugendlichen, wie sie die Schule erlebt haben, was sie von der Schule mitnehmen oder wie sie ihre Zukunft sehen.»
Bergwald als Lernort
Die Projektleiterin, die nun auch im Wald die Arbeiten koordiniert, hat eine forstliche Ausbildung. Paula Koch hat im süddeutschen Breisgau Forstwirtschaft studiert: «Es ist sehr lehrreich für Jugendliche, eine Woche im Bergwald zu arbeiten. Sie kommen dort auch in Kontakt mit Umweltproblemen», ist Koch überzeugt. Ihr ist bewusst, dass sich die Jugendlichen nicht immer auf die Bergwaldwoche freuen. «Man muss früh aufstehen, arbeiten und es gibt wenig Fleisch zu essen», so Koch. Meist bleibt aber nicht das als prägender Eindruck zurück: «Es ist dann umso schöner, wenn ich während der Woche merke, dass sie es dennoch gut haben und etwas für sich mitnehmen.»
Im Wald arbeiten die Jugendlichen in betreuten Kleingruppen. Das kommt gut an. «Die Gruppenleiter sind kaum älter als wir und wir dürfen sie duzen», erzählen die Mädchen. Zu den beliebtesten Arbeiten gehört für die Jugendlichen aus Urdorf der Wegbau und vor allem das Baumfällen. «Es ist schön, dass uns die Leiter vertrauen und wir auch selbst Bäume fällen dürfen», erzählt eine Jugendliche.
Zeit für Suppe
Inzwischen ist es Mittagszeit. Alle stehen mit knurrenden Mägen für die Suppe an, die auf dem Gaskocher – wegen Waldbrandgefahr darf kein offenes Feuer brennen – aufgewärmt wird. Dazu werden Gemüsestangen, Käse, Äpfel und Trockenfrüchte serviert. Und tatsächlich bewahrheitet sich, was Koch eben erzählt hat. «Es gibt viel zu wenig Fleisch», beklagen sich die meisten Jugendlichen. Doch auch das gehört zum Selbstverständnis des Bergwaldprojekts. Die Verpflegung soll vollwertig sein und auf nachhaltigen Prinzipien basieren. Gegessen wird regional, saisonal, biologisch und wenig Fleisch.

Das Essen ist für die meisten der Jugendlichen ungewohnt. Trotzdem schmeckt es ihnen gut. Die Zeit über den Mittag nutzt Projektleiterin Koch, um den Jugendlichen zu erklären, warum die jungen Bäume mehr Licht brauchen oder welche Funktion Baumstrünke im Ökosystem haben.
«Es ist schön, dass uns die Leiter vertrauen und wir auch selbst Bäume fällen dürfen.»
Natürlich dürfen die Jugendlichen auch immer Fragen stellen: «Wie teuer ist Holz eigentlich?», fragt eine Schülerin. Koch erklärt anhand einer Fichte, die alle gut sehen können, wie der Holzpreis berechnet wird. Was als Preis herauskommt, ist ernüchternd wenig: «Die Fichte wird ungefähr 100 Franken einbringen», erfahren die Jugendlichen.
Weniger schlimm als erwartet
Im Bergwald gibt es viel Arbeit, aber wenig Zwang. Das entspricht nicht ganz den Befürchtungen, die einige vor der Projektwoche hegten. Sie haben damit gerechnet, erst zwei Stunden einen Hang hinaufkraxeln und dann harte Arbeit verrichten zu müssen. Nun fahren Busse die Jugendlichen ins Einsatzgebiet.
Angepackt wird aber schon. Ein paar kräftige Knaben versuchen, schwere Baumstämme zu verschieben, mit grosser Wucht Äste den Hang hinunterzuwerfen oder im Dickicht Jungholz abzusägen. Es liegt aber auch drin, zwischendurch eine Pause zu machen und sich zu unterhalten. Andere nehmen sogar einfach ab und zu einen Ast in die Hand und sind vor allem am Quatschen. So findet jede und jeder seinen Platz und die Stimmung ist gut.
Das Bergwaldprojekt
Das Bergwaldprojekt richtet sich an Oberstufenklassen, Gymnasien und Gruppen von Lernenden. Einsatzort ist ein Bergwald in der Schweiz. Das Angebot ist von April bis Oktober buchbar. Die Projektwoche dauert von Montag bis Freitag, neben den Arbeitstagen gibt es eine halbtägige Exkursion. Verpflegung, Unterkunft und Waldarbeit werden vom Bergwaldprojekt organisiert. Das Projektteam ist während der Arbeiten im Wald für die Jugendlichen verantwortlich. Ausserhalb der forstlichen Arbeiten obliegt die Aufsicht den Lehrpersonen. Der Kostenbeitrag für Teilnehmende beträgt rund 300 bis 330 CHF pro Person. Darin enthalten sind Betreuung, Gesamtorganisation, Verpflegung und Unterkunft. Mehr Informationen gibt es hier.
Autor
Claudia Baumberger
Datum
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