Lebenslanges Lernen

Die Allgemeinbildung für Lehrlinge wird fit gemacht für die Zukunft

Der allgemeinbildende Unterricht für Berufslernende, kurz ABU, wird reformiert. Er soll Lernende besser auf den Alltag vorbereiten. Neu hinzu kommen zwölf Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen.

245 Lehrberufe stehen Jugendlichen aktuell zur Auswahl. Einen Einblick bieten jeweils die Berufsmeisterschaften SwissSkills. Foto: Claudia Baumberger

Die berufliche Grundbildung ist für die meisten Jugendlichen in der Schweiz der erste Schritt in die Arbeitswelt. Rund 366 400 Lernende absolvierten gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) im Schuljahr 2021/22 eine Ausbildung auf der Sekundarstufe II. Damit belief sich ihr Anteil auf 59 Prozent – gegenüber knapp 29 Prozent Jugendlichen in den allgemeinbildenden Ausbildungen, die mit einer gymnasialen Maturität, einem Fachmittelschulausweis oder einer Fachmaturität abgeschlossen werden. Die übrigen Lernenden absolvierten die Vorbereitung auf eine Berufsmaturität nach der Lehre (BM2), eine Übergangsausbildung oder eine Zusatzausbildung.

Rund 366 400 Lernende absolvierten im Schuljahr 2021/22 eine Ausbildung auf der Sekundarstufe II.

Zur Auswahl stehen den Jugendlichen heutzutage rund 245 Berufe. Der allgemeinbildende Unterricht (ABU) findet dabei in allen beruflichen Grundbildungen statt. Welche Kenntnisse er mindestens vermitteln muss, definieren der nationale Rahmenlehrplan für die Allgemeinbildung sowie eine dazugehörige Verordnung. Für die Umsetzung sind die Kantone und deren kantonale Berufsfachschulen mit ihren Schullehrplänen verantwortlich.

Drei Neuerungen

Gemäss Berufsbildungsgesetz ist die Schweizerische Berufsbildung eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und den Organisationen der Arbeitswelt. Mit der Initiative «Berufsbildung 2030» wollen diese sogenannten Verbundpartner gemäss eigenen Angaben Antworten geben auf Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sowie in der Gesellschaft.

Dazu gehören beispielsweise die Digitalisierung oder die steigende berufliche Mobilität. Konkret werden im Rahmen der Initiative die Verordnung über Mindestvorschriften für die Allgemeinbildung in der beruflichen Grundbildung sowie der Rahmenlehrplan für den allgemeinbildenden Unterricht überarbeitet. Inkrafttreten soll er dann 2026.

Seit Ende des vergangenen Sommers stehen sowohl der Entwurf für die Verordnung als auch der Entwurf für den neuen eidgenössischen Rahmenlehrplan. Das pädagogische Konzept bleibt gemäss dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) unverändert kompetenz-, themen- und handlungsorientiert. Doch stechen bei der Durchsicht der Projektinformationen drei Erneuerungen heraus: die Formulierung von zwölf Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen, eine genauere Beschreibung der Anforderungen im Lernbereich «Sprache und Kommunikation» sowie der Wegfall der wissensorientierten Schlussprüfung beim Qualifikationsverfahren.

Alltagstaugliches Wissen

Bei der ersten Neuerung, den zwölf Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen, handelt es sich laut SBFI um «disziplin- und kontextunabhängige Kompetenzen, die im privaten, gesellschaftlichen sowie im beruflichen Alltag einsetzbar sind». Eine Schlüsselkompetenz dreht sich beispielsweise um den Medienkonsum. Die Lernenden sollen dabei verstehen, wie sie zwischen relevanten und irrelevanten Quellen sowie Inhalten unterscheiden können. Daneben sollen die Jugendlichen lernen, Medieninhalte kritisch einzuschätzen.

Eine weitere Schlüsselkompetenz ist, dass sich die Jugendlichen eigene Ziele setzen können. Die Lernenden sollen in der Lage sein, ihre Zielsetzung zu überprüfen und gegebenenfalls ihr Verhalten anzupassen. Die Jugendlichen sollen dadurch Strategien für ein effizientes Lernen entwickeln. Können sie etwa aufgrund eingeschränkter Ressourcen das gesetzte Lernziel nicht erreichen, ist es laut SBFI wichtig, Prioritäten zu setzen.

Eine weitere Neuerung betrifft den Lernbereich «Sprache und Kommunikation». Dort sollen die Anforderungen gemäss SBFI zukünftig in drei Kommunikationssparten unterteilt werden: «Rezeption hören und lesen», «Produktion sprechen und schreiben» sowie «Interaktion diskutieren und korrespondieren». So sollen die Lernenden zum Beispiel bei der Rezeption schriftlich gezielt Informationen finden, einordnen und interpretieren können. Bei der Interaktion schriftlich wiederum sollen sie nach der Lehre «formal adressatengerecht korrespondieren» und «(Online-)Formulare bearbeiten» können.

Eine dritte Neuerung betrifft die Schlussprüfung beim Qualifikationsverfahren. Durch diese Massnahme möchte das SBFI der Vertiefungsarbeit mehr Gewicht verleihen. Dies, «weil bei der Vertiefungsarbeit die Kompetenzen besser nachgewiesen werden können als bei der schriftlichen Prüfung, die eher auf theoretischem Wissen basiert», heisst es beim SBFI auf Anfrage.

«Fünfeinhalb Jahre nach Abschluss üben 52 Prozent einen anderen als den erlernten Beruf aus.»

Viele wechseln später den Beruf

Keine grossen Änderungen hat der Lernbereich «Gesellschaft» erfahren. Er wurde alleine auf seine Aktualität hin überprüft und angepasst. So ist zum Beispiel der Begriff der künstlichen Intelligenz bei der Revision eingeflossen. Dies berichtet Maximilian Koch, Studiengangsleiter Sekundarstufe II der pädagogischen Hochschule St. Gallen und Mitglied der pädagogischen Fachberatung beim Projekt Allgemeinbildung 2030.

Nebst Hochschulen arbeiten am neuen Rahmenlehrplan auch Akteure aus den Organisationen der Arbeitswelt (OdA), den Berufsfachschulen, den Kantonen sowie Lehrpersonen der Allgemeinbildung mit. Sie bringen neben gemeinsamen Anliegen – etwa der Stärkung der Berufsbildung – naturgemäss auch unterschiedliche Blickwinkel und Erwartungen an den allgemeinbildenden Unterricht mit ein. Für die Kantone etwa sind jene Aspekte wichtig, die nicht nur die kurzfristige Arbeitsfähigkeit fördern, sondern die auch die mittel- und längerfristige Entwicklungsperspektive der Berufsleute im Auge haben. «Dies im Wissen, dass in unserer von Veränderungen geprägten Welt spätere Berufs- oder sogar Berufsfeldwechsel eine sehr realistische Perspektive der heutigen Lernenden sind», fasst Niklaus Schatzmann, Vizepräsident der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz zusammen.

Diese Erkenntnis bestätigen die Ergebnisse einer vor drei Jahren veröffentlichten Längsschnittanalyse des Bundesamtes für Statistik: Gemäss dieser zeichnet sich der berufliche Werdegang von Absolventinnen und Absolventen einer Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis durch eine starke berufliche Mobilität aus: Fünfeinhalb Jahre nach Abschluss üben 52 Prozent der Absolventinnen und Absolventen einen anderen als den erlernten Beruf aus.

Schnittstellen vereinfachen

Dieter Kläy, OdA-Vertreter und beim schweizerischen Gewerbeverband Leiter des Ressorts Arbeitsmarktpolitik, Berufsbildung und Wirtschaftsrecht, setzt den Fokus auf Verbindlichkeit und Harmonisierung bei der Umsetzung des Rahmenlehrplans in den Kantonen. Dadurch könnte die Anrechnung von Bildungsleistungen vereinfacht sowie die Schnittstelle zwischen Berufskundeunterricht (BK) und ABU optimiert werden. «Leider fehlt teilweise die Offenheit in der Diskussion, auch neue Möglichkeiten der Schnittstellen und der Zusammenarbeit zwischen ABU und BK konstruktiv zu besprechen», so Kläy.

Der ABU-Lehrer Simon Haueter, der beim Schweizerischen Verband für allgemeinbildenden Unterricht für das Projekt zuständig ist, setzt sich hingegen dafür ein, dass der ABU nicht plötzlich im Berufskundeunterricht aufgeht. «Aus Sicht der Lehrpersonen der Allgemeinbildung darf der ABU nicht zum Anhängsel der Berufskunde mutieren», sagt er. «Das grundsätzliche Hauptziel für uns ist, den ABU zu stärken und als eigenständig zu positionieren – das ist uns in dieser Revision gelungen.»

Auch wenn sich die Verbundpartner beim neuen Rahmenlehrplan ABU nicht in restlos allen Punkten einig geworden sind, stehen doch alle hinter dem ersten Entwurf. So schreibt denn auch das SBFI, dass der von der pädagogischen Fachgruppe ausgearbeitete erste Entwurf des neuen nationalen Rahmenlehrplans bei den Arbeits- und Begleitgruppemitgliedern grundsätzlich auf Anklang gestossen sei. Es sei gelungen, ein Konzept vorzulegen, das von allen unterstützt und von der Begleitgruppe positiv bewertet worden sei. Im kommenden Frühjahr ist nun eine Anhörung der interessierten Kreise zu den Entwürfen vorgesehen.

Autor
Marcel Hegetschweiler

Datum

09.01.2024

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