Bildungsthemen sind selten Stoff für filmreife Geschichten – ausser es geht um den Übertritt ins Gymnasium. Die Komödie «Frau Müller muss weg» verhandelt diese verhärteten Fronten im Schulalltag, wo Eltern der Lehrerin unverhohlen ein Ultimatum stellen. Das Stück ist fiktiv, zeigt aber ein echtes Problem auf: Wenn es um die Selektion und die Zukunft ihrer Kinder geht, sind Eltern zu vielem bereit – koste es, was es wolle.
Werden sich Lehrperson, Eltern und Kinder nicht einig, entscheidet je nach Kanton eine Prüfung, die Schulpflege, eine Schlichtungsstelle oder gar ein Gericht. Letzteres kommt jedoch selten vor. Für Aufsehen sorgte allerdings kürzlich eine Aussage der Lernforscherin Elsbeth Stern. Sie sagt, dass rund ein Drittel der Mittelschülerinnen und Mittelschüler nicht ans Gymnasium gehören. Diese seien nur dort, weil akademisch gebildete Eltern ihre Kinder pushen.
«Der Druck von Eltern auf Lehrpersonen hat massiv zugenommen.»
Die Geschütze der Eltern
Werden Konflikte rund um Übertritte nun tatsächlich häufiger oder handelt es sich um medial aufgeblasene Einzelfälle? Roland Näf sieht jedenfalls viel Konfliktpotenzial. «Der Druck von Eltern auf Lehrpersonen hat massiv zugenommen», bestätigt der ehemalige Schulleiter. Er kennt die Bildungspolitik noch aus seiner Zeit als Grossrat für die Berner SP und Präsident der kantonalen Bildungskommission. Als Pensionierter verfolgt er das Thema weiterhin. Näf kann gut nachvollziehen, wenn Lehrpersonen den Übertritt ans Gymnasium empfehlen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden: «Sie können sich nicht vorstellen, welches Geschütz Eltern auffahren und wie aggressiv manche mit Anwälten drohen.»
Für Näf ist die Popularität der gymnasialen Bildung Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung, wo Prestige eine grössere Rolle spielt und den Konkurrenzkampf fördert: «Wir ertragen es nicht, wenn es die Kinder des Nachbarn ans Gymnasium schaffen und unsere nicht.» Er sieht das Problem nicht darin, dass zu viele Jugendliche ans Gymnasium wollen, sondern die falschen. «Es ist heute eine Frage der sozialen Schicht und nicht der intellektuellen Voraussetzung. Wir brauchen am Gymnasium jene mit der nötigen intellektuellen Kreativität und mit analytischen Fähigkeiten.» Das jetzige System erlaube es, sich auch ohne mathematische und analytische Begabung bis zur Matur zu «wursteln». Man müsse dafür einfach in anderen Fächern fleissig genug sein.
«Vor lauter Testen und Beurteilen geht das Fördern vergessen.»
Die Fixierung auf den «Königsweg Gymnasium» ist problematisch. Das beschäftigt auch Schulleiter Daniel Gebauer, der ausserdem Geschäftsleitungsmitglied des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH ist. «Die Erwartungshaltungen der Schülerinnen und Schüler und vor allem der Eltern nehmen bei der Wahl der Wunschlaufbahn mehr Platz ein als das Ergründen des tatsächlich vorliegenden Potenzials.» Er weist darauf hin, dass so ein wesentliches Ziel der Schulbildung vernachlässigt wird. «Ich habe manchmal fast den Eindruck, dass vor lauter Testen und Beurteilen das Fördern vergessen geht.»