BILDUNG SCHWEIZ: Der neue Bildungsbericht erscheint wegen der Coronapandemie im März 2023 statt im Juni 2022. Wie beeinflusste die Pandemie Ihre Arbeit?
RAMONA SCHNORF: Zwei Hintergrundinformationen dazu: Statistiken, die wir für den Bildungsbericht nutzen, erscheinen durchschnittlich mit einem Jahr Verzögerung. Daten aus dem Jahr 2020 sind frühestens 2021 verfügbar. Zudem müssen wir den Bildungsbericht mindestens ein halbes Jahr vor der Erscheinung fertigstellen. Die Daten, die wir analysieren, sind deshalb häufig zwei bis drei Jahre vorher publiziert worden. Für uns stand ausser Frage, dass die Auswirkungen der Pandemie untersucht werden mussten. Wäre der Bericht regulär 2022 erschienen, hätten sich unsere Analysen ausschliesslich auf Daten bezogen, die während der Pandemie erhoben wurden. Die Aussagekraft wäre geringer gewesen. Durch die Verschiebung ist es nun möglich, erste Schlüsse zu den Auswirkungen der Pandemie zu ziehen. Für vertieftere Analysen zu langfristigen Effekten benötigen wir jedoch noch Daten für ein paar weitere Jahre.
Seit rund 20 Jahren beschreibt der Bildungsbericht die Entwicklung des Schweizer Bildungswesens. Was fasziniert Sie daran?
Der Bildungsbericht ist Teil des Bildungsmonitorings Schweiz und dient zur Evaluation der Ziele der gemeinsamen bildungspolitischen Erklärung von Bund und Kantonen. Die Themen werden einerseits durch diese Erklärung vorgegeben. Andererseits werden aktuelle Themen wie die Pandemie aufgegriffen. Besonders spannend finde ich, dass man die Entwicklungen von Fragestellungen nicht nur punktuell, sondern über Jahre hinweg beobachten kann. Wir beobachten zudem auch über verschiedene Bildungsstufen hinweg. Ich bin für Analysen und Berichte auf der Primarstufe zuständig. Für diese Stufe sind erstmals gesamtschweizerisch Bildungsverlaufsdaten vorhanden. Die Schülerinnen und Schüler können ab dem Eintritt in den Kindergarten auf ihrem Bildungsweg beobachtet werden. Dies eröffnet neue Möglichkeiten zur Beantwortung von Forschungsfragen – beispielsweise inwiefern der Zeitpunkt der Einschulung die Laufbahn beeinflusst.
Die kantonale Bildungshoheit führt immer wieder zu einem Flickenteppich, was mal als Handicap, mal als Chance gesehen wird. Wie geht die Bildungsforschung damit um?
In der Schweiz vertritt man grundsätzlich die Ansicht, dass der Föderalismus gut und notwendig ist. Jeder Kanton benötigt an lokale Bedingungen angepasste Lösungen. Ob der Föderalismus im Bildungsbereich ein Gewinn ist, kann die Bildungsforschung zum heutigen Zeitpunkt nicht beantworten. Wir haben keine Kenntnis darüber, ob und wann die unterschiedlichen kantonalen Strukturen von Vorteil sind. Dazu wäre das regelmässige und flächendeckende Messen von Ergebnissen, beispielsweise der Leistung, unabdingbar. Momentan muss die Bildungsforschung zur Analyse von Forschungsfragen auf kantonale Daten zurückgreifen. Solche Ergebnisse lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf andere Kantone übertragen. Das schränkt die Aussagekraft ein. Mit der Erhebung zur Überprüfung der Grundkompetenzen werden erstmals dieselben Bildungsziele gleichzeitig gemessen. Das macht die Daten vergleichbar.