Interesse wecken

Wirtschaft erklären, ohne dass Lernenden das Gesicht einschläft

Neue Formate sollen bei Schülerinnen und Schülern das Interesse für Wirtschaftsthemen wecken. Das ist ein schwieriger Balanceakt zwischen Personalisierung, Vereinfachung, Neutralität und Korrektheit.

Kunstfigur Hanna Cash sitzt mit Wirtschafts-Requisisten in ihrem Zimmer..
Diese Influencerin liest die «Financial Times»: Die Schauspielerin Isabela de Moraes Evangelista erklärt als Hanna Cash in einfachen Worten, wie Wirtschaft funktioniert. Foto: economiesuisse

Hanna Cash sitzt in ihrem Zimmer und grinst in die Kamera. Die junge Influencerin produziert kurze, knackige Erklärvideos. Mit einem leichten französischen Akzent und grösster Begeisterung spricht sie über Dinge wie den Wirtschaftskreislauf, das Bankensystem oder die Konjunktur. Zur Hochkonjunktur sagt Hanna, gekleidet in Federboa und mit einem Diadem auf dem Kopf: «Die Wirtschaft wächst hervorragend. Allen geht es ‹ma-gni-fique›.» In Feierlaune hebt sie dazu ein Glas Martini in die Höhe.

Bunte Requisiten, Glitzer, verspielte Effekte und ein schneller Schnitt prägen ihre Videos. Die Influencerin ist auf YouTube, TikTok und Instagram aktiv. Doch eigentlich ist Hanna erst zwei Jahre alt – und eine Kunstfigur gespielt von der Schauspielerin Isabela de Moraes Evangelista. Erfunden hat sie der Wirtschaftsverband economiesuisse.

Fehlendes Grundverständnis

«Mit ‹Hanna Cash› wollen wir die Wirtschaftskompetenz von Jugendlichen stärken», sagt Roger Wehrli, stellvertretender Leiter für Wirtschaftspolitik und Bildung bei economiesuisse. «Wir merken immer wieder, dass in der Bevölkerung das Verständnis für grundliegende wirtschaftliche Mechanismen fehlt», erklärt Wehrli die Motivation hinter dem Projekt. Dieses Wissen ist im Alltag immer wieder gefragt: bei Abstimmungen zu Steuerfragen, Leasingverträgen, Fragen zur persönlichen Altersvorsorge – oder bei Diskussionen über das Ende der Credit Suisse.

An Wirtschaftslehrmitteln fehlt es nicht grundsätzlich. Da die Themen jedoch oft trocken und komplex sind, wollte der Wirtschaftsverband etwas schaffen, das im Unterricht mit Jugendlichen auflockernd eingesetzt werden kann. «Es sollte etwas Freches sein und Lust auf die Materie machen», so Wehrli. Vor zwei Jahren lancierte der Verband dann in Zusammenarbeit mit Young Enterprise Switzerland und dem Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen die erste Staffel «Hanna Cash» mit vier Episoden. Unterdessen wurde eine zweite Staffel produziert und eine dritte ist in Planung.

So neutral wie möglich

Um dem Medium und der Zielgruppe gerecht zu werden, wurde verkürzt, vereinfacht und überspitzt. Die Videos seien denn auch eine Ergänzung für den Unterricht, betont Wehrli. Die Herausforderung habe darin gelegen, einfach verständlich, fachlich korrekt, aber politisch neutral zu bleiben. «Sonst würden die Videos nicht im Unterricht eingesetzt», sagt Wehrli.

«Es ist immer heikel mit Verkürzungen, da schnell falsche Eindrücke entstehen.»

Die Vereinfachung sei denn auch vereinzelt kritisiert worden. «Es ist immer heikel mit Verkürzungen, da schnell falsche Eindrücke entstehen», räumt Wehrli ein. Um dies zu verhindern, würden die Drehbücher vor der Produktion noch einmal auf ihre Neutralität hin überprüft. Es gab allerdings auch positives Feedback von Lehrpersonen, welche die Videos im Unterricht einsetzen. Auf YouTube werden die Videos jedenfalls fleissig angesehen: oft haben sie mehrere 10 000 Views pro Episode. Das Video zur Nachhaltigkeit wurde schon über 250 000-mal angeklickt.

Was lustig-locker daherkommt, wurde sorgfältig konzipiert. Der Spass sollte nicht vom Inhalt ablenken: Die Videos müssen – trotz bunten Effekten – didaktisch klar aufgebaut sein. Das Rad wurde dafür nicht neu erfunden. «Die Episoden sind wie ein Lehrmittel strukturiert. Es gibt zwar schnelle Schnitte und Effekte, aber nie dort, wo Wichtiges erklärt wird», sagt Florence Mauli, die das Projekt bis letzten Herbst leitete.

Grundlagen und andere Faktoren

Doch reicht eine Vereinfachung, um jungen Menschen zu erklären, warum das Bankensystem brennt? Die Antwort ist ein «Nein, aber». Im Fall der Credit Suisse gebe es zwar wichtige politische Fragen, Hannas Auftrag sei jedoch die unpolitische Vermittlung des Grundlagenwissens, sagt Wehrli.

«Erst informierte Meinungsbildung ermöglicht gesellschaftliche Diskussionen.»

Wie wichtig das ist, betont auch Mauli, die unterdessen für Avenir Suisse, die Denkfabrik der Schweizer Wirtschaft, arbeitet und daneben an der HKV in Aarau Wirtschaft und Gesellschaft unterrichtet. «Für das Verständnis muss man zunächst vereinfachen und erklären, wie das Wirtschaftssystem überhaupt funktioniert», sagt sie. Aktuelle Ereignisse wie das Ende der Credit Suisse sind für sie eine Gelegenheit, im Unterricht Gelerntes an realen Vorkommnissen zu veranschaulichen. «Dann kann man auch zeigen, welche Faktoren neben dem klassischen Geschäft auf die Wirtschaft einwirken.» Für sie gehören die alltagsnahen Wirtschaftsthemen wie Steuern und Budget unbedingt in die Schule – auch an Gymnasien. «Erst informierte Meinungsbildung ermöglicht gesellschaftliche Diskussionen», sagt sie.

Auch Avenir Suisse bietet ergänzende Angebote zum Thema Wirtschaft und Politik. Dafür entwickelte der Think Tank das Spiel «Democratia», das den politischen Diskurs einer direkten Demokratie simuliert. Für das Angebot «Digitale Debatte» organisiert Avenir Jeunesse hybride Lektionen, wo Debatten mit Fachleuten zu Themen wie globaler Handel oder Einkommensgleichheit ins Klassenzimmer übertragen werden. So erhält die Klasse die Möglichkeit, direkt nachzufragen und sich eine Meinung zu bilden.

Vom Döner …

Bei Jugendlichen verhält es sich etwa wie mit der Redewendung: «Wenn der Berg nicht zum Prophet kommt, muss der Prophet eben zum Berg.» Dies kann entweder als Game, als Livestream oder wie bei Hanna Cash in der Form einer Influencerin geschehen. Sie ist mit ihrem Stil und ihren Bildern stehts nah an den Jugendlichen – und ihren Bedürfnissen. Sie erklärt, warum ein Döner nicht 30 Franken kostet oder warum man Steuern zahlen muss – auch wenn es nervt.

Diese Nähe sei wichtig, bestätigt Nicole Steiner, die letztes Jahr als Co-Kuratorin die Ausstellung «Das entfesselte Geld» im Bernischen Historischen Museum (BHM) mitverantwortet hat. «Wer Jugendliche erreichen will, muss sie in ihrer Lebenswelt abholen», sagt sie. Das Museum entwickelte für die Geld-Ausstellung Rundgänge und Workshops für Jugendliche. Interaktive und spielerische Elemente waren dabei zentral. So konnten Besuchende ihre persönliche Beziehung zur Wirtschaft und zum Geld reflektieren.

… zum Goldbarren

Geld bleibt auch nach der Ausstellung ein wichtiges Thema des BHM. Zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank plant das Museum bereits das nächste Projekt. Direkt am Bundesplatz entsteht ein Erlebnis- und Ausstellungsort zum Thema Geld. Dieser richtet sich an eine breite Öffentlichkeit. Dabei ist auch Raum für aktuelle Debatten vorgesehen. «Aktuelle Themen sind immer geeignete Anknüpfungspunkte», sagt Steiner.

«Physische Objekte sind ein guter Trigger.»

Im Gespräch mit Lehrpersonen kam Steiner ausserdem zum Schluss, dass es für Jugendliche neben der Nähe zur Lebenswelt und interaktiven Formaten auch etwas Handfestes brauchen wird. «Physische Objekte sind ein guter Trigger», so Steiner. Das Museum überlegt sich zum Beispiel, echte Goldbarren auszustellen – muss dafür aber noch Sicherheitsfragen klären.

Geld – ein Thema ohne Ende

Der neue Ausstellungsort soll die Welt des Geldes jedoch nicht nur veranschaulichen, er soll auch Vielstimmigkeit abbilden. «Geld kann man aus tausend verschiedenen Perspektiven betrachten und diskutieren», sagt Steiner. «Wir holen unterschiedliche Stimmen ein und machen diese zugänglich. Es wird nicht gewertet.» Sie kann sich vorstellen, dass daraus auch Rollenspiele für Schülerinnen und Schüler entstehen können. «Damit können wir ein Bewusstsein für verschiedene Überzeugungen und soziale Hintergründe schaffen.»

Noch steckt das Projekt in der Konzeptionsphase. Die Eröffnung ist für 2025 geplant. Es wird – ähnlich wie Hanna Cash – ein Angebot, das den klassischen Unterricht ergänzen, nicht aber vollständig ersetzen kann. Derweil wird die dritte Staffel von Hanna Cash produziert. Auf dem Plan stehen Wertschöpfung, Lieferketten und Inflation – auf den ersten Blick keine prickelnden Themen. Etwas Glitzer wird ihnen guttun.

 

WEITER IM NETZ

www.youtube.com/@hannacash8028/videos

www.avenir-suisse.ch/avenir-jeunesse

Autor
Patricia Dickson

Datum

18.07.2023

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