Ihr Chatbot heisst Talky Walky und richtet sich spezifisch an Kinder auf Primarstufe. Sind diese nicht zu jung, um schon mit KI zu lernen?
Das sehe ich nicht so. Wichtig ist, dass die KI-Anwendung einen sicheren Rahmen bietet, in dem sich die Kinder sprachlich austoben können. Ausserdem fällt den Kindern der Umgang mit technischen Anwendungen leicht. Sie gehen sehr intuitiv mit Technologie um. Ein Chatbot kann so auch die Entwicklung digitaler Kompetenzen fördern.
Wie reagierten die Kinder auf den Bot?
Sie waren begeistert. Der Chatbot interagiert mit ihnen und geht auf ihre Aussagen ein. So fühlen sie sich ernst genommen und finden es toll, dass Talky Walky sich für sie «interessiert». Ein Mädchen hatte speziell Spass daran, den Bot zu korrigieren, wenn er etwas falsch verstand. Er entschuldigte sich dann jeweils für sein Versehen.
Kann er auch die Hemmschwelle, eine Fremdsprache zu sprechen, senken?
Ich denke schon. Insbesondere nimmt er Kindern die Angst davor, Fehler zu machen. Das hemmt viele Lernende beim Sprechen einer Fremdsprache – besonders wenn andere zuhören. Im Gespräch mit dem Bot fällt diese Scham weg.
Obwohl Talky Walky die Fehler hört und diese dann korrigiert?
Der Chatbot korrigiert zwar, aber er bewertet nicht. Wie Chat-GPT bleibt er immer extrem freundlich. So gibt es auch bei Fehlern keinen Gesichtsverlust.
«Im Gespräch mit dem Bot fällt die Scham, Fehler zu machen, weg.»
Ein Gespräch mit dem Bot ist ein sicherer Spielplatz für Konversation. Inwiefern sich das Gelernte auf echte Gesprächssituationen übertragen lässt, und ob dann womöglich Ängste zurückkehren, müssen wir aber noch herausfinden.
Eröffnen Chatbots neben dem freien Sprechen noch andere didaktische Möglichkeiten?
Auf jeden Fall. Besonders für den Schulunterricht, wo die Zeit zu knapp ist, braucht es mehr als das offene Gespräch. Ein Chatbot kann ein Lerngespräch lenken, damit die Kinder zum Beispiel spezifische Strukturen üben können. Ob das klappt, steht und fällt allerdings mit dem Design der Aufgaben.
Die Lehrperson gestaltet dann also die Aufgaben und der Bot übernimmt den Unterricht?
Die Lehrperson soll unbedingt auch für den Unterricht verantwortlich bleiben. Wir wollen zum Beispiel unseren Prototypen noch so weit ausbauen, dass Lehrpersonen eine Auswahl an Lernangeboten haben. So kann sie Aufgaben für einzelne Lektionen erstellen oder das ganze Semester planen. Vielleicht will sie den Chatbot auch nur punktuell für individuelles Lernen und Sprechmotivation verwenden. Sie kann jene Aufgaben für ihre Klasse aktivieren, die gerade geübt werden sollen.
Was raten Sie skeptischen Lehrerinnen und Lehrern angesichts der technologischen Veränderungen?
Sie sollen versuchen, die Chancen zu sehen. Es geht auch bei unserem Projekt nicht darum, die Lehrpersonen zu ersetzen. Gute Tools können den Unterricht ergänzen. Damit Lehrpersonen gezielt mit diesen arbeiten können, braucht es aber auch entsprechende Trainings und die Aneignung von KI-spezifischen Kompetenzen. Sie müssen Tools nicht nur anwenden, sondern auch verstehen und hinterfragen können.
Welche drei Punkte sind dabei besonders wichtig?
Lehrpersonen brauchen die Kompetenz, didaktisch sinnvolle Tools zu erkennen. Sie dürfen sich nicht von Marketingversprechen blenden lassen. Eine weitere Kompetenz ist das qualitative Einordnen. KI-Modelle sind nicht unfehlbar. Lehrpersonen müssen darum die Resultate der Tools kritisch einordnen können. Ein dritter, wichtiger Punkt ist der Umgang mit Lernanalytika: Lehrpersonen müssen die Analysen, die ein Tool generiert, verstehen und darauf basierend weiterführende Lektionen entwickeln können.
Eine Sprache zu lernen, ist anstrengend. Lohnt sich das Büffeln überhaupt noch, wenn es Tools wie Chat-GPT und Deepl gibt?
Ohne Engagement findet Lernen nicht statt. Aber Lernen kan n sich auch leicht anfühlen, wenn es motiviert und Sinn macht. Wir müssen uns im Zuge der KI-Revolution überlegen, wie Lernen künftig stattfinden soll. Technologische Neuerungen führen zu Verschiebungen bei den Kompetenzen, die man sich aneignen muss. Maschinen sollen den Menschen in seinen Tätigkeiten unterstützen – nicht ersetzen. In Gesprächen, aber auch in anderen Situationen, wird es schnell umständlich, wenn Maschinen immer als Übersetzer dazwischengeschaltet sind. Ich glaube nicht, dass das erstrebenswert ist.
Sprachen sind etwas zutiefst Menschliches. Woran scheitern Maschinen?
Zur Natur der Sprache gehören immer auch etwas Chaos und Spontanität. Die Technologie und ihre Sprachmodelle hingegen beherrschen nur eine stilisierte Sprache. Das bewährt sich in formellen Settings gut, aber nicht unbedingt in sozialen Situationen.
«Lehrpersonen müssen KI auch hinterfragen können.»
Wie geht es mit dem Chatbot weiter? Die Konkurrenz ist gross.
Wir wollen unseren Prototypen auf jeden Fall weiterentwickeln. Dafür sind wir jedoch auf Fördergelder angewiesen. Die Tech-Branche ist zwar schnell, aber ihre Produkte sind häufig auf Skalierung und Profit optimiert. So überzeugen sie oft nur oberflächlich mit hübschen Funktionen und bequemem Lernen. Zum Beispiel mit Antwortauswahl und automatischen Übersetzungen.
Wie halten Sie dagegen?
Wir wollen nicht unbedingt gegensteuern, aber mitwirken. Gerade fachdidaktisch sehe ich noch viel Potenzial. Vieles, was im Klassenzimmer geschieht, kann nicht so einfach eins zu eins mit einem Chatbot reproduziert werden. Denn erfahrene Lehrpersonen reagieren im Unterricht sehr intuitiv. Dem müssen Lernapps noch gerechter werden.