Die Frage, ob Schulnoten noch zeitgemäss sind, beschäftigt Lehrerinnen und Lehrer seit langer Zeit. Eine Alternative liefert die Autorin Lisa Kunze. In ihrem Buch «Dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios» geht es um eine Lernkultur ohne Noten und Zeugnisse an öffentlichen Schulen. Im Mittelpunkt des Buches steht eine mehrjährige Studie an einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein, die eine lernförder-liche Bewertungskultur umsetzen will. Die Schule verzichtet auf Noten, Zeugnisse und einseitige Fremdbeurteilung durch Lehrpersonen. So sollen die Selbstreflexion und die Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schüler für ihr Lernen gefördert werden.
Portfolio statt Noten
Wie Schule ohne Zeugnisse funktionieren kann
Ein Beurteilungssystem, das auf Portfolios basiert, kann Motivation und Selbstständigkeit der Lernenden steigern, wie eine Studie zeigt. Diese Studie steht im Mittelpunkt eines Buchs über Leistungsbeurteilung.


Zwischenschritte im Portfolio zeigen
Statt auf Noten setzt die Schule auf Portfolioarbeit mit dialogischen Lernentwicklungsgesprächen, an denen Schülerinnen und Schüler, Lehrerpersonen und Erziehungsberechtigte beteiligt sind. Grundlage für das Gespräch ist ein Portfolio, das aus aussagekräftigen Dokumenten aus allen Fächern besteht. Portfolios enthalten nicht nur Endprodukte, sondern auch Zwischenschritte. In jedem Lernentwicklungsgespräch wird eine Lernvereinbarung erarbeitet, in der neue Lernziele festgehalten werden. Dabei wird auch besprochen, welche Unterstützung sich die Schülerin oder der Schüler von den Lehrpersonen und Erziehungsberechtigten wünscht.
Der Schulversuch einer portfolioorientierten Schule lief über vier Jahre und wurde von der Autorin wissenschaftlich begleitet.
Aus dem Buch können drei Erkenntnisse für die Schulpraxis abgeleitet werden:
Positiver Einfluss auf die Motivation
Erstens, alternative Beurteilungssysteme können sich positiv auf die Motivation und die Selbstreflexion der Schülerinnen und Schüler auswirken: Die Studie deutet darauf hin, dass das von der Gemeinschaftsschule verwendete alternative Bewertungssystem positiv zur Entwicklung der Motivation und Selbstreflexion der Lernenden beigetragen hat. Indem sie in den Bewertungsprozess einbezogen wurden, übernahmen die Schülerinnen und Schüler mehr Verantwortung für ihr Lernen und waren in der Lage, ihre Stärken und Schwächen besser zu verstehen.
Eigenständiges Lernen wird gefördert
Zweitens, portfoliobasierte Bewertungen können ein Lernen fördern, bei dem die Studierenden im Zentrum stehen: Durch die Konzentration auf Portfolios anstelle von Noten und Zeugnissen war die Gemeinschaftsschule in der Lage, einen stärker auf die Schülerinnen und Schüler fokussierten Lernansatz zu fördern. Diese wurden ermutigt, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen und ihre Fortschritte zu dokumentieren, während Lehrpersonen und Eltern Unterstützung und Feedback gaben.
Bewertungen klappen nur mit Zusammenarbeit
Drittens, die Einführung von portfoliobasierten Bewertungen erfordert Zeit und Zusammenarbeit: Im Buch wird betont, wie wichtig es ist, alle Beteiligten, einschliesslich Lehrpersonen, Schulleitung, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler einzubeziehen. Die Lehrkräfte benötigen ausreichend Zeit und Ressourcen, um Schulungen und Unterstützung für diesen neuen Ansatz zu erhalten. Schulen brauchen eine systematische Bewertung des neuen Modells durch alle Beteiligten. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Ansatzes erfordert ein langfristiges Engagement und die Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Der vierjährige Schulversuch war so erfolgreich, dass die Schule die Genehmigung erhielt, die Portfolioarbeit fortzusetzen. Sie erhielt zudem den Auftrag, diesen Ansatz an sechs weiteren Schulen einzuführen.
Buch ist eine Anregung zur vertieften Diskussion
Das Buch liefert eine wertvolle Grundlage für eine vertiefte Diskussion zu alternativen Beurteilungsmethoden, die auch in der Schweiz geführt werden muss.
Autor
Beat Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH
Datum