Pädagogik
Wer gut Feedback geben kann, profitiert selbst davon
Geben sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig Rückmeldungen zu ihren Arbeiten, lernen sie dabei wichtige Kompetenzen für das spätere Leben. Die Lehrpersonen erhalten nebenbei mehr Zeit für Lernende, die zusätzliche Unterstützung benötigen.
Es ist ruhig im Klassenzimmer von Monique Struck. Die Schülerinnen und Schüler einer dritten Klasse der Sekundarschule Mellingen-Wohlenschwil (AG) sitzen konzentriert über ihren Arbeitsaufträgen. Einige haben ihren Arbeitsplatz hinaus in den Gang verlegt und hocken in Zweier- und Dreiergruppen zusammen. In dieser Doppellektion haben die Jugendlichen Zeit, in ihrem eigenen Tempo an ausgewählten Aufgaben zu arbeiten – und dürfen ihre Arbeit auch gleich gegenseitig bewerten. Peer-Feedback heisst die Methode, die Struck bei ihrer Klasse anwendet. Später werden sich die Lernenden in kleinen Gruppen gegenseitig Rückmeldungen zu ihren gelösten Aufträgen geben. Beim Feedback sagen sie einander, was ihnen daran gefallen hat und wo sie Verbesserungspotenzial sehen. Impulskarten mit konkreten Vorschlägen helfen jeweils dabei, passende Formulierungen zu finden, um die Rückmeldung auf adäquate Weise anzubringen.
Peer-Feedback verschafft Zeit
Monique Struck unterrichtet seit 25 Jahren an der Oberstufe Mellingen-Wohlenschwil. «Lange habe ich mich gefragt, wie ich bei den Schülerinnen und Schülern Begeisterung schaffen und die Neugier im Unterricht aufrechterhalten kann», erzählt sie bei einem kurzen Gespräch im Nebenraum, während die Klasse weiterhin mit den Aufgaben beschäftigt ist. Sie habe sich auch Gedanken dazu gemacht, wie sie die Lernenden dazu anleiten könne, genauer hinzuschauen und mehr Eigenverantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen. «Zudem kann ich mich als Lehrerin nicht aufteilen und mich nicht um alle Fragen und Belange gleichzeitig kümmern.» Das Peer-Feedback gebe ihr die Möglichkeit, jene Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, die gerade am meisten Hilfe benötigen.
«Lernwirksames Peer-Feedback zu erteilen, ist eine hohe Kompetenz.»
Struck hat das Peer-Feedbackmodell im Rahmen einer Weiterbildung kennengelernt. Entwickelt wurde es von Wolfgang Beywl, Dozent für Schul- und Unterrichtsevaluation an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Beywl fragte die Lehrerin an, ob sie das Modell erstmals in ihrem Unterricht ausprobieren wolle. Das war vor fünf Jahren. Die Klasse hat das Peer-Feedback vor drei Jahren kennengelernt. Seitdem sind die Schülerinnen und Schüler bereits erprobt darin, sich gegenseitig Rückmeldung zu ihren Hausaufgaben zu geben. «Lernwirksames Peer-Feedback zu erteilen, ist eine hohe Kompetenz», sagt Beywl auf Anfrage von BILDUNG SCHWEIZ. Es erfordere zentrale überfachliche Fähigkeiten: Lösungswege beschreiben, über das eigene Lernen sprechen und Emotionen regulieren können – beispielsweise schweigen lernen, wenn man ungeduldig auf eine Antwort wartet. «Das sind wichtige Kompetenzen für das lebenslange Lernen.»
Rückmeldung positiv ausdrücken
Nach der kurzen Pause wird es lebhaft in der Klasse. In Zweier- und Dreiergruppen besprechen die Jugendlichen die Aufgaben und Französischtexte, die sie erarbeitet haben.
Lionel und Raphael sind mit ihren Französischtexten beschäftigt. Anhand von Formularen, die Monique Struck für das Peer-Feedback jeweils verteilt, sprechen sie nun über ihre Arbeiten. Sie hatten die Aufgabe erhalten, über eine beliebige Sache zu schreiben, die sie fasziniert – etwa Natur, Architektur oder Technik.
Lionel hat seinen Aufsatz über ein neues BMW-Modell geschrieben. Im Text geht er auf die technischen Ausführungen des Fahrzeugs ein. Sein Kollege und Tischnachbar Raphael bewertet den Aufsatz als gut. «Du bringst gute Beispiele im Text. Der Aufsatz ist klar strukturiert und übersichtlich geschrieben», sagt der 15-Jährige. Ein Vorschlag zur Verbesserung gehört ebenfalls zum Peer-Feedback dazu. In diesem Fall ist es das Zeitmanagement, das Lionel noch verbessern könnte. Danach tauschen beide die Rollen, und Lionel gibt Raphael seine Rückmeldung zu dessen Arbeit.
Im weiteren Arbeitsprozess werden die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeiten nochmals überarbeiten und schliesslich der Lehrperson zur summativen oder formativen Beurteilung einreichen. Für eine gelungene Anwendung des Peer-Feedbacks sei es wichtig, dass auch die Lehrpersonen das Geben von Rückmeldungen beherrschten, so Beywl. «Lehrpersonen, die als glaubwürdige Vorbilder in der Klasse sichtbar sind und die das Feedback-Geben erklären können, sind genau die richtigen, um Peer-Feedback zu einem tragenden und lernwirksamen Teil des Unterrichts zu machen.» Wie Feedback genau funktioniere, sei erst in den letzten Jahren in der Forschung und Weiterbildung systematisch ausgearbeitet worden.
Satzteile vorformulieren
Bei der Gestaltung ihrer Rückmeldungen bekommen die Schülerinnen und Schüler Vorschläge von Struck. Das Arbeitsblatt, auf dem sie ihr Feedback zuerst schriftlich notieren, gibt konkrete Bewertungskriterien vor. Diese sind auf die Aufgabe abgestimmt. Auf dem Bewertungsblatt zum Französischaufsatz können die Jugendlichen beispielsweise festhalten, ob sie den Text der Mitschülerin oder des Mitschülers gut lesbar fanden und ob Satzzeichen korrekt gesetzt wurden. Das Blatt enthält auch Tipps, was das mündliche Feedback enthalten sollte – etwa, was einem am Text besonders gefallen hat oder welche Punkte nicht verständlich waren. Wichtig dabei sei ein positiv formuliertes Feedback, so Struck.
«Peer-Feedback ist wie eine gemeinsame Sprache, die man Schritt für Schritt lernen kann.»
Auf einem Tisch legt sie darum laminierte Kärtchen auf, die vorformulierte Satzanfänge enthalten, welche die Jugendlichen nutzen können. Dazu gehören Sätze wie zum Beispiel «Ich bin beeindruckt, wie du...», «Deine Arbeit wird sich verbessern, wenn du...» oder «Ich möchte mehr wissen über...». So bekommen die Jugendlichen mehr und mehr Übung darin, wie sie ihre Meinung fair ausdrücken können. «Es ist wie eine gemeinsame Sprache, die man Schritt für Schritt lernen kann», sagt die Lehrerin. Das Peer-Feedback könne auch das Selbstbewusstsein der Jugendlichen steigern. «Vielen Schülerinnen und Schülern ist anfänglich nicht bewusst, dass ihre Rückmeldung hilfreich sein kann.» Daneben hat das Peer-Feedback weitere Vorteile, beispielsweise das Lernen durch Lehren. «Die Peertutors, also die Lernfeedback-Gebenden, stärken dabei ihre fachlichen und überfachlichen Kompetenzen», erklärt Beywl.
Die Schülerinnen und Schüler von Struck sind mit dem freien Arbeiten und dem Peer-Feedback zufrieden. So auch Nadine und Elsa, die sich in eine kleine Sitzecke am Fenster zurückgezogen haben und ihre Aufgaben diskutieren. Beide sind sich einig: «Es ist ein bisschen entspannter, wenn wir das Feedback untereinander einholen können.» Das findet auch die Gruppe um Marc, Yaron und Bikendi am Tisch nebenan. «Das Peer-Feedback hilft vor allem auch denjenigen, die bei Rückmeldungen ein bisschen empfindlicher sind», meint Yaron.
Nach der Diskussion der Aufsätze endet die Doppellektion. Die grosse Pause beginnt und die Schülerinnen und Schüler strömen hinaus auf den Gang. Nach der grossen Pause gibt es einen kurzen Input zum nächsten Geschichtsauftrag, bevor die Klasse die restliche Zeit für ihre Weiterarbeit nutzt. Diese selbst gesteuerten Arbeitsphasen sind ebenfalls fester Bestandteil der Unterrichtswoche. Peer-Feedback kommt in passenden Sequenzen regelmässig zum Einsatz und bereichert so die Palette der Rückmeldeformen im Unterricht.
Weiter im Netz
Auf der Website der Schule Mellingen-Wohlenschwil finden Sie weitere Infos zum Thema Peer-Feedback.
Autor
Caroline Kienberger
Datum
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