Frau Nelson ist eine sanfte Lehrperson. Ihre Klasse ist die frechste im Schulhaus. Zerkaute Papierkügelchen fliegen durchs Zimmer. Aufforderungen der Lehrerin werden lachend ignoriert. Als Frau Nelson schliesslich nicht mehr zum Unterricht erscheint, übernimmt eine strengere Lehrerin die Klasse. Sie schlägt mit dem Lineal auf den Tisch, wird laut und droht. Die Kinder wagen sich vor Angst kaum zu bewegen.
Die Szene stammt aus dem Buch «Miss Nelson is missing!» und spiegelt das pädagogische Dilemma in den Klassenzimmern wider: Die altbekannte Autorität, basierend auf Gehorsam und Drohungen, macht weder Spass noch Sinn. Doch auch die Lehrperson, deren Präsenz einer lauen Frühlingsbrise ähnelt – mild und kaum wahrnehmbar – hat in einer Schulklasse schnell nichts, beziehungsweise alles verloren: den Respekt der Lernenden und den Einfluss auf ihr Verhalten.
Bewährte Strategie bei Gewalt
Die heutige Schule braucht dringend ein Autoritätskonzept, das für Lehrpersonen sowie für Schülerinnen und Schüler funktioniert. Mögliche Ansätze bietet die sogenannte neue Autorität. Der israelische Psychologe Haim Omer hat die Strategie in den 1980er-Jahren zur Unterstützung von Eltern im Umgang mit gewalttätigen Jugendlichen entwickelt. Heute werden die Grundwerte des Konzepts immer häufiger auch im Schulalltag angewandt.
Wahre Autorität wird durch Präsenz und den Aufbau von Beziehungen geschaffen.
Im Zentrum steht die Überzeugung, dass wahre Autorität nicht durch Gewalt und Macht, sondern durch Präsenz, Transparenz und den Aufbau von Beziehungen geschaffen wird. Statt auf Konfrontation setzt die neue Autorität auf gewaltfreien Widerstand. Dabei orientiert sie sich an Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King.
Das Konzept ist ein Haltungskodex für Lehrpersonen: starke Präsenz im Unterricht, Selbstregulierung und das Schaffen von Unterstützungsnetzwerken. In der Praxis bedeutet das, dass die Lehrperson im Unterricht auf Konfrontationen aufmerksam und kontrolliert reagiert. Sie handelt deeskalierend, mit klaren Ansagen. Ihr Handeln und ihre Entscheidungen werden durch das Lehrkollegium und die Eltern unterstützt.
Alte Ideen, neue Kombination
Präsenz, Selbstkontrolle, Vernetzung: Neu erscheint an der neuen Autorität wenig. Das räumt auch Doris Brodmann ein. Die Pädagogin begleitet und berät Schulen und Institutionen auf dem Weg zur neuen Autorität. Neu hingegen sei, dass Omers Konzept die wirksamsten Faktoren aus verschiedenen Ansätzen kombiniere, ganz nach dem Motto: «Von allen das Beste nehmen und ausleben!»