Nachwuchsförderung

Technologie ist auch Mädchensache

Ein neues Sommercamp will die Freude junger Frauen an technischen Themen wecken und fördern. Dort werden sie auch ermutigt, weniger zu zögern und sich untereinander zu vernetzen.

Mehrere Mädchen stehen um einen Tisch und betrachten lachend einen Roboter, der dort steht.
Das Ferienlager der Swiss Tecladies bringt Mädchen zusammen, die mehr über Technologie erfahren wollen. Fotos: Swiss Tecladies/Linda Pollari

In dieser vernetzten Welt prägt Technologie das Leben der Mädchen ebenso wie das der Jungs. Technologie ist aber immer noch eine Männerdomäne. In Industrie und Forschung bleiben Frauen trotz Appellen und Förderinitiativen eher die Ausnahme. Es braucht also Frauenförderung, die schon in jungen Jahren ansetzt. Ein solches Projekt mit Namen «Swiss Tecladies for IT», wurde diesen Sommer erstmals in Chur durchgeführt. Dabei verbrachten 33 Mädchen eine Lagerwoche auf dem Campus der Bündner Kantonsschule. Sie kombiniert Ferienspass mit Workshops und lehrreichen Ausflügen in die Region.

Unter Gleichgesinnten

Die Mädchen sind alle zwischen 12 und 15 Jahre alt und kommen aus der ganzen Schweiz. «Ich bin mit einer Freundin hier», erzählt Tanja (13). Sie wurde durch eine E-Mail der Schulleiterin auf das Lager aufmerksam – und schliesslich neugierig. Manche kommen wie Tanja aus Neugierde. Andere sind schon weiter und haben sich in der Freizeit Programmiersprachen angeignet. «Mein Vater hat mir Scratch beigebracht. Jetzt lerne ich Java», erzählt Lioba (14).

«Das Erleben unter Gleichgesinnten steht im Vordergrund.»

Die Bandbreite an Vorkenntnissen ist gewollt. Das Camp eignet sich für alle, die interessiert sind. «Die Mädchen haben ganz unterschiedliches Vorwissen. Fähigkeiten zu vermitteln, ist nicht das Hauptziel des Camps. Es soll vielmehr zeigen, wo überall Technologie im Alltag zum Einsatz kommt und was dahintersteckt», sagt Programmleiterin Sandra Weidmann. «Es ist kein Wettbewerb. Das Erleben unter Gleichgesinnten steht im Vordergrund.» Weidmann ist bei der Schweizerischen Akademie der technischen Wissenschaften für die Nachwuchsförderung zuständig. Swiss Tecladies ist eines der Angebote. Die Projekte werden von privaten Unternehmen unterstützt.

Das Programm der Lagerwoche ist ebenso vielfältig wie das Vorwissen der Teilnehmerinnen. Schon am ersten Tag stürzen sich die Mädchen in eine virtuelle Realität (VR). Mit VR-Brillen simulieren sie die Wahrnehmung von Fledermäusen. In einem weiteren Workshop testen sie, mit welchen Funktionen Smartphones ausgestattet sind. Dabei lernen sie, wie die Face-ID funktioniert, experimentieren mit 3-D-Kameras und programmieren kleine Fahrzeugroboter. Die Leiterinnen und Leiter der Workshops kommen aus den unterschiedlichsten Industriebereichen. So erfahren die Mädchen aus erster Hand von der Technologie, die in selbst fahrenden Autos oder Robotern für Produktionsanlagen steckt.

Der Roboter im Operationssaal

Die Mädchen lernen auch mehr über die Möglichkeiten in der Medizin. In einem Workshop erklären zwei Ingenieurinnen der Firma Johnson & Johnson eine Technologie, die im Operationssaal Eingriffe überwacht. Diese stoppt notfalls die Funktion der chirurgischen Geräte, wenn die Ausführung zu stark von der Planung abweicht – zum Beispiel, wenn der Arzt oder die Ärztin zu viel Knochen entfernt.

Wie eine Maschine die richtigen Anweisungen erhält, um im Operationssaal zu funktionieren, dürfen die Mädchen schliesslich selbst ausprobieren. Alle erhalten einen kleinen Lernroboter, den sie über ein Tablet programmieren sollen. Zunächst beugen sich die Mädchen in Zweiergruppen über die Anleitung. Plötzlich herrscht eine konzentrierte Stille.

Ein Soundtrack mit 8-Bit-Tönen

Bei solchen Übungen zeigt sich das unterschiedliche Vorwissen deutlich. Während ein paar noch etwas zurückhaltend das kleine Gerät inspizieren, legen andere schnell los und schon erklingen vereinzelt 8-Bit-Töne, die an Computerspiele aus den 1980er-Jahren erinnern. Die Mädchen versuchen auf dem Tablet die Befehlsbausteine anzuordnen. Nicht immer mit Erfolg.

Die Mädchen beobachten und übernehmen die Problemlösungsstrategien.

Die Ingenieurinnen gehen zwischen den Tischen hin und her, um Fragen zu beantworten. Mit ihrer Unterstützung stellen sich erste Erfolge ein. Auf einem der Tische dreht sich ein Roboter wie wild um die eigene Achse. Das Display eines anderen Roboters zeigt das einprogrammierte Smiley an. Anderswo düst ein weiterer Roboter plötzlich los, und die vorbeigehende Kursleiterin kann ihn gerade noch auffangen: «Macht schnell noch eine Codezeile mit ‹motor stop›», rät sie den Mädchen, während im Hintergrund eine weitere 8-Bit-Melodie erklingt.

Ob ein Roboter sich korrekt verhält, hängt nebst der richtig programmierten Software auch von der Hardware ab. Die Ingenieurinnen haben dafür Ersatzteile dabei. Zudem testen sie die Geräte auf Wackelkontakt. Die Mädchen beobachten sie dabei und übernehmen die Problemlösungsstrategien der beiden Frauen.

Wo der Berg sich bewegt

Damit das Camp sich nicht wie Schule in den Ferien anfühlt, geht es regelmässig raus. Denn ein Vorteil der Stadt Chur sind die Berge, die sie umgeben. Dass diese für den Menschen auch bedrohlich sein können, zeigte der Bergsturz von Brienz vor gut einem Jahr. So führt ein Ausflug zum Schuttkegel des Bergsturzes. Dort im Albulatal erfahren die Mädchen unmittelbar, welche Technologien und Frühwarnsysteme zum Einsatz kommen, um die Menschen vor weiteren Niedergängen zu schützen. In Brienz liefern zum Beispiel Drohnen Messdaten, um die Bewegungen des Bergs zu überwachen. Anschliessend machen die Mädchen noch in Churwalden halt, wo sie sehen, wie eine Rodelbahn funktioniert.

«Seid mutig und probiert Neues aus.»

Nach dem Betrachten dürfen die Mädchen selbst den Berg hinuntersausen. Projektleiterin Weidmann will ihnen damit etwas Weiteres mit auf den Weg geben: «Seid mutig und probiert Neues aus.» Denn im Gegensatz zu vielen Buben zögern viele Mädchen, in die Rodelbahn zu steigen. Das Zögern überrascht Weidmann nicht. Sie kennt das aus früheren Workshops mit gemischten Gruppen. Buben würden allgemein selbstbewusster auftreten. «Wenn man die Jugendlichen fragt, worin sie gut sind, melden sich sofort die Jungs. Mädchen sind da zurückhaltender. Sie müssen eher ermutigt werden», erzählt Weidmann.

 

Menschliches Netzwerk

Das Camp fördert also das technische Verständnis und fordert die Mädchen auf, sich etwas zuzutrauen. Ein drittes Anliegen Weidmanns ist aber auch, den Mädchen bewusst zu machen, wie wichtig persönliche Netzwerke sind. Diese helfen und unterstützen sowohl in der Studien- und Berufswahl als auch später im Berufsleben. Für ältere Mädchen organisiert Weidmann entsprechend ein Mentoringprogramm (siehe Kasten). Denn daheim im Schulalltag sind die Mädchen mit ihren Interessen für Technik eher Aussenseiterinnen.

«Unter den Mädchen ist es sehr entspannt»

Im «Gymi» gebe es zwar einige Mädchen, die sich für Mathe, Informatik oder Naturwissenschaften interessierten, doch es gebe auch viel Zurückhaltung, beobachtet Liarina (15). «Einige Mädchen haben Angst vor Mathe.» Die Campteilnehmerinnen würden mehr Inputs zu Technologie an ihrer Schule begrüssen. Sie wollen nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern sich neues Wissen aneignen und vertiefen – zum Beispiel in Form von Thementagen, wie Liarina ausführt.

Im Camp geniessen die Mädchen derweil das Zusammensein mit Gleichgesinnten: «Es gefällt mir mega gut. Unter den Mädchen ist es sehr entspannt», erzählt Tanja. Auch Lioba schätzt den Austausch mit Schülerinnen aus anderen Kantonen. «Auch das abwechslungsreiche Programm ist cool», findet sie.

Nach den Sommerferien geht es für die Mädchen zurück in den Schulalltag, wo es langsam auch um die Berufs- und Studienwahl geht. Endgültig entschieden haben Tanja, Lioba und Liarina noch nicht. An Ideen und Wünschen fehlt es aber nicht. Ob Architektur, Lokführung, Informatik oder etwas mit Medizin – Technologie wird auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Sommercamp der Tecladies

Das Sommerlager richtet sich an Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren. Die Kosten pro Teilnehmerin betragen 250 CHF (mit Übernachtung) oder 100 CHF (ohne Übernachtung). Organisiert wird es von Swiss Tecladies. Die Inititative der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW bietet auch ein Mentoringprogramm für ältere Mädchen an. Mehr Informationen: tecladies.ch

 

Autor
Patricia Dickson

Datum

12.09.2024

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