Es geht Schlag auf Schlag: Das Kantonsparlament von Appenzell Ausserrhoden entschied im März, dass Französisch erst in der Oberstufe unterrichtet werden soll. Anfang September folgte ihm der Kanton Zürich und Mitte Monat nun der Kanton St. Gallen.
Besonders der Entscheid aus Zürich, dem bevölkerungsreichsten Schweizer Kanton, sorgte für nationale Schlagzeilen. Viele attestieren ihm eine mögliche Signalwirkung. Die Zürcher Regierung hält den Vorstoss für ein «Spiel mit dem Feuer», wie Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) sagte. Der Kanton muss für die Umsetzung des Parlamentsentscheids nämlich aus dem Harmos-Konkordat austreten. Darin wird die Harmonisierung der Schweizer Volksschule geregelt. Bevor es soweit ist, werden aber noch einige Jahre vergehen. Vorerst hat der Regierungsrat nun zwei Jahre Zeit, um eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten.
Frage der Perspektive
Aus Sicht des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV) ist die Abschaffung des Frühfranzösisch willkommen, wie dessen Präsidentin, Lena Fleisch, gegenüber Radio SRF sagte. So seien viele Kinder von zwei Fremdsprachen in der Primarschule überfordert. Anders sieht dies Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Sie könne zwar nachvollziehen, dass der Verzicht auf Frühfranzösisch aus Sicht des kantonalen Lehrpersonenverbands eine Entlastung darstelle. «Ich habe aber eher den nationalen Blick und sehe, wie wichtig es ist, dass wir mit unseren Nachbarn in der Romandie eine gemeinsame Sprache sprechen.»
Baume-Schneider: «Ein Affront»
Ähnlich wie Rösler sieht dies Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP). Sie spricht von einem Affront und betont, dass der Bundesrat ihrer Meinung nach aktiv werden müsse, wenn Zürich aus Harmos austrete. Sie will das Thema in den Bundesrat bringen: «Ich bin dafür, dass der Bund handelt und den Landessprachenunterricht auf Primarschulstufe vorschreibt.» Auch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren wird sich mit dem Thema befassen. Der Nidwaldner Bildungsdirektor Res Schmid (SVP) hat einen Antrag eingereicht, wonach zwar nur noch eine Fremdsprache an der Primarschule unterrichtet werden soll, flächendeckend ab der fünften Primarschulklasse müsse dies aber eine zweite Landessprache sein. Englisch käme dann in der Oberstufe dazu.
«Die Volksschule für den nationalen Zusammenhalt verantwortlich zu machen, ist zu kurz gedacht.»
Auch im Nationalrat wird der Sprachunterricht aufgegriffen. Der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier (FDP) reicht einen Vorstoss ein. Dieser sieht vor, den Unterricht einer zweiten Landessprache in der Primarschule gesetzlich zu verankern. Cottier betonte gegenüber den Tamedia-Zeitungen, dass das Zürcher Modell gefährlich für die ganze Schweiz sei. Das Erlernen einer Landessprache sei eine Frage das nationalen Zusammenhalts.
Als eine Absage an die Romandie und den nationalen Zusammenhalt will die St. Galler Bildungsdirektorin Bettina Surber (SP) den Entscheid des dortigen Kantonsparlaments nicht sehen. Gegenüber Medien sagte sie, dass es auch andere Möglichkeiten gebe, eine zweite Landessprache zu fördern. Man könne beispielsweise Klassenlager in der Welschschweiz durchführen, Sportvereine könnten sich über den Röstigraben vernetzen oder Berufsschulen könnten der zweiten Landessprache mehr Platz einräumen. Für sie ist klar: «Die Volksschule für den nationalen Zusammenhalt verantwortlich zu machen, ist zu kurz gedacht.»