BILDUNG SCHWEIZ: Wissen Sie, was «Sheesh» heisst?
PASCAL FREY: Nein, ich könnte es jetzt nicht übersetzen und ich würde es auch nicht aktiv brauchen. Aber ich kann mir Situationen vorstellen, in denen meine Schülerinnen und Schüler das Wort gebrauchen.
Man könnte es wohl mit «Du meine Güte!» übersetzen. Was halten Sie denn von der heutigen Jugendsprache?
Ich erlebe manchmal Situationen, in denen zum Beispiel eine Schülerin der anderen sagt: «Chomm ey, Alte.» Dann denke ich mir schon, dass die Sprache manchmal erstaunliche Abstraktionsformen annimmt. Doch machen Ausdrücke wie «Sheesh» und «Bro» genau das, was solche Begriffe aus der Jugendsprache immer machen sollen: Sie schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und grenzen gegenüber anderen Generationen ab. Deshalb passt es, dass ich diese Wörter nicht beherrsche oder gar nicht kenne. Sie sind nämlich nicht für meine Generation bestimmt – und erst recht nicht für meine Rolle als Lehrer.
«Junge Leute wissen, wann es angebracht ist, bestimmte Ausdrücke zu verwenden und wann nicht.»
Macht sich die Jugendsprache auch im geschriebenen Deutsch bemerkbar?
Junge Leute wissen, wann es angebracht ist, bestimmte Ausdrücke zu verwenden und wann nicht. Je nach Situation drückt man sich anders aus, nutzt andere sprachliche «Register». Während also Jugendliche in bestimmten, abgegrenzten Situationen Begriffe aus der Jugendsprache verwenden, nutzen sie etwa für geschriebenes Standarddeutsch im Unterricht ein anderes Register. Ich erlebe es eher selten, dass es eine Durchmischung der Register gibt.
Ist es ein Ausdruck von Sprachkompetenz, sich der richtigen sprachlichen Register zu bedienen?
Das ist nicht nur ein Ausdruck davon, genau das ist Sprachkompetenz. Ich glaube sogar, dass junge Leute heutzutage mehr Register zur Verfügung haben, als es meine Generation hatte. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass Jugendliche heute sprachbewusster aufwachsen. Sie brauchen ihre Sprache in mehr unterschiedlichen Situationen. Dazu gehört etwa Social Media, worin sie vornehmlich Mundart schreiben. Doch wenn zum Beispiel meine Töchter mir in Mundart schreiben, bedienen sie sich sicher eines anderen Sprachregisters, als wenn sie sich gegenseitig schreiben.
Medienberichte schreiben jungen Leuten eine niedrige Sprachkompetenz zu, teils unter Berufung auf Lehrende. Was halten Sie davon?
Wenn man sie unbedingt finden will, findet man natürlich immer Personen, die diese Beobachtungen bestätigen. Der Vorwurf lautet dann oft, die jungen Leute kennen weder Orthografie noch Interpunktion. Es ist jedoch ein Fehler, Orthografiekenntnisse mit Sprachkompetenz gleichzusetzen. Sprachkompetenz ist sehr viel mehr, wie eben etwa die richtige Anwendung der verschiedenen sprachlichen Register. Ausserdem will mir nicht einleuchten, wieso junge Menschen Orthografie- und Interpunktionsregeln schlechter beherrschen sollen als andere.
Warum?
Junge Leute können heute einiges viel besser als ältere. Sie können zum Beispiel alle sehr viel besser Englisch als etwa meine Generation. Ausserdem können viele Junge programmieren, was bei Personen über 30 Jahren nicht verbreitet ist. Warum kann die junge Generation das alles? Weil sie es erlernt hat. Also fragt sich, warum gerade die Generation von Jugendlichen, die all das und mehr kann, keine Rechtschreibregeln erlernen können soll. Falls Orthografie und Interpunktion also tatsächlich immer schlechter werden sollten, muss das andere Gründe haben.
Sind Ihre aktuellen Schülerinnen und Schüler schlechter in der Rechtschreibung als frühere?
Nein. Für die Behauptung, dass es eine solche Entwicklung gibt, würde ich ohnehin gerne einmal harte Fakten sehen. War es denn vor 10, 20 oder 100 Jahren besser? Das weiss offenbar niemand. Trotzdem scheint es erwiesen, dass junge Leute die Sprache von Jahr zu Jahr schlechter beherrschen – zumindest, wenn man den Berichten einiger Medien Glauben schenken will. Sollte es aber tatsächlich so arg um die Sprache stehen und hat das tatsächlich einen so hohen Stellenwert, dann muss man auch die Ressourcen bereitstellen, um das Problem anzugehen.