Wichtig dazu wären gute Lehrpersonen. Doch dort herrscht ein Mangel.
Tatsächlich wiesen wir in früheren Bildungsberichten auf diese Entwicklung hin. Weil diese nicht abrupt ist, erzeugt sie zu wenig Druck in der Gesellschaft, um etwas dagegen zu unternehmen. «Lehrpersonenmangel gibt es nicht. Nach den Sommerferien steht immer jemand vor der Klasse», sagte einmal ein Präsident der Konferenz der Erziehungsdirektorinnen und Erziehungsdirektoren (EDK). Er meinte damit: Dann sind halt einfach die Klassen grösser. Das führt dazu, dass das Problem nicht so schlimm erscheint.
«Fehlt eine Fachperson zur Bedienung einer Maschine, steht die Maschine still.»
Die Behauptung, es gibt keinen Lehrpersonenmangel, ist provokativ.
Der EDK-Präsident wollte so erklären, weshalb nichts Substanzielles passiert. Natürlich gibt es den Lehrpersonenmangel. Es ist einfach so, dass nie eine Klasse ein Quartal ohne Betreuung bleibt. Doch Leute aus dem Studium zu holen oder zu wenig qualifizierte Personen anzustellen, hat Auswirkungen auf die Qualität. Ein Vergleich: Fehlt eine Fachperson zur Bedienung einer Maschine, steht die Maschine still. Sie können nicht einfach jemanden ohne Ausbildung hinstellen, der sie dann in zwei Minuten kaputt macht.
Also bräuchte es einen Schock, der wachrütteln würde?
Das ist aber fast unmöglich. Nehmen wir an, eine Klasse wird während längerer Zeit von einer unfähigen Person beschult. Die Auswirkungen wären eben nicht wie bei der Maschine sofort zu spüren. Sie würden erst Jahre später bemerkt, wenn die betroffenen Kinder keine Lehrstelle finden oder im Studium scheitern.
ZUR PERSON
Stefan Wolter verantwortet als Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung den nationalen Bildungsbericht. Dieser wird im Auftrag von Bund und Kantonen erstellt. Die 5. Ausgabe ist im März 2023 erschienen. Wolter ist zudem Professor für Bildungsökonomie an der Universität Bern.
Wie lässt sich der aktuelle Mangel an Lehrpersonen also angehen?
Aktuell befinden wir uns in einer toxischen demografischen Situation: Viele gehen in Pension, kleine Jahrgänge kommen ins Ausbildungsalter bei gleichzeitig steigenden Zahlen an Schülerinnen und Schülern. Begleitet wird diese von einer fortschreitenden Tendenz in der Gesellschaft zur Teilzeitarbeit. Die demografische Situation wird sich zwar wieder entspannen. Um dem aktuellen Mangel zu begegnen, schlage ich aber vor, beim ausgebildeten Personal, das kleine Pensen hat, anzusetzen. Die meisten dieser Personen haben viele Jahre Berufserfahrung. Als Vater eines Kindes wäre es mir demzufolge lieber, wenn statt einer Notlösung solche Profis ihr Pensum zum Beispiel von 40 auf 60 Prozent erhöhen würden.
Zurück zum Bildungsbericht: Sie möchten mehr Leistungen messen können. Warum?
Wenn wir Gleiches mit Gleichem vergleichen, haben wir eine grössere Chance, die Ursache eines Problems zu finden. Ein Beispiel dazu: Kanton und Bund haben sich zum Ziel gesetzt, dass 95 Prozent aller 25-Jährigen mindestens einen nachobligatorischen Bildungsabschluss haben. Im Bildungsbericht 2018 zeigten wir, dass dieses Ziel bei Schweizerinnen und Schweizern praktisch erreicht ist. Bei Kindern von Zugewanderten liegt diese Rate bei rund 85 Prozent und bei Migrantinnen und Migranten bei knapp 80 Prozent. Das mussten wir damals so stehen lassen. Wir wussten nicht, was dahintersteckt. Dank Pisa-Längsschnittdaten wissen wir nun mehr: Fast die Hälfte der Differenz lässt sich durch schulische Defizite beim Schulaustritt erklären.
Und was ist nun die Erkenntnis daraus?
Schulkinder mit Migrationshintergrund müssen am Ende der Schulzeit möglichst an dasselbe Niveau herangeführt werden wie Schweizer Schulkinder.
Führen mehr Vergleichstests nicht zu einer Schubladisierung von Schulen?
Das hängt davon ab, für wen die Informationen zugänglich sind. Richtig gemacht sorgt mehr Testen für mehr Gerechtigkeit. Falsch läuft es, wenn man Daten nur einmal erhebt. Dann schneiden jene Schulen am besten ab, die sich die besten Schülerinnen und Schüler sichern konnten – unabhängig von der Qualität der Schule selbst. Könnten wir statt des aktuellen Lernstands den Lernfortschritt messen, wäre das viel aussagekräftiger. Damit könnte eine engagierte Schule in einem unprivilegierten Quartier plötzlich besser dastehen als eine in einem Akademikerviertel.