Durch Manipulation in die Prostitution

Loverboys haben mit Liebe nichts zu tun

Mit der sogenannten Loverboy-Masche werden Jugendliche manipuliert und ausgebeutet. Die Täter gaukeln ihren Opfern die grosse Liebe vor, um sie in die Prostitution zu zwingen. Für Betroffene ist der Ausstieg schwierig.

Ilustration eines jungen Mannes, der ein Mädchen an der Hand führt.
Zur Taktik der Loverboys gehört auch die Isolation der Mädchen von ihrem sozialen Umfeld. Illustrationen: Verein Act212

Die vierzehnjährige Mila ist verliebt – unsterblich verliebt. Und zwar in den etwas älteren Leo. Kennengelernt hat sie den jungen Mann in einem Chatroom. Leo entpuppt sich als Traumprinz und Mila verbringt immer mehr Zeit mit ihm. Nachdem sich die beiden einige Wochen kennen, gerät Leo in Geldnot – er muss angeblich Schulden zurückzahlen. Weil er das verlangte Geld nicht hat, bittet er Mila darum, mit einem seiner Freunde zu schlafen. Dieser werde dann dafür seine Schulden begleichen. Mila will zuerst nicht, willigt dann aber doch ein. Sie will Leo nicht verlieren. Der angebliche Freund entpuppt sich später allerdings als Freier, der Mila für eine Nacht im Hotel gebucht hat. Doch das wird ihr erst viel später bewusst.

Kein Einzelfall

Mila heisst in Wirklichkeit nicht Mila und auch Leo hat einen anderen Namen. Doch der Fall habe sich so ereignet, sagt Irene Hirzel, Geschäftsführerin von Act212, einem Beratungs- und Schulungszentrum für Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung. Sie kennt Mila – und sie kennt das Vorgehen von Leo. Er ist nicht der einzige junge Mann, der als sogenannter Loverboy versucht, eine junge Frau emotional an sich zu binden, um sie dann zur Prostitution zu zwingen.

Bei Act212 stapeln sich die Akten zu 50 vergleichbaren Fällen seit dem Jahr 2017. Einer dieser Fälle wird demnächst vor Gericht verhandelt. Ein Dasein als Loverboy ist noch keine Straftat. Beutet dieser aber eine Frau aus, indem sie ihm beispielsweise Geld von Freiern abliefern muss, erfüllt sein Handeln je nachdem verschiedene Tatbestände, wie etwa Förderung der Prostitution oder Menschenhandel.

Erst manipulieren, dann ausnutzen

Doch wie kann es überhaupt soweit kommen? «Mädchen, die sich in einer Krisensituation befinden, sind besonders empfänglich für die Manipulation der Loverboys», sagt Hirzel. Die Mädchen leiden zum Beispiel an psychischen Problemen oder kommen aus schwierigen Familienverhältnissen. Genau danach suchen die Loverboys. «Sie gehen sehr gezielt vor: Sie suchen sich junge Frauen in Chatrooms und versuchen, eine Beziehung einzugehen. Manchmal schreiben sie bis zu 20 Mädchen auf einmal an.» Sie werfen quasi ein Netz aus: «Irgendeine junge Frau bleibt dann darin hängen.»

Komme es anschliessend zu realen Treffen, bestünden die jungen Männer auf raschen Sex, um die Mädchen emotional an sich zu binden, und überhäuften sie danach mit Geschenken und Liebesschwüren, sagt Irene Hirzel. In einer späteren Phase würden die Mädchen dann isoliert, der «Traumprinz» beginne schlecht über die Eltern sowie die Freundinnen und Freunde der jungen Frau zu sprechen. «Da viele der Betroffenen aus instabilen Familienverhältnissen kommen, verfängt dieses Gerede», sagt Hirzel.

Ein einträgliches Geschäft

Für die jungen Männer, die eigentlich Zuhälter sind, ist die Loverboy-Masche ein einträgliches Geschäft. Sie werden von Freiern für den Kontakt mit den Mädchen bezahlt. Die Freier wiederum müssen für den Kontakt nicht ins Bordell, sondern treffen die Mädchen in Privatwohnungen, in Autos, in Hotels oder auf dem Campingplatz. «Die Kontakte finden bewusst nicht im Rotlichtmilieu statt. Die Mädchen sind in der Regel minderjährig und die Inanspruchnahme sexueller Dienste Minderjähriger ist strafbar», sagt Hirzel. Einige Mädchen merkten relativ rasch, dass sie in eine Falle geraten seien, anderen werde es erst später bewusst, so Irene Hirzel weiter. «Allen gemein ist aber, dass sie sich nicht getrauen, sich zur Wehr zu setzen und Hilfe zu holen.» Der Täter sorge in der Regel dafür, dass die Mädchen ruhig blieben, indem er diese beispielsweise mit Nacktfotos erpressen oder ihnen einreden würde, dass sie das Ganze doch freiwillig und ihm zuliebe machen. Fotos würden ganz bewusst und gleich zu Beginn der Bekanntschaft gesammelt.

Wenn Veränderungen auffallen

Von den 50 Fällen, die Irene Hirzel bekannt sind, haben sich bei den meisten die Eltern oder Bekannte des betroffenen Mädchens an die Fachstelle Act212 gewendet, um Hilfe zu erhalten. Erste Indizien seinen oft Verhaltensänderungen. «Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensänderungen bei Teenagern, die darauf hindeuten könnten, dass sich das Mädchen mit einem Loverboy trifft», sagt Hirzel. Dazu gehört etwa ununterbrochenes Chatten und häufiges Ausgehen oder das plötzliche Verfügen über viel Geld und teure Sachen.

Allerdings: Die Pubertät bringt viele Verhaltensänderungen bei Teenagern mit sich – nicht jede dürfte gleich dem Kontakt mit einem Loverboy zuzuschreiben sein, sagt Hirzel. «Viele unserer Indikatoren können auch auf ganz normale Teenager zutreffen. Hellhörig werden sollten Eltern oder Lehrpersonen aber dann, wenn diese Verhaltensänderungen mit einem neuen Freund im Zusammenhang stehen.» Möglich ist übrigens durchaus, dass auch Jungen in eine Loverboy-Falle geraten und beispielsweise in der homosexuellen Szene an Freier vermittelt werden. «Wir hatten bis anhin allerdings nur einen Fall. Es sind hauptsächlich Mädchen betroffen», sagt Hirzel.

Kein Tatbestand, kein Problem?

Der Polizei ist das Phänomen Loverboy bekannt. In der Vergangenheit sei es zu einzelnen Fällen gekommen, hält die Kantonspolizei Bern auf Anfrage fest. Genaue Zahlen zu mutmasslichen Opfern oder Tätern kann sie aber nicht angeben, da die Fälle nicht nach Loverboys aufgeschlüsselt werden, sondern nach dem einzelnen Straftatbestand. Grundsätzlich habe die Bekämpfung des Menschenhandels für die bernische Kantonsregierung und die Kantonspolizei Bern hohe Priorität, so Mediensprecher Joel Regli. Die Ermittlungen in diesem Bereich seien seit 2010 intensiviert worden. Die Kantonspolizei habe mehrere Ermittlungsverfahren geführt und in dem Zusammenhang auch eine Abteilung geschaffen, die sich mit Fällen von Menschenhandel befasst. Die Kantonspolizei Zürich kennt das Vorgehen der Loverboys ebenfalls und steht deswegen in Kontakt mit Behörden und Beratungsstellen. Es gebe allerdings im Moment keine Anhaltspunkte dafür, dass die Problematik im Kanton von besonderer Bedeutung sei, sagt der Mediensprecher Ralph Hirt. Organisationen wie Act212 befürchten jedoch, dass Loverboy-Fälle selten gemeldet werden und die Dunkelziffer entsprechend hoch ist.

Ausstieg braucht Unterstützung

Für die Opfer ist der Ausstieg aus der Prostitution und die Trennung vom Täter schwierig. In Verdachtsfällen beraten Act212 sowie weitere Fachstellen für sexuelle Gewalt. Diese betonen, dass für den Ausstieg der Rückhalt von Familie, Bekannten und Freundeskreis wichtig ist – ohne Vorwürfe. Denn oft hindern Schamgefühle die Opfer daran, Hilfe zu suchen. Wer den Ausstieg schafft, sei meist traumatisiert. «Eltern und Lehrpersonen müssen wissen, dass junge Frauen stark verändert sind, wenn sie sich befreien können oder befreit werden», sagt Irene Hirzel. Deshalb sei es umso wichtiger, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen – oder so schnell als möglich Hilfe zu holen.

 

Weiter im Netz

Infobroschüre «Loverboys» von Act212
Schweizerische Kriminalprävention mit Infos zu Belästigung im Internet

Wie erkennt man Loverboy-Fälle?

  • Häufiges Chatten und Ausgehen
  • Teenager verfügt plötzlich über viel Geld und teure Sachen
  • Viele Absenzen in der Schule, unstimmige Begründungen, schlechtere Noten
  • Rückzug von Eltern und aus dem Freundeskreis
  • Verändertes Aussehen: provokativ und sexy
  • Niedriges Selbstwertgefühl, Identitätskrise
  • Schmerzen im Unterleib, psychosomatische Beschwerden
  • Depressionen, Selbstverletzungen

Autor
Mireille Guggenbühler

Datum

06.03.2023

Themen