Digitale Texte

Lesen will gelernt sein – am Bildschirm erst recht

Am Bildschirm lernen Kinder nicht mehr richtig lesen. Was ist an dieser Behauptung dran? Und falls sie zutrifft: Lässt sich etwas dagegen unternehmen? Fest steht: Das digitale Lesen dürfen wir nicht verteufeln.

Kinder lesen an ihren Computern.
Am Bildschirm liest man tendenziell ungenauer. Dies sagt Maik Philipp von der Pädagogischen Hochschule Zürich. Foto: iStock/skynesher

Was einst der Buchdruck war, ist heute der Computer. Die Digitalisierung ist eine Revolution mit weitreichenden Folgen. Sie hat die Art, wie wir an Informationen gelangen und uns eine Meinung von der Welt bilden, komplett verändert. Geblieben ist das Lesen als Fertigkeit zur Informationsaufnahme. Dem Lesen am Bildschirm eilt jedoch ein schlechter Ruf voraus. Bildungsforscherinnen und -forscher warnen, dass sich damit das Textverständnis verschlechtert. Dies gelte besonders für längere Texte. Denn im Unterschied zu einer Zeitung oder einem Buch ist es am Bildschirm schwieriger, sich einen Überblick zu verschaffen.

Die Digitalisierung erschwert das Lesen also tatsächlich – aber sie macht es nicht obsolet. Im Gegenteil: Die Informationsflut, die uns über digitale Geräte täglich erreicht, muss verarbeitet und eingeordnet werden können. Da ist es keine gute Neuigkeit, dass Schweizer Jugendliche beim Lesen immer schlechter abschneiden. «Die Schweiz hat eine Leseschwäche», titelte gar die «NZZ am Sonntag» als Reaktion auf die Resultate der internationalen Vergleichsstudie PISA im vergangenen Dezember. Doch auch andere Länder sorgen sich um die Leseleistung ihrer Kinder. Unter anderem darum will Schweden, das zuvor Apps und Tablets im Unterricht favorisiert hat, besonders auf Primarstufe wieder die analoge Lektüre pflegen.

Entziffern allein ist nicht genug

Doch was genau steckt hinter dem Problem? Die Wissenschaft spricht von sogenannten hierarchieniedrigen und -hohen kognitiven Prozessen, die beim Lesen nötig sind. Als niedrig gelten automatisierte Fähigkeiten wie zum Beispiel die Worterkennung. Schwieriger ist es, beim Lesen Vorwissen und das Wissen über Textstruktur anzuwenden und dann die gelesenen Informationen in einen grösseren Kontext zu setzen.

Regelmässiges Üben – also Lesen – hilft teils, auch hohe kognitive Prozesse so zu automatisieren, dass sie zu niedrigen Prozessen werden. Vorausgesetzt, das Gelesene wird inhaltlich angemessen verstanden und verarbeitet. So wird das Lesen auf Dauer einfacher. Das setzt geistige Kapazitäten frei, um das Gelesene weiterzuverarbeiten.

Was einst der Buchdruck war, ist heute der Computer. Die Digitalisierung ist eine Revolution mit weitreichenden Folgen. Sie hat die Art, wie wir an Informationen gelangen und uns eine Meinung von der Welt bilden, komplett verändert. Geblieben ist das Lesen als Fertigkeit zur Informationsaufnahme. Dem Lesen am Bildschirm eilt jedoch ein schlechter Ruf voraus. Bildungsforscherinnen und -forscher warnen, dass sich damit das Textverständnis verschlechtert. Dies gelte besonders für längere Texte. Denn im Unterschied zu einer Zeitung oder einem Buch ist es am Bildschirm schwieriger, sich einen Überblick zu verschaffen.

 

Die Digitalisierung erschwert das Lesen also tatsächlich – aber sie macht es nicht obsolet. Im Gegenteil: Die Informationsflut, die uns über digitale Geräte täglich erreicht, muss verarbeitet und eingeordnet werden können. Da ist es keine gute Neuigkeit, dass Schweizer Jugendliche beim Lesen immer schlechter abschneiden.

«Die Schweiz hat eine Leseschwäche», titelte gar die «NZZ am Sonntag» als Reaktion auf die Resultate der internationalen Vergleichsstudie PISA im vergangenen Dezember. Doch auch andere Länder sorgen sich um die Leseleistung ihrer Kinder. Unter anderem darum will Schweden, das zuvor Apps und Tablets im Unterricht favorisiert hat, besonders auf Primarstufe wieder die analoge Lektüre pflegen.

Entziffern allein ist nicht genug

Doch was genau steckt hinter dem Problem? Die Wissenschaft spricht von sogenannten hierarchieniedrigen und -hohen kognitiven Prozessen, die beim Lesen nötig sind. Als niedrig gelten automatisierte Fähigkeiten wie zum Beispiel die Worterkennung. Schwieriger ist es, beim Lesen Vorwissen und das Wissen über Textstruktur anzuwenden und dann die gelesenen Informationen in einen grösseren Kontext zu setzen. Regelmässiges Üben – also Lesen – hilft teils, auch hohe kognitive Prozesse so zu automatisieren, dass sie zu niedrigen Prozessen werden. Vorausgesetzt, das Gelesene wird inhaltlich angemessen verstanden und verarbeitet. So wird das Lesen auf Dauer einfacher. Das setzt geistige Kapazitäten frei, um das Gelesene weiterzuverarbeiten.

Dem Lesen Raum geben

Wer viel liest, macht also Fortschritte. Das heisst: «Man muss Kinder und Jugendliche mit Büchern umgeben», sagt Anna Schaub. Sie arbeitet seit rund zehn Jahren in der Leseförderung und leitet das Lesezentrum an der Sekundarschule Sissach. Es ist eines von vier, bald fünf Lesezentren im Baselbiet, die von der kantonalen Fachstelle für Schulbibliotheken betrieben werden. Die Lesezentren locken mit einem breiten Angebot an Medien, bieten Arbeitsplätze für Hausaufgaben oder laden einfach zum gemütlichen Verweilen ein.

«Lesen gilt als anstrengend. Das haben viele verinnerlicht.»

Die Jugendlichen schätzen die Bibliothek als Treffpunkt, sagt Schaub. Leseförderung bleibt aber trotzdem eine Sisyphusarbeit. «Lesen gilt als anstrengend. Das haben viele verinnerlicht und nehmen darum nach der Schule nie mehr ein Buch in die Hand», sagt Schaub.

Insgesamt hat sich der Medienkonsum mit der Digitalisierung stark verändert. «Im Moment testen wir in den Lesezentren noch verschiedene Strategien, um den veränderten Lesegewohnheiten gerecht zu werden», sagt Viktoria Kahl-Milde. Sie leitet die Fachstelle Schulbibliotheken der Kantonsbibliothek Baselland. Manche Zentren ermöglichen den Zugang zu digitalen Zeitschriften, E-Books oder Streaming-Diensten, andere pflegen bewusst ein analoges Sortiment. Auch Veranstaltungen oder kleine Lesewettbewerbe gehören zum Programm. «Wir probieren aus, was vor Ort am besten funktioniert. Das wird auch von Schulleitungen so gewünscht», erzählt sie. Der Erfolg der Lesezentren zeigt sich auch in den Ausleihzahlen. Diese seien höher als in traditionellen Schulbibliotheken.

Kein Bildschirm ist auch keine Lösung

Ein grundsätzlicher Bildschirmbann ist also keine Lösung. Das bestätigt auch Maik Philipp von der Pädagogischen Hochschule Zürich. «Das Lesemedium als solches ist nicht das Problem», sagt der Professor für Deutschdidaktik. «Leserinnen und Leser müssen heutzutage auch am Computer kompetent lesen können.» Digitales Lesen dürfe nicht verteufelt werden. Es habe ebenso seine Vorteile wie das analoge Lesen, ist Philipp überzeugt. «Kulturpessimistische Schwarz-Weiss-Malerei, die zwischen gutem analogem und schlechtem digitalem Lesen unterscheidet, ist ganz sicher nicht angezeigt.» Die Probleme beim Lesen am Bildschirm verortet Philipp bei der Art des Lesens. «Studien belegen, dass man am Bildschirm erstens ungenauer liest und zweitens das eigene Leseverstehen überschätzt.» Das seien jedoch lösbare Probleme.

Das Lesen lenken

Die Lösung liegt für Philipp in der Art der Leseförderung. Entscheidend dafür ist auch die Aufgabenstellung. Sie soll zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler in ihrer Herangehensweise an digitale Texte lenken. Dies gilt vor allem für Sachtexte, denn diese sind in digitaler Form schwerer zu lesen als zum Beispiel erzählerische Texte. Anspruchsvoll ist dies unter anderem, weil gerade im Internet oft die Kombination von Text und Bild mehr Aufmerksamkeit erfordert. Ausserdem werden für Sachthemen oft mehrere Texte zu einem Thema gelesen.

Philipp empfiehlt Lehrpersonen, kleinteilige, präzise Arbeitsaufträge zu erteilen, welche die Aufmerksamkeit der Lesenden lenken. In solchen Fällen hilft es zum Beispiel, wenn Schülerinnen und Schüler lernen, selbstständig in mehreren Texten zusammengehörige Informationen zu markieren und mit Notizen zu ergänzen. Besteht Zeitdruck, empfiehlt Philipp, den Text dennoch auszudrucken. Denn wer einen Text nur überfliegt, wozu man online eben neigt, dem bleibt auch weniger hängen, worum es darin geht.

«Das Lesen digitaler Texte braucht didaktische Unterstützung.»

Ein Fazit wäre also: Der Bildschirm fordert nicht nur die Lesenden, sondern auch die Lehrenden, die Kinder und Jugendliche unterstützen müssen. «Schülerinnen und Schüler benötigen besonders Hilfe, wenn sie das Internet versiert zur Recherche nutzen sollen – gerade in Zeiten von Fake News und Texten, die von künstlicher Intelligenz generiert werden.» Dabei helfe unter anderem gutes Textsortenwissen, um etwa Meinungs- von Sachtexten zu unterscheiden, und das Erfassen von Metadaten wie Quellen und Namen der Verfasserinnen und Verfasser. All dies ermögliche eine gezielte Auswahl an Informationen. «Wie bei analogen Texten braucht das Lesen digitaler Texte die didaktische Unterstützung durch kompetente Lehrpersonen», betont Philipp.

So werden Lesemuffel zu Leseratten

Lehrerinnen und Lehrer vermitteln Lesefertigkeiten und Strategien zum Textverständnis. Sie sollten aber ebenso die Faszination, die das Lesen ausmacht, vorleben. So haben sie schon früh die Möglichkeit, die Lesefreude zu wecken. «Wer viel gemeinsam liest oder vorliest, kann Lesemuffel zu Leseratten machen», ist Anna Schaub vom Lesezentrum Sissach überzeugt. Es sei zudem wichtig, nicht nur während der Primarschule regelmässig eine Bibliothek zu besuchen, sondern auch später.

Das dortige Fachpersonal hat je nachdem auch gute Tipps auf Lager: Um Jugendliche für das Lesen am Bildschirm fit zu machen, empfiehlt Viktoria Kahl-Milde das Lesen von Comics. «Man sollte Comics im Unterricht mehr Platz einräumen», sagt sie. Im Comic ergebe erst das Kombinieren von Text und Bild eine Geschichte. Dies entspreche dem Leseerlebnis im Internet.

Für einen grundsätzlichen Pessimismus, wie er da und dort in Bezug auf das Lesen grassiert, sieht Kahl-Milde keinen Anlass: Sie beobachtet beispielsweise, wie Influencerinnen und Influencer mit Videos auf Social Media erfolgreich ihre Leselust propagieren und damit andere anstecken. Die Community tausche sich zwar online aus, gelesen würden Romane aber weiterhin analog. «Der Wunsch, sich über Geschichten auszutauschen, bleibt», sagt sie. Sie ist zuversichtlich, dass es auch in der Generation Bildschirm noch Leseratten geben wird.

Autor
Patricia Dickson

Datum

05.08.2024

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