Umweltbildung als Projektwoche

Kinder packen invasives Kraut an den Wurzeln

Eine Aargauer Schulklasse kämpft gegen Neophyten: Im Rahmen einer Projektwoche entfernen die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler unzählige Stauden der Kanadischen Goldrute — und erfahren nebenbei, warum Biber orange Zähne haben.

Schülerinnen reissen Goldrutenkraut aus dem Boden. Foto: Roger Wehrli
Der Goldrute geht es an den Kragen: Die Klasse aus Möhlin reisst das invasive Kraut aus dem Boden. Fotos: Roger Wehrli

Im zürcherischen Weinland, dort wo die Thur in den Rhein mündet, erstreckt sich das grösste Auengebiet des Mittellandes. Wasser, Wiesen und Wälder prägen die Landschaft der Thurauen.

Hier finden sich viele andernorts selten gewordene Pflanzen- und Tierarten, wie der Eisvogel, der Biber, die Ringelnatter, Kröten und Frösche. Das üppige Wachstum der Pflanzen in den Auenwäldern erfreut die Sinne – jedenfalls so lange, bis man von Seija Filli und Branco Rath, zwei Mitarbeitenden von arbeitseinsatz.ch, erfährt, was ein Neophyt ist. Gemeint sind damit Pflanzenarten, die zumeist von weit her in unsere Gefilde eingeschleppt wurden. Weil diesen Invasoren die natürlichen Gegenspieler fehlen, können sie sich im neuen Habitat ungehindert ausbreiten. Als Folge davon verdrängen sie die einheimischen Pflanzen.

Schweisstreibende Arbeit im Wald

Das neu erworbene Wissen ändert den Blick aufs Ganze. Systematisch wie ein Scanner beginnt man das Unterholz nach den fremden Eindringlingen abzusuchen. Auch die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler aus dem aargauischen Möhlin können eingeschleppte von heimischen Pflanzen unterscheiden. Die Klasse verbringt im Rahmen einer Umweltbildungswoche vier Tage in den Thurauen. Die riesigen Säcke, mit denen sie im Wald unterwegs sind, füllen sich innert kurzer Zeit mit einem Neophyten. Dessen Name verrät, dass er von sehr weit her kommt: die Kanadische Goldrute.

Filli betreut die Schulklasse als Projektleiterin. Sie erklärt, dass die Goldrute komplett ungiftig ist – im Gegensatz zu manch anderem Gewächs. «Wäre dem nicht so, würden wir die Pflanzen nicht zusammen mit Schulkindern ausreissen», versichert sie. Rath, als Zivi zum Naturnetz gekommen und als Praktikant bei arbeitseinsatz.ch geblieben, hegt eine gewisse Bewunderung für das Gewächs.

Weil natürliche Gegenspieler fehlen, können sich Neophyten wie die Kanadische Goldrute ungehindert ausbreiten.

«Die Goldrute ist äusserst erfolgreich darin, sich in der Natur durchzusetzen», sagt er. In Amerika, wo die Pflanze herkommt, gilt sie denn auch nicht als Schädling, sondern als Heilpflanze. Aus den Blüten habe man früher eine Salbe zur Wundheilung hergestellt, erzählt Rath. Ausserdem sei der Tee, der ebenfalls aus den Blüten gemacht wird, harntreibend.

Zum Wandern fehlt die Lust

In den Thurauen wirkt dieses ortsfremde Kraut wie ein rücksichtsloser Eroberer. Egal, wie viel die Klasse davon ausreisst: Die hartnäckigen Stauden wuchern überall in der Schweiz und werden nicht mehr komplett verschwinden. Aber darum geht es auch nicht in erster Linie. Die Kinder sind von morgens bis abends in der freien Natur und lernen dabei einiges über sie.

Das ist für die Lehrerin, Jacqueline Erny, ein wichtiger Grund, das Klassenlager an diesem Ort und nicht etwa in den Bergen zu machen. «Auf das Wandern haben Jugendliche in diesem Alter am allerwenigsten Lust», sagt sie. «Ausserdem gehe ich mit der Klasse auch in Möhlin oft auf einen Bauernhof, wo wir dann zusammen — je nach Jahreszeit — Erdbeeren, Himbeeren oder Kürbisse ernten.»

Schuften im Wald macht müde

Die Arbeit an der frischen Luft ist der Klasse demnach nicht ganz fremd. Trotzdem waren die ersten beiden Tage in den Thurauen für die meisten sehr hart. Eine Schülerin, Luisa, erzählt, dass sie jeweils fünf Stunden im Wald geschuftet hätten. Es sei sehr heiss gewesen, die Stimmung dementsprechend schlecht. Jacqueline Erny ergänzt: «Nach dem ersten Tag war die halbe Klasse nicht mehr einsatzfähig. Sie waren komplett erschöpft.» Nun werden mehr Pausen eingelegt. «Jetzt macht es viel mehr Spass», sagt Luisa.

«Auf das Wandern haben Jugendliche in diesem Alter am wenigsten Lust.»

Die Nächte verbringen die Schülerinnen und Schüler auf einem nahen Bauernhof, wo es wahlweise Stroh oder Matratzen zum Schlafen gibt. Zwei mitgereiste Mütter sorgen sich um das leibliche Wohl der hungrigen Schar.

Picknicken an der Thur

Natürlich kann und will niemand den ganzen Tag lang Neophyten ausreissen. So wird die schweisstreibende Arbeit auch immer wieder unterbrochen. Am Mittag beispielsweise gibt es ein gemütliches Picknick an der Thur. Sozusagen zum Dessert berichten drei Schülerinnen und Schüler in ihrem Kurzvortrag davon, wie man zu Hause Insekten schützen kann. Dann schlagen sie den Bogen nach Südspanien und legen dar, warum es ihrer Meinung nach keine gute Idee ist, im Winter Erdbeeren von dort zu kaufen. Erstens schmecken sie schlecht, zweitens produziert der Transport viel CO2.

Ein Einheimischer hinterlässt Spuren

Für den späteren Nachmittag haben Filli und Rath eine kleine Expedition rund um einen Weiher organisiert. Das Besondere an diesem Biotop ist, dass sich dort eine Biberfamilie niedergelassen hat. Nun ist es in der Praxis leider so, dass man diese Tiere tagsüber kaum zu Gesicht bekommt. Zu sehen sind nur ihre Spuren, aber auch nur, wenn man sie erkennt und zu deuten weiss. Filli bereitet die Klasse mit Fotos, Biberschädeln und Rindenstücken auf den Rundgang vor. So lernen die Kinder viel über den Biber. Er ist ein reiner Vegetarier. Eisenablagerungen im Zahnschmelz färben seine Zähne orange. Und: Menschen haben den Biber fast ausgerottet, weil sie ihn in der Vergangenheit für sein Fleisch und sein Fell jagten.

Da Biber immer die gleichen Wege zurücklegen, sind ihre Spuren unverkennbar. Die Biberburg am Ufer lässt sich dagegen nur erahnen. Ein untrügliches Zeichen für ihre Gegenwart ist eine Esche, deren Stamm die Nagetiere jede Nacht bearbeiten, bis er eines Tages ins Wasser fällt. Vom emsigen Treiben der Biber profitieren viele Tiere und Pflanzenarten.

Die Wiesen rund um den Weiher beherbergen eine erstaunliche Vielfalt an Orchideen. Rath erzählt den interessiert zuhörenden Gästen von der komplizierten Co-Existenz dieser Blume mit einem Pilz, wobei keiner der beiden Organismen ohne den anderen leben kann. Am Ende des Tages bleibt die Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Und die Neophyten sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Natur aus dem Gleichgewicht geraten kann.

Workshops für Klassen und Lehrpersonen

Die Organisation arbeitseinsatz.ch gehört dem gemeinnützigen Verein Naturnetz an und besteht seit 2014. Der Verein Naturnetz setzt sich schweizweit für die Aufwertung und den Unterhalt von Naturschutzgebieten und ökologisch wertvollen Naturräumen ein. Arbeitseinsatz.ch bietet Einsätze in diversen Regionen an. Dazu gehören das Mähen von Wiesen, der Bau von Trockenmauern, die Waldpflege und die Bekämpfung von Neophyten. Möglich sind eintägige Workshops oder fünftägige Umweltbildungswochen. Die Organisation bietet zudem Unterstützung bei der Aufwertung von Schulareal an. Auch für Lehrpersonen besteht die Möglichkeit von Weiterbildungskursen. Wer mit der Schulklasse aktiv die Biodiversität fördern möchte, bekommt hier unentgeltlichen Rat zur Umsetzung. Die Weiterbildungskurse dauern drei Stunden und finden in Weiningen und in den Thurauen statt.

Autor
Roger Wehrli

Datum

26.09.2023

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