Fachpersonen wie sie sind gefragt. «Wir haben seit 20 Jahren zu wenig Heilpädagoginnen und -pädagogen und nicht einmal die Hälfte der heilpädagogisch tätigen Personen ist entsprechend ausgebildet», sagte kürzlich Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), in einem Interview mit dem «Blick». Sie warnt, dass die Belastungsgrenze für die integrative Schule erreicht sei.
«Wir haben seit 20 Jahren zu wenig Heilpädagoginnen und -pädagogen.»
Die sechs Lektionen Heilpädagogik, Logopädie und Psychomotorik, die Schülerinnen und Schülern mit Sonderschulstatus wöchentlich zur Verfügung stehen, findet Bänziger knapp, aber ausreichend. Sie sieht «ihre» Kinder aber nur in bestimmten Zeitfenstern. Sie fände eine permanente Betreuung der Klasse durch zwei Fachpersonen wünschenswert, wie das von verschiedenen Seiten gefordert wird: «Um dem individuellen Gedanken und der Integration gerecht zu werden, bräuchte es eine permanente Doppelbetreuung in der Klasse. Kinder sind heute individueller und lebhafter unterwegs. Gleichzeitig steigt der Dokumentationsaufwand», stellt Bänziger fest.
Auswahl bieten statt Druck ausüben
Trotz des integrativen Modells braucht es wie bei Erjan und Arbian immer wieder Einzelbetreuung in einem separaten Zimmer, um auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können. Ein weiteres Beispiel ist eine Sechstklässlerin, die ebenfalls von Bänziger betreut wird: Wegen ihrer Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich braucht sie vor allem in Mathematik, Französisch und Deutsch Unterstützung.
«Es ist wichtig für die Schülerin, dass sie mitbestimmen kann.»
Bei ihr zeigt sich, wie individuell die Herausforderungen sind, die Kinder mit Sonderschulstatus mitbringen. Wenn die stille und zurückhaltende Schülerin an ihren Fähigkeiten zweifelt, kann es dazu führen, dass sie sich nicht auf das Lernen und Arbeiten einlässt. Druck hilft da nicht weiter – im Gegenteil, weiss Bänziger. «Ich gebe ihr deshalb oft eine Auswahl. Es ist wichtig für sie, dass sie mitbestimmen kann. Ohne Motivation geht es nicht.»
Das gilt nicht nur für schulischen Stoff, sondern auch für Ämtli, die sie daheim im Haushalt erledigen sollte. Bänziger und das Mädchen gehen den Wochenplan zusammen durch und besprechen, was ansteht, was erledigt wurde oder eben nicht, und welche Unterstützung sie braucht. In einer Projektarbeit hat sich die Sechstklässlerin kürzlich damit befasst, wie die Farben in einem Regenbogen entstehen – und nun erklärt sie Bänziger ihre Erkenntnisse. «Das wäre etwas, das in der Klasse ohne Begleitung nicht möglich wäre», sagt die Heilpädagogin.
Die Schülerin arbeitet während vier Lektionen pro Woche mit Bänziger. Zusätzlich besucht sie eine Lektion Psychomotorik oder erhält Unterstützung durch eine Klassenassistenz. Auch in Fächern wie Zeichnen, Werken oder Natur, Mensch und Gesellschaft braucht die Schülerin Unterstützung. Diese erhält sie auch aus der Klasse: «Andere Kinder helfen ihr sehr gerne», sagt Bänziger.
Trotz allem Teil der Klasse sein
Entscheidend für eine gelungene Integration der «Sonderschülerinnen» und «Sonderschüler» in der Klasse sei, dass die Heilpädagogik nicht als Sondersetting angeschaut werde, sondern als Teil des Ganzen. Bänziger ist zusammen mit der Klassenlehrperson und anderen Beteiligten ein Team und kennt alle Schülerinnen und Schüler. Es gibt einen permanenten Austausch und Bänziger hat das Handy meist griffbereit. «Wenn es irgendwo brennt, dürfen andere Lehrpersonen immer anrufen.»