Sachbuch

In Zeitsprüngen durch die Schweizer Geschichte

Drei Historiker erzählen mit ihrem Buch «Zeitreisen» unterhaltsame Geschichten über Schweizer Schauplätze und Personen aus der Vergangenheit. Den Bezug zur Gegenwart schaffen sie mit kurzen Ausflugstipps. So wird aus Geschichte ein Ort, den man heute noch bereisen kann.

Das Geschichts- und Reisebuch «Zeitreisen» nimmt die Leserinnen und Leser auch mit auf eine visuelle Reise. Illustration: Marco Heer

Wie viele Seiten braucht ein Buch, das die Geschichte der Schweiz von der Ur- und Frühgeschichte über die Antike und sämtliche Mittelalter bis hin zur Moderne abdecken will? Im Fall von «Zeitreisen: Ein Reiseführer durch die Schweizer Geschichte» sind es rund 300 Seiten. «Zeitreisen» ist das Werk des Autorenteams Benedikt Meyer, Marius Kindlimann und Beat Damian. Für das Buch lösen sich die drei Historiker von den Ansprüchen des wissenschaftlichen Schreibens – und frönen stattdessen ihrer Freude am Erzählen und Entdecken.

Beginn in den Ursümpfen

300 Seiten sind nicht viel angesichts der rund 250 Millionen Jahre, die das Buch abdeckt. Die Autoren erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie wählten für ihre Zeitreise 101 historische Momente und Personen, welche in der Schweiz wirkten. Die einzelnen Geschichten enden jeweils mit kurzen Reisetipps für die Gegenwart. Die Autoren empfehlen Spaziergänge, Museumsbesuche oder die gemütliche Einkehr in ein Restaurant. Jede Doppelseite bringt die Leserinnen und Leser an einen neuen Ort zu einer anderen Zeit. Die Reise beginnt mit urzeitlichen Wetterkapriolen und den seichten Gewässern, wo einst der Ticinosuchus nach Beute jagte. Seine Überreste liegen heute im tessinischen Fossilienmuseum Monte San Giorgio.

Ein anderes Kapitel spielt in Genf. Es erzählt von Sigismund und einem Machtkampf unter den Burgundern im frühen sechsten Jahrhundert. Die Geschichte um Sigismund ist reich an Mord und Totschlag. Ein aufregendes Leben führte auch Jean-Jacques Rousseau. «Zeitreisen» wirft in seinem Fall jedoch einen Blick auf einen der ruhigsten Orte seines Lebens: die St. Petersinsel, wo er im Herbst 1765 ein paar Wochen verbrachte – bevor ihn die Berner Behörden aus dem Gebiet verbannten.

Mit Dessert und Blutrausch

Zwischen den Geschichten helfen Informationen zu den Epochen, den Überblick zu behalten. Diese dienen auch als Inhaltsverzeichnis, denn die 300 Seiten haben keine einzige Seitenzahl. Wozu denn auch. Jahreszahlen sind den zeitreisenden Leserinnen und Lesern Orientierung genug. Die teils rätselhaften Titel und Illustrationen verleihen dem Buch seinen charmanten Charakter. «Blutrausch in Basel» heisst die Geschichte eines Bischofs namens Rudolf. Man sagt, er sei im Jahr 917 von Heiden erschlagen worden. Leider weiss niemand, ob es ihn wirklich gab. Ebenfalls in Basel, aber 600 Jahre später spielt das Kapitel «Theophrastus Bombastus erfindet das Dessert». Darin erfährt man mehr über die umstrittene Persönlichkeit des Paracelsus und darüber, wie seine Verdauungstheorie zur Erfindung des Desserts beitrug.

Eine wilde Reise ist das Buch auch für die Augen. Der Illustrator Marco Heer hat die Geschichten mit einem Blick für das Absurde frei interpretiert. So nimmt er zum Beispiel den rätselhaften Titel «Die sezierte Bibel» wörtlich. Wie bei einem geöffneten Brustkasten zeichnet Heer chirurgische Instrumente, die das Herz einer Bibel offenlegen. Seine Interpretation des Maschinensturms von Uster zeigt einen Mann, der todesmutig gegen eine Monstermaschine kämpft.

Fragezeichen möglich

«Zeitreisen» verliert sich wie gesagt nicht in langen Ausführungen. Die Geschichten leben von einem hohen Erzähltempo mit süffisanten Anmerkungen. Stellenweise weist das Buch eine hohe Informationsdichte auf. Je nach Vorwissen werden die Zusammenhänge erst beim zweiten Lesen oder nach einer kurzen Wikipedia-Recherche klar. Unterhaltung ist dennoch garantiert. Das Buch überzeugt mit dem Willen, aus langer Geschichte kurze Weile zu schaffen. Wer mag, steigt in der Urzeit ein und liest sich auf direktem Weg in die Gegenwart. Menschen mit geringerer Konzentrationsspanne können nach Lust und Laune querblättern, lesen, was passt und gelegentlich das Sofa für einen Ausflug verlassen. Auf seine eigene Art lehrt «Zeitreisen» nicht nur Geschichte. Das Buch setzt Physiktheorie in die Praxis um: Zeit wird relativ. Wie lange 300 Seiten dauern und wo sie hinführen, bleibt jedem und jeder selbst überlassen.

Autor
Patricia Dickson

Datum

03.01.2023

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