STIMMEN AUS DEM LEHRBERUF

«In der Schule ist kein Tag wie der andere»

Wie erleben Schweizer Lehrerinnen und Lehrer ihre Arbeit im Schulzimmer? BILDUNG SCHWEIZ hat bei sechs Lehrpersonen nachgefragt, womit sie Mühe haben und wie sich die Schule aus ihrer Sicht verbessern liesse.

Ein Kind sitzt am Tisch vis-à-vis ihrer Lehrerin, die ihr etwas zeigt.
Das Klischee der Lehrerin, die einfach mit den Kindern spielt und viel Ferien hat, ist weit verbreitet, hat mit der Realität aber wenig zu tun. Foto: iStock/Milan Markovic

«Was möchtest du werden, wenn du gross bist?», werden Kinder immer wieder gefragt. Oft antworten sie darauf mit Lokführer, Ärztin oder Luftballonfahrer – sehr oft auch mit Lehrerin und Lehrer. In dieser Hinsicht gilt der Lehrberuf als Traumberuf. Eine Studie über die Berufszufriedenheit von Lehrpersonen zeichnet jedoch ein nüchternes Bild. Demnach bewerten hiesige Lehrerinnen und Lehrer ihre Arbeitszufriedenheit mit einem lauwarmen Genügend.

Viele Wege führen ans Lehrerpult

Steht es wirklich so schlimm um den Beruf? Für eine Sommerserie porträtierte bildungschweiz.ch sechs Schweizer Lehrerinnen und Lehrer und fragte nach ihren Erfahrungen und Wünschen für die Schule. Auffallend ist die Vielfalt der Wege, die in den Beruf führen. Einige Menschen entschieden sich schon als Kind für den Lehrberuf. Andere später – etwa über die Vereinsarbeit mit Jugendlichen oder nachdem sie bereits einen ersten Beruf erlernt hatten.

Gemeinsamkeiten gibt es aber auch, etwa die Flut administrativer Aufgaben. Die Lehrerinnen und Lehrer beklagen da einen zunehmenden Arbeitsaufwand, der wertvolle Zeit frisst. Der Baselbieter Klassen- und Berufswahllehrer Marc Suhr (44) hofft darum, dass Schule und Kanton die Lehrpersonen künftig mehr entlasten: «Damit wir mehr Zeit für den Unterricht und die Arbeit mit den Jugendlichen haben.»

«Zu Beginn war mein grösster Frust, dass ich nicht allen in dem Mass gerecht werden kann, wie ich gerne möchte.»

Im Getümmel des Schulalltags

Das Fördern und Begleiten ihrer Schützlinge ist ein zentrales Anliegen der porträtierten Lehrpersonen. Einfach ist dies nicht immer, besonders in Anbetracht der grossen Heterogenität, welche Schweizer Schulen prägt. «Zu Beginn war mein grösster Frust, dass ich nicht allen in dem Mass gerecht werden kann, wie ich gerne möchte», erinnert sich Quereinsteigerin Nicole Tuchbreiter (46). Diesem Frust hat sie sich allerdings nicht kampflos ergeben.

«Es kommt zwar nie wie geplant, aber trotzdem hat die Arbeit etwas Befriedigendes.»

Tuchbreiter notiert sich jeweils die Namen der ruhigen Schülerinnen und Schüler. Das erinnert sie daran, gezielt nachzufragen, damit kein Kind im Getümmel der lauteren Klassenkameradinnen und -kameraden untergeht. Das Getümmel des Schulalltags nimmt sie selbst gelassen: «In der Schule ist kein Tag wie der andere. Es kommt zwar nie wie geplant, aber trotzdem hat die Arbeit etwas Befriedigendes.»

Begeistert berichtet auch Atchana Satkunaseelan (26), die in Bern eine Primarklasse unterrichtet, von ihrem abwechslungsreichen Schulalltag. Dabei redet sie die Herausforderungen jedoch nicht schön. Als Lehrerin ist sie mit hohen Erwartungen von den Eltern, der Gesellschaft, aber auch von sich selbst konfrontiert. Dazu kommen die verbreiteten Klischees über den Beruf: «Man hört ja immer wieder diese Vorurteile, dass wir so viel Ferien hätten und morgens mit den Kindern nur Mandalas malten.» Satkunaseelan lässt sich da nicht beirren. Ihr Ziel: Sie möchte den Kindern ein Vorbild sein, wie einst jene Lehrerin, die sie zu ihrer Berufswahl inspiriert hat.

Mangelware Lehrperson

Es ist eine Binsenweisheit: Ohne Lehrerinnen und Lehrer ist Bildung undenkbar. Der Mangel an Lehrpersonen verleiht ihr jedoch eine Dringlichkeit, denn er erschwert zunehmend den Schulbetrieb. Das merkt man auch in einem Bergkanton wie Glarus. Kindergartenlehrerin Ronja Schuler (26) geht davon aus, dass es deswegen bald mehr altersdurchmischte Klassen geben wird. «Weil schlicht das Personal fehlt», sagt sie.

Das bestehende Lehrpersonal muss zusammenspannen. Das hat auch positive Seiten: So etabliert sich zunehmend eine Teamkultur. Schuler ist froh, sind die Zeiten der Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer vorbei. Die gegenseitige Unterstützung erleichtert auch den Einstieg in den Beruf. Die junge Lehrerin schätzt den Rückhalt ihres Teams. In schwierigen Situationen weiss immer jemand Rat.

Der Lehrpersonenmangel hat die Teamarbeit beflügelt. Nadine Peter (39), Lehrerin für integrative Förderung im Kanton Luzern, sieht darin klare Vorteile für die individuelle Betreuung und Förderung im Unterricht. Auch Nicole Tuchbreiter ist überzeugt: «Kinder profitieren enorm davon, wenn mehr als eine Lehrperson im Klassenzimmer ist.»

«Die Arbeit mit den Kindern ist das Grösste.»

Die Chance sehen

Eine andere Entwicklung, die den Beruf seit Jahren prägt, ist die Digitalisierung. Während es an lehrenden Menschen mangelt, nimmt die Präsenz der Maschinen zu. Lehrpersonen können so jedoch nicht ersetzt werden, das ist für Nadine Peter offensichtlich: «Es braucht beides: Sowohl die Digitalisierung als Arbeitsinstrument wie auch die Lehrperson physisch im Klassenzimmer.»

Sekundarschullehrer Marc Suhr sieht in der Digitalisierung zudem eine Chance für seine berufliche Entwicklung. Er hat Freude an technischen Anwendungen und baut diese in seine Arbeit ein. Technologie liefert ihm neue Ideen für den Unterricht mit seiner Klasse und hat ihm neue Aufgaben im Lehrteam beschert, wo er Kolleginnen und Kollegen technisch unterstützt.

Patrick Jerg (51) begeistert sich derweil für Gesellschaftsspiele. In seiner Freizeit schreibt der Primarlehrer im sankt-gallischen Goldach darüber einen Blog. In der Unterrichtszeit nutzt er Spiele, um den Kindern neue Kompetenzen zu vermitteln. «Mindestens ein schulischer Ansatz ist in jedem Spiel drin: Die Kinder lernen Regeln und mit Gewinnen und Verlieren umzugehen», sagt er.

Die Kunst des Lehrberufs

Zwischen Spiel und Digitalisierung zeigt sich eine grosse Gestaltungsfreiheit, die der Lehrberuf mit sich bringt. Die Kunst besteht schliesslich auch darin, diese Freiheiten zu nutzen, ohne sich in einem unüberwindbaren Aufgabenberg zu verlieren. Schliesslich geht Lehrern oder Lehrerinnen die Arbeit nie aus. Angesichts der Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen in anderen Branchen kann das ein Vorteil sein.

«Die Arbeit mit den Kindern ist das Grösste.»

Die Berufsverbände kämpfen derzeit an der politischen Front für Lösungen und mehr Ressourcen. Doch politische Prozesse brauchen Zeit. Darum entwickeln Lehrpersonen ihre persönlichen Strategien, um den Alltag zu bewältigen. Es hilft nicht zuletzt das Bewusstsein um die Sinnhaftigkeit des Lehrens. «Es ist sehr schön, die Entwicklung der Kinder mitzuerleben und zu unterstützen», sagt Atchana Satkunaseelan nach drei Jahren im Beruf. Nach dreissig Jahren kann das immer noch motivieren. Patrick Jerg ist überzeugt: «Die Arbeit mit den Kindern ist das Grösste.»

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Autor
Patricia Dickson

Datum

04.10.2024

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