Mobbing durch die Schulleitung

«Ich werde nie wieder an einer Oberstufe unterrichten können»

An einer Schule kam es innert vier Jahren zu vielen Kündigungen. Mehrere Lehrpersonen berichten von Mail-Terror, Einschüchterungen und Blossstellen. Der Rektor weist die Mobbing-Vorwürfe zurück.

Symbolbild: Leere Stühle und Tische in einem Schulzimmer.
Ein Rektor soll mit seinem Verhalten dafür gesorgt haben, dass mehrere Lehrpersonen die Schule verliessen. Foto: Janny2/iStock

Rund elf Prozent aller Lehrpersonen, die in ihrer schulischen Laufbahn psychische Gewalt erleben, erfahren diese durch Schulleitungen. Dies zeigt die Studie zur Gewalt an Lehrpersonen, die der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz im Januar veröffentlichte. Verbale Angriffe durch Eltern oder Lernende sind zwar wesentlich häufiger, das Machtverhältnis ist jedoch ein anderes. Kommt es zu Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten, sind die Auswirkungen auf die weitere Laufbahn der Lehrpersonen oft gravierend: Es kann zur Kündigung oder sogar zur kompletten Aufgabe des Berufs kommen.

Mobbingvorfälle beziehungsweise Mobbingvorwürfe sind oft verworren, unterschiedliche Sichtweisen die Regel, eine Versöhnung schwierig. Dies zeigt ein Fall, der BILDUNG SCHWEIZ zugetragen worden ist, exemplarisch. Im Mittelpunkt steht Bea Formaz, eine Sportlehrerin aus dem Kanton Schwyz. Nach über zwölf Jahren Unterrichtstätigkeit an einer Oberstufe wurde ihr vor rund einem Jahr fristlos gekündigt. Dies, nachdem sie beim Schulrat Anzeige wegen Bossings erstattet hatte. Dies bezeichnet Mobbing, das von einer vorgesetzten Person ausgeht.

Hohe Fluktuation

Mit diesem Schicksal ist sie nicht allein. Die Sportlehrerin ETH berichtet von über 50 Lehrpersonen, die zwischen 2018 und 2022 die Schule verlassen hätten. Der zuständige Rektor bestätigt auf Anfrage von BILDUNG SCHWEIZ, dass es 2018 aufgrund eines Wechsels an der Schule Abgänge gegeben habe, konkret 15 von 35 Lehrpersonen.

Formaz glaubt indes nicht an eine normale Fluktuation. «In Wirklichkeit war Mobbing durch den Rektor mehrfach die Ursache», sagt sie. Er habe zahlreichen Lehrpersonen Unterstellungen gemacht, teils gefolgt von juristischen Drohungen. Hinzugekommen seien aggressiver Mailverkehr, Blossstellen, Lächerlichmachen, systematisches Ignorieren, einschüchterndes Auftreten und Vorladungen von Lehrpersonen mit Verschwiegenheitserklärungen.

Lohn verweigert

Mobbing kann viele Formen annehmen und die Erfahrungen sind sehr individuell. Die Geschichte von Formaz begann vor knapp vier Jahren und dauerte rund drei Jahre. Die Vorfälle hätten sich wie folgt zugetragen: Als an einem weiteren Standort der Schule neu der Schwimmunterricht im Hallenbad eingeführt wird, möchte sie als Fachperson mit jahrelanger Erfahrung bei der Organisation der Klassen mitwirken. Doch der Rektor lässt sie aussen vor. Es kommt zu einer ungünstigen Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Schwimmhalle. Manche Klassen sieht sie einen Monat lang nicht.

Die Medien berichteten bereits früher, dass die Mitarbeitenden der Schule Angst vor der Schulleitung hatten.

Das Problem lässt sich schliesslich klären. Der Konflikt scheint aus dem Weg geschafft – bis die Lehrerin im Sommer 2020 ein Sabbatical während der Coronapandemie bezieht und anschliessend in den Herbstferien mit dem Zug ins süditalienische Kampanien reist. Die Region kommt plötzlich auf die Quarantäneliste. Sie schafft es mit dem Zug nicht rechtzeitig zurück in die Schweiz und muss die erste Schulwoche nach ihrem Sabbatical in Quarantäne. Der Rektor verweigert ihr während der Quarantänewoche jedoch den Lohn. Er bezeichnet die Situation als selbstverschuldet. Formaz beharrt auf einen Erwerbsersatz, den sie von der Ausgleichskasse schliesslich bekommt. Doch die Kommunikation mit dem Rektor gestaltet sich schwierig: Es folgen gemäss ihren Aussagen provokativ formulierte Mails.

«Wie eine polizeiliche Vorladung»

Unterdessen sind einige Monate vergangen. Das Verhalten des Schulleiters scheint System zu haben. Formaz entscheidet sich, an die Medien zu gehen: Sie wendet sich an die lokale Zeitung, die einen Artikel darüber publiziert. Es ist nicht das erste Mal, dass die Schule in den Medien erscheint. Bereits im Jahr davor kam es zu Veröffentlichungen, die aufzeigten, dass Mitarbeitende vor der Schulleitung Angst hätten.

Der Rektor erteilt ihr nach Erscheinen des Artikels einen Verweis ohne rechtliches Gehör und fordert ein Gespräch – die Einladung dazu erscheint der Sportlehrerin wie «eine Vorladung auf das Gericht oder den Polizeiposten». Sie teilt mit, dass sie sich für das Gespräch von einem Rechtsbeistand begleiten lässt. Der Rektor lehnt ab. Dem pensionierten Anwalt, den sie als Unterstützung dennoch zum Gespräch mitnimmt, will der Rektor den Zutritt verwehren.

Als es schliesslich doch zum Gespräch kommt, stellt sich heraus, dass der gegen Formaz erteilte Verweis rechtlich ungültig ist. Der Rektor möchte darum ein zweites Verfahren gegen sie einleiten und erhebt neue Vorwürfe. Eltern sowie Schülerinnen und Schüler hätten Reklamationen gegen sie ausgesprochen. Problematisch sei auch, dass sie im Schwimmunterricht mit den Mädchen über Menstruation rede. Dies komme bei manchen Eltern nicht gut an. Beweise für die Reklamationen legt er keine vor. Dem Verweis folgt später ein Verbot, das es der Lehrerin untersagt, zur Unterrichtsvorbereitung die Schwimmhalle zu betreten.

Fristlose Kündigung

Formaz holt sich juristische Hilfe und ein Verfahren wird eingeleitet. Sie möchte ihre «Integrität und Würde als Lehrperson, die schon seit über 30 Jahren solide Arbeit an diversen Schulen leistet, wahren». Gerne würde sie ihren Vorgesetzten privatrechtlich belangen – im Schulwesen herrscht jedoch öffentliches Recht. So muss sich nun der Regierungsrat mit dem Fall befassen.

Während das Verfahren läuft, wird die Lehrerin im Januar 2022 fristlos entlassen. Grund: Ein Schüler musste wegen eines Haarrisses am Oberschenkelknochen ins Spital eingeliefert werden. Grund für die Verletzung sei ein Sturz gewesen, der sich einige Tage zuvor bei ihr im Sportunterricht ereignet hatte. «Der Schüler hatte sich das Knie verknackst, war aber am darauffolgenden Tag im Schwimmunterricht bei mir wieder voll einsatzfähig», erinnert sie sich. Die Entlassung vergleicht sie mit «einem schlechten amerikanischen Film». Innert weniger Stunden habe sie ihre Garderobe leeren, den Account säubern und die Schlüssel abgeben müssen.

Beschwerden bleiben ungehört

Gegenüber BILDUNG SCHWEIZ haben sich weitere Lehrpersonen zum Fall geäussert, die ähnliche Geschichten an der gleichen Schule erlebt haben. Aus Angst vor möglichen Konsequenzen möchten sie sich aber öffentlich nicht dazu äussern. Prekär finden alle von ihnen: Das Amt für Volksschule und Sport (AVS) habe sich nicht für die Anliegen der Lehrpersonen interessiert und die Beschwerden nicht ernstgenommen.

«Seitens AVS gab es keinen Anlass, aktiv etwas zu unternehmen.»

Auf Anfrage von BILDUNG SCHWEIZ schreibt Tanja Grimaudo Meyer, Vorsteherin des Amts für Volksschule und Sport: «Wir weisen diesen Vorwurf zurück. Unsere zuständigen Schulinspektoren sind für die Lehrpersonen mögliche Ansprechpersonen, die sie unverbindlich und anonym kontaktieren können. Das betreffende Anliegen wurde ernst genommen und diskret besprochen. Seitens AVS gab es daher keinen Anlass, aktiv etwas zu unternehmen. Man blieb zudem im engen Kontakt mit der Schulleitung.» Die Lehrpersonen hätten weiter die Möglichkeit, sich bei beruflichen Problemen und Schwierigkeiten an die Pädagogische Hochschule Schwyz zu wenden. Das AVS möchte zudem festhalten: «Nach unserem Dafürhalten kann in diesem Fall von Mobbing nicht die Rede sein.»

Vergleichsverhandlung vor Gericht

Alle Lehrpersonen, die sich gegenüber BILDUNG SCHWEIZ geäussert haben, berichten: Sie haben nach den Geschehnissen an der Schule eine Weile gebraucht, um alles zu verarbeiten. «Ich werde trotzdem nie wieder an einer Oberstufe unterrichten können und wollen», sagt Formaz. Zusammen mit ihrer Anwältin hat sie das gerichtliche Verfahren weiterverfolgt. Der Regierungsrat kam zum Schluss, dass die einzelnen Handlungen des Rektors weder gegen klares Recht noch gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstossen. Ob die Handlungen in ihrer Vielzahl als Mobbing zu qualifizieren sei, müsse das Verwaltungsgericht beurteilen.

Dort kam es im Dezember des letzten Jahres schliesslich zu einer Vergleichsverhandlung. Formaz wurde eine Geldsumme zugesprochen. Inzwischen ist sie überzeugt: Die Schulleitung hat sogenanntes Straining angewandt. Dieses liegt vor, wenn Vorgesetzte ihre Angestellten in eine unmenschlich hohe Belastungssituation verstricken, bis die Betroffenen daran körperlich und psychisch erkranken und ihre Stelle aufgeben.

Offene Kommunikationskultur

Auf die Vorwürfe der Lehrpersonen angesprochen, sagt der Rektor: «Ich wehre mich entschieden gegen die Unterstellungen.» Die Auseinandersetzung mit der Sportlehrerin bezeichnet er als «Schlammschlacht gegen unsere Schule, den damaligen vorgesetzten Schulleiter und mich». Das Gericht habe ihr in keinem der gegen ihn vorgebrachten Punkte Recht gegeben. In Folge der ersten Vorkommnisse sei er in Ausstand getreten. Dies habe die Situation allerdings auch nicht zum Positiven verändert. «Wir führen unsere Mitarbeitenden fair, auch wenn wir inhaltlich nicht immer derselben Meinung sind», sagt er.

«Wir pflegen eine offene und direkte Kommunikationskultur.»

Dass Mitarbeitende Angst gehabt hätten, erstaune ihn. «Wir pflegen eine offene und direkte Kommunikationskultur.» Mit der Wahl einer neuen Schulleitungsperson und intensiver Begleitung sei die Schule seit dreieinhalb Jahren wieder auf Kurs. Man sei stolz auf die Schule. «Ein engagiertes Team von Lehrpersonen mit einer klaren und empathischen Schulleitungsperson tragen dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler von einem lernförderlichen Arbeitsklima profitieren. Die Lehrpersonen fühlen sich wohl, finden gute Rahmenbedingungen vor und machen auch mal gemeinsam Ferien.»

Ständige Reflexion wichtig

Beim Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) ist es bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und Schulleitung konfliktanfällig sein kann. Eine Einschätzung des Falls an der Schwyzer Schule sei von aussen betrachtet nicht möglich, meint Präsident Thomas Minder auf Anfrage. Dass derartige Konflikte vor Gericht ausgetragen werden, komme glücklicherweise selten vor. Er hält fest: «Gewalt ist inakzeptabel, egal ob sie von Lehrpersonen oder der Schulleitung ausgeht.»

Tatsächlich käme es aber an Schulen zu Gewalt – wie überall, wo Menschen zusammenkommen. «Umso wichtiger ist es, sein Verhalten zu reflektieren und auch den Kindern die entsprechenden Kompetenzen weiterzugeben.» Oder mit Begriffen aus der Psychologie ausgedrückt: «Wünschenswert ist es, wenn sich die Mitglieder eines Teams im Annäherungs- und nicht im Vermeidungsmodus befinden.» Der Annäherungsmodus umschreibt die Haltung, sich bei Konflikten offen auf das Gegenüber und seine Perspektive einzulassen. Beim Vermeidungsmodus ziehen sich die Beteiligten zurück und blockieren so die Lösungsfindung.

«Die perfekte Schulleitung gibt es nicht»

Thomas Minder hält ausserdem fest, dass es oft eine Frage der Passung sei, ob es zwischen Lehrpersonen und Schulleitung funktioniere. «Die perfekte Schulleitung gibt es nicht. Es gibt jedoch Schulleitende, die perfekt an einen bestimmten Standort passen.»

«Im zeitgemässen Schulumfeld wird zusammengearbeitet und laufend kommuniziert.»

Kommunikation ist zudem auch ein Indikator für eine gute Schulkultur, schreibt Daniel Gebauer, Schulleiter und Mitglied der Geschäftsleitung LCH, in seinem Kommentar. Die Zeiten, in denen Lehrpersonen als Einzelkämpfer agiert hätten, seien vorbei. «Im zeitgemässen Schulumfeld wird zusammengearbeitet und laufend kommuniziert.»

Für die Sportlehrerin Bea Formaz hat inzwischen ein neuer Abschnitt begonnen: Sie hat sich als Coach für Mobbing-Betroffene selbstständig gemacht. Als Beraterin unterstützt sie Klientinnen und Klienten unter anderem mit Atem- und Bewegungstherapie, die helfen sollen, Traumata zu verarbeiten. «Ich selbst habe damit diese sehr traumatische Angelegenheit durchgestanden.»

Autor
Text: Caroline Kienberger

Datum

28.03.2023

Publikation
BILDUNG SCHWEIZ

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