KINDERBETREUUNG

«Ich muss dem Personal vertrauen können»

Der Aargauer FDP-Politikerin Karin Faes fehlte ein Betreuungsplatz für ihr Kind. Sie gründete deshalb eine Kindertagesstätte. Heute setzt sie sich als Bürgerliche für eine staatliche Unterstützung der familienexternen Kinderbetreuung ein.

Frau mit beigem Blazer im Gespräch.
Als eine der wenigen Bürgerlichen setzt sich Karin Faes dafür ein, dass die familenexterne Kinderbetreuung staatlich unterstützt wird. Fotos: Roger Wehrli

Bildung Schweiz: Sie sind Unternehmerin, Politikerin, Mutter und Gründerin einer Kindertagesstätte (Kita). Wie kam es dazu?

KARIN FAES: Mein Mann und ich hatten bereits zwei schon etwas grössere Kinder. Dann meldete sich ein drittes an. In der Zwischenzeit hatten aber wir das Bau- und Immobiliengeschäft der Eltern übernommen, das wir seither gemeinsam führen. Wir kamen überein, dass ich nicht wieder pausiere. Wir machten uns also auf die Suche nach einem Betreuungsplatz, fanden aber nichts Geeignetes. Eine Kita wäre zwar in der Nähe gewesen, dort wurden die Kinder aber von Praktikantinnen betreut. Das wollten wir nicht. Andere Kitas in der Nähe gab es damals nicht.

«Wir luden jemanden mit Erfahrung zum Essen ein und entschieden uns dann: Ja, wir eröffnen eine Kita.»

Dann handelten Sie selbst?

Wir hatten geeignete Räume und kannten jemanden mit der entsprechenden Erfahrung. Wir luden sie zum Essen ein und entschieden uns dann: Ja, wir eröffnen mit ihr als Leiterin eine eigene Kita.

Sie waren also quasi die Chefin der Betreuerinnen und Betreuer Ihres Kindes. Wie war das?

Ich mischte mich nie ins Operative ein und wirkte immer im Hintergrund. Ich schrieb Konzepte, machte gesetzliche Abklärungen, führte die Buchhaltung oder war bei schwierigen Gesprächen anwesend, in denen es etwa um Kindesschutz ging. Am Abend, wenn ich unser Kind abholte, war ich einfach die Mama.

Die Firma ist heute noch Trägerin der Kita, obwohl Ihr Kind dort nicht mehr betreut wird. Weshalb?

Das war nicht so geplant. Wir wollten eigentlich nach der Eröffnung einen Verein gründen, stellten dann aber fest, dass Kita-Mitarbeitende im Kanton Aargau kaum gesetzlich geschützt sind. Wird ein Verein aufgelöst, haben sie wenig Chancen auf Lohnfortzahlung oder Sozialleistungen. Angestellte unserer Firma sind in einen Gesamtarbeitsvertrag eingebunden. Diese Diskrepanz war so riesig, dass wir fanden: Nein, das geht nicht.

Zur Person

Karin Faes (54) war bis Ende Jahr Mitglied des Aargauer Kantonsparlaments. Sie politisiert für die FDP und führt zusammen mit ihrem Mann ein Bau- und Immobilienunternehmen in Oberkulm. Sie lebt mit ihrer Familie in Schöftland, wo sie 2011 die Kindertagesstätte Sunneschii gegründet hat.

Sie gründeten die Kita 2011. Mittlerweile haben etliche Firmen Kitas eröffnet. Ist das gut fürs Image?

Das ist schon so. Unsere Kita betreut aber nicht so viele Kinder von Mitarbeitenden. Das ist in Betrieben mit Schichtbetrieb wie Spitälern anders. In betriebsinternen Kitas ist zudem Verständnis da, wenn beispielsweise eine Operation länger dauert und die Eltern ihr Kind deswegen erst später abholen können.

2011 gab es auch zu wenig Betreuungsplätze. Das ist heute nicht mehr unbedingt so. Wie sehen Sie das?

Das sieht von Kanton zu Kanton unterschiedlich aus. Die Romandie und das Tessin sind weit voraus. Kantone wie Zürich und Bern haben aufgeholt. Im Aargau sieht es eher wie in der Innerschweiz aus: Wir befinden uns am Ende der Skala. Seit 2016 gibt es zwar ein Gesetz, das die Gemeinden verpflichtet, ein bedarfsgerechtes Angebot zu schaffen. Wie dieses aussieht, können aber die Gemeinden selbst definieren. Etliche Gemeinden sind auch heute noch der Ansicht, bei ihnen gebe es keinen Bedarf.

Die familienexterne Kinderbetreuung in der Schweiz ist teuer. Wieso?

Kosten von 120 bis 130 Franken für zwölf Stunden Betreuung inklusive Essen sind eigentlich gar nicht so viel. Dennoch belastet das die Budgets vieler Eltern, da die staatliche Unterstützung fehlt.

Letzteres stimmt aber nicht überall.

Es gibt tatsächlich grosse Unterschiede. In der Romandie und im Tessin ist die Unterstützung gross, in Luzern gibt es Betreuungsgutscheine. Meistens unterstützt die öffentliche Hand aber nur Familien mit tiefem Einkommen.

Nun haben Sie als FDP-Grossrätin einen Vorstoss lanciert, der staatliche Unterstützung fordert. Das ist doch einigermassen erstaunlich, nicht?

Meine Partei war auch überrascht. Den Vorstoss arbeitete ich mit einer Politikerin aus der Mitte aus. Wir waren der Ansicht, dass dies in erster Linie ein Frauenanliegen und nicht ein parteipolitisches Thema ist. Eingereicht wurde er von Frauen und Männern aus bürgerlichen bis hin zu linken Parteien. Damit haben wir eine Chance, den Anliegen Schub zu verleihen. Frauen würden mehr arbeiten, wenn sich die Arbeit finanziell lohnt. Dazu gibt es Fakten.

Mittlerweile hat die SP auf nationaler Ebene eine Volksinitiative eingereicht. Sie verlangt, dass Betreuungskosten nicht mehr als zehn Prozent des elterlichen Einkommens ausmachen dürfen. Ist das in Ihrem Sinn?

Nein. Die Grenze muss höher liegen. Sonst reduzieren Eltern mit gutem Einkommen ihr Arbeitspensum und die Allgemeinheit trägt die Kosten für die Betreuung ihrer Kinder mit. Der Mittelstand und vor allem Familien mit tiefem Einkommen können sich diesen Luxus nicht leisten. Zudem ist der Nachweis der Einkommenssituation sehr aufwendig, da diese variiert.

Wie funktioniert Ihr Vorschlag?

Wir möchten, dass insgesamt die Arbeitspensen erhöht werden. Dann fliessen wegen der höheren Arbeitsleistung auch mehr Steuern, und zwar von den Angestellten wie von den Unternehmen. Ein Teil dieser Mehreinnahmen kann der Staat dann zur Subventionierung der Kinderbetreuung einsetzen. Das ist unsere Idee.

«Was uns wichtig ist, würde durch die Kita-Initiative kaum verbessert.»

Ihre Kita ist auch Mitglied des Branchenverbands Kibesuisse, der die Initiative ebenfalls nicht unterstützt. Dies unter anderem, weil die Initiative zu wenig auf die Qualität der Betreuung fokussiere. Teilen Sie diese Ansicht?

Ja. Mit der Initiative würde die Nachfrage vergrössert. Dies aber aus einer Konsumhaltung heraus. Was Kibesuisse und auch uns wichtig ist, würde durch die Initiative kaum verbessert: die pädagogische Qualität der Betreuung. Stattdessen versickert das Geld wirkungslos.

Das Bundesparlament will einen Gegenvorschlag zur Initiative. Der Nationalrat sieht dafür viel Geld vor, der Ständerat hat im Dezember einer Betreuungszulage zugestimmt, die massgeblich von Unternehmen finanziert würde. Welche Lösung bevorzugen Sie?

Ich bin gegen beide. Jene des Nationalrats sieht zu hohe Beiträge vor und jene des Ständerats bittet die Falschen zur Kasse. Ich bin für eine über die Steuern finanzierte Unterstützung, aber nicht in der vorgesehenen Höhe. Konkret ausgestalten sollen die Lösungen die Kantone.

«Pro Jahr finden 150 Personen nach dem Kita-Praktikum im Aargau keine Lehrstelle.»

Also eine abgespeckte Nationalrats-Variante. Zurück zu den Kitas: Es fehlt an Personal und neuerdings wandert es auch noch in Kindergärten ab. Wieso?

Die Löhne sind tiefer als an Schulen und Kindergärten – und das bei hoher Arbeitslast wegen Schichtbetrieb und Personalmangel.

Was kann man machen?

Würde der Personalschlüssel eingehalten, wäre der Druck geringer. Das Hauptproblem ist, dass es zu wenig Lehrstellen gibt.

Kibesuisse hob jüngst in einer Mitteilung hervor, dass sich viele Betriebe in der Ausbildung engagieren würden.

Der Verband bezieht sich bei dieser Umfrage auf jene Betriebe, die bei Kibesuisse angeschlossen sind, also die guten.

Die schlechten sind jene der grossen Ketten wie Globegarden?

So möchte ich das nicht sagen. Die Problematik ist diese: Sollen mit Kitas Gewinne erwirtschaftet werden, geht das nur über Sparen beim Personal. Also wird ausgebildetes Personal durch Praktikantinnen und Praktikanten ersetzt. Das wiederum erhöht den Druck auf das ausgebildete Personal und die Qualität der Betreuung. Kitas können nicht so funktionieren. Letztlich kommen wir nicht darum herum: Sie müssen mehr Personal ausbilden und dieses dann auch einstellen.

Der Beruf Fachangestellte Betreuung belegt den vierten Platz auf der Skala der beliebtesten Lehrberufe. Ihre Forderung klingt paradox.

Beides hängt zusammen: Im Kanton Aargau finden jährlich 150 Personen keine Lehrstelle, nachdem sie ein Jahr lang für 700 oder 800 Franken pro Monat in einer Kita gearbeitet haben. Dann hängen viele ein zweites Praktikumsjahr an oder sie geben auf. Diese Leute fehlen uns.

Dann wäre Ihre Forderung also ein Appell an Kitas, die keine Ausbildungsplätze anbieten?

Das hilft nicht. Praktika ohne anschliessende Ausbildung müssen verboten werden. Das ist eine der Forderungen unseres Vorstosses, den das Aargauer Kantonsparlament überwiesen hat.

Was ist Ihnen als Mutter wichtig, wenn Sie Ihr Kind einer Kita anvertrauen?

Dass es gut aufgehoben ist. Dass es sicher ist. Dass die Gruppen nicht zu gross sind und dass es pädagogisch und bedürfnisorientiert betreut wird. Ich muss dem Personal vertrauen können.

«Würdest du dein Auto einem Praktikanten anvertrauen?»

Da müssen Sie innerhalb des bürgerlichen Lagers Aufklärungsarbeit leisten.

Meist sind es ältere Herren, die das Problem nicht sehen. Ich frage dann im Gespräch nach: Würdest du dein Auto einem Praktikanten anvertrauen? Wenn sie entgegnen, auf keinen Fall, die brauchen eine Ausbildung, hake ich nach: Aber Kinder sollen dann von 16-jährigen Schulabgängerinnen und -abgängern betreut werden?

Sie würden also auch heute noch nicht jeder Kita Ihr Kind anvertrauen?

Nein, jedenfalls nicht im Aargau.

Autor
Christoph Aebischer

Datum

04.02.2025

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