MUSKELKRANKHEIT IM KLASSENZIMMER

«Ich kämpfe weiter mit einem Lächeln und ganzem Herzen»

Övkügül Angi hat eine seltene Muskelkrankheit. Dank einer aufmerksamen Lehrerin fand sie den Einstieg als Schulassistentin und lebt seither ihren Traum.

Frau im Klassenzimmer mit Hund.
Övkügül Angi hat mit ihrer Stelle als Schulassistentin ihre Berufung gefunden. Foto: Eleni Kougionis

«Bis ich mich, meine Krankheit und letztlich meinen Rollstuhl akzeptieren konnte, dauerte es sehr lange. Ich habe schon immer für meine Gesundheit kämpfen müssen», sagt Övkügül Angi. Im Alter von zwölf Jahren erhielt sie die Diagnose Muskeldystrophie. Bei der Erbkrankheit kommt es erst zu Muskelschwäche, gefolgt von Muskelschwund.  Noch existiert keine Heilung, denn es bestehen etliche Untergruppen der Erkrankung. Laut Angi leben in der Schweiz nur zwölf Personen, die dieselbe Variation aufweisen wie sie selbst.

Heute ist Angi 22 Jahre alt und die meiste Zeit auf einen Rollstuhl angewiesen. Das war aber nicht immer so. Bis in die Sekundarschule konnte sie gehen, verpasste aufgrund ihrer Krankheit sowie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und den dazu notwendigen Operationen aber viel Schulstoff während der Primarschule. Ihre Noten waren trotzdem sehr gut. Nach und nach verschlechterte sich die Leistung ihrer Muskeln. Verlässt Angi heute das Haus, benutzt sie einen Rollstuhl. In den eigenen vier Wänden kann sie mithilfe eines Rollators laufen. «Dass ich noch ein paar Schritte gehen kann, freut mich sehr, ich kämpfe weiter, mit einem Lächeln und ganzem Herzen.»

Engagierte Lehrerin gibt Hoffnung

Ab 2017 besuchte Övkügül Angi die Klasse von Sekundarlehrerin Judith Burkhart in Frenkendorf (BL). Ihr Name fällt auch, wenn man Angi danach fragt, wer ihr in schwierigen Zeiten Hoffnung und Kraft gegeben hat. «Judith hat mir in vielen Gesprächen klar gemacht, dass es im Leben gute und schlechte Phasen gibt – für alle.»

BILDUNG SCHWEIZ nimmt sich 2025 dem Thema Barrieren an. Die Sommerserie widmet sich entsprechend Personen aus dem Bildungsbereich, die verschiedenste Hindernisse überwinden mussten: Sommerserie

Burkhart setzte sich 2020 auch dafür ein, dass Angi eine Lehrstelle erhielt. Dass Menschen mit einer Behinderung es so schwierig auf dem Arbeitsmarkt haben, findet Burkhart stossend. «Es kann nicht sein, dass Integration und Inklusion mit der Schulzeit endet – wir müssen weiterdenken», sagt sie. Die beiden Frauen finden schliesslich etwas Passendes. Nachdem es Angi aber gesundheitlich wieder schlechter ging, musste sie ihre Ausbildung zur Büroassistentin im Bildungsbereich während der Coronapandemie abbrechen.

«Klassenassistentin zu sein, ist mein Traumberuf.»

Erneut begab sich Angi auf Lehrstellensuche. Was sie dabei fand, war kein Beruf, sondern eine neue Berufung: «Als bei uns im Team eine Klassenassistenz gesucht wurde, dachte ich sofort an Övkügül, weil sie ein unglaubliches Flair im Umgang mit Menschen hat», sagt Burkhart. Ein Glücksfall für die junge Frau, denn es stellte sich heraus: «Klassenassistentin zu sein, ist mein Traumberuf», wie Angi gegenüber BILDUNG SCHWEIZ sagt.

Seit 2022 arbeitet Angi in einem 30-Prozent-Pensum während drei Stunden am Tag an der Sek Frenkendorf. «Mein Team ist verantwortlich für zwei Klassen. Ich werde dort eingesetzt, wo es am sinnvollsten ist.»

Das Eis ist schnell gebrochen

Die Schülerinnen und Schüler – sie alle sind im Alter von zwischen 12 und 17 Jahren – würden anfänglich verhalten auf Angi reagieren. «Das Eis ist jedoch schnell gebrochen.» Schön zu beobachten sei etwa, wie hilfsbereit die Jugendlichen seien und stets ihre Unterstützung anbieten würden. «Mit der Zeit merken sie aber, dass ich alles auch allein schaffe.»

«Für meine Jugendlichen will ich da sein und ihnen zeigen, dass ich sie sehe und ernst nehme.»

Was will Angi den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg geben? «Ich bin sehr dankbar, dass ich bei Lehrpersonen zur Schule gehen durfte, die mich unterstützt haben», sagt sie und ergänzt: «Für meine Jugendlichen will ich auch da sein und ihnen zeigen, dass ich sie sehe und ernst nehme.» Das sei das Allerwichtigste. Und so abgedroschen es klingen mag: Wenn man etwas erreichen wolle und wirklich daran glaube, dann schaffe man alles.

Mit ihrer Geschichte will Angi noch viel Menschen inspirieren. Derzeit schreibt sie nämlich ein Buch über ihren Werdegang und darüber, den Optimismus nie zu verlieren. «Das Projekt begann als Lernjournal in der Sek, doch habe ich vor einiger Zeit wieder mit dem Schreiben begonnen und merkte: Das fühlt sich gut an.» Bis Ende Jahr will sie das Werk vollenden.

Autor
Alex Rudolf

Datum

19.08.2025

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