Bildungsbericht Schweiz 2023

Grosse kantonale Unterschiede bei inklusivem Unterricht – trotz klarem Nutzen

Der Bildungsbericht Schweiz 2023 stellt dem integrativen respektive inklusiven Unterricht ein gutes Zeugnis aus, was den Nutzen betrifft. Entscheidend ist jedoch die Verteilung der Schulkinder mit besonderen Bedürfnissen auf die Klassen.

Schulbücher und Stifte.
Die verschiedenen Kantone inkludieren unterschiedlich viele Kinder mit besonderen Bedürfnissen in Regelklassen. Foto: Unsplash/Element5 Digital

Rund 4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler der obligatorischen Schule haben in den Jahren 2020 und 2021 verstärkte sonderpädagogische Massnahmen erhalten. Ungefähr die Hälfte besuchte Sonderklassen oder -schulen, die andere Hälfte war in reguläre Klassen (Regelklassen) integriert, wie es im Bildungsbericht Schweiz 2023 heisst.

Kinder mit besonderen Bedürfnissen sollten in der Schweiz möglichst in Regelklassen unterrichtet werden. Dies gibt das Sonderpädagogik-Konkordat vor, das bis jetzt 17 Kantone unterzeichnet haben. Trotzdem gibt es grosse kantonale Unterschiede: Je nachdem sind zum Beispiel auf der Primarstufe zwischen 1 und 7 Prozent der Schulkinder nicht in Regelklassen untergebracht.

Diese Kinder werden stattdessen separativ in Sonderschulen oder Sonderklassen beschult. Ob mehr in Klassen oder Schulen untergebracht werden, unterscheidet sich kantonal. Als Beispiel werden im Bericht die Kantone Freiburg und Neuenburg verglichen: Beide wiesen 2020/2021 einen ähnlich hohen Anteil an separativ beschulten Kindern auf. Doch befanden sich in Freiburg nur 15 Prozent davon in einer Sonderklasse, der Rest war in einer Sonderschule. In Neuenburg war über die Hälfte in einer Sonderklasse.

Vorübergehend in Sonderklassen, dauerhaft in Sonderschulen

Solche Zuteilungen sind manchmal nur vorübergehend: 42 Prozent der Primarschulkinder wurden noch während der Primarschulzeit wieder in eine Regelklasse integriert. Das trifft besonders auf jene Kinder zu, die in einer zeitlich begrenzten Einführungsklasse oder in einer Klasse für Fremdsprachige waren. Dagegen wechselten Kinder selten in eine Regelklasse, wenn sie zuvor einer Sonderschule zugeteilt worden sind. Das bedeutet laut Bildungsbericht, «dass eine Einteilung in eine Sonderschule die Bildungslaufbahn der Kinder und Jugendlichen nachhaltig prägt».

Auch kehren Kinder und Jugendliche seltener in Regelklassen zurück, je weiter sie auf ihrer Bildungslaufbahn fortgeschritten sind. Erkennbar ist das daran, dass mit dem Wechsel von der Primar- in die Sekundarstufe I auch der Anteil an Kindern und Jugendlichen in Sonderklassen und -schulen überproportional zunimmt. Häufig bleiben solche Kinder und Jugendliche dann während ihrer restlichen Schulzeit separiert.

Die Vorteile im integrativen ­Unterricht – und der mögliche Nachteil

Gemäss Bericht zeigen verschiedene Studien die Vorteile für Kinder mit besonderen Massnahmen auf, wenn sie in Regelklassen integriert sind. Zu den langfristigen Auswirkungen gebe es wenig Untersuchungen, doch Daten aus dem Kanton St. Gallen gewähren einen Einblick.

Sie zeigen, dass die integrative Förderung positive Auswirkungen auf die Leistungen in Deutsch und Mathematik in der Sekundarstufe I hat. Positive Effekte sind bis in die spätere Arbeitsmarktintegration und beim Lohnniveau beobachtbar. Insofern kann die Wirkung der integrativen Beschulung für die Kinder fast durchweg positiv gewertet werden, wie es im Bericht heisst.

Ein zu hoher Anteil integrierter Kinder kann hingegen problematisch sein, wie eine Studie letztes Jahr zeigte. Konkret kann sich das negativ auf die schulischen Leistungen der Mitschülerinnen und Mitschüler auswirken. «Der Verteilung der integrativ zu beschulenden Kinder kommt deshalb eine zentrale Bedeutung zu», heisst es im Bericht. Eine möglichst gleichmässige Verteilung mindere die möglicherweise negativen Wirkungen auf die anderen Kinder, während die Schülerinnen und Schüler mit besonderen Massnahmen profitieren.

Autor
Kevin Fischer

Datum

02.06.2023

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