ECHT ODER NICHT?

Fake News auf der Spur

Sind diese Pinguine im Zoo echt oder nicht? Ein Journalist hilft den Schülerinnen und Schüler einer Berner Oberstufe, echte von falschen Bildern zu unterscheiden und Fake News zu erkennen.

Lie Detectors
SRF-Redaktor Jonas Glatthard arbeitet ehrenamtlich, um die Medienkompetenz junger Menschen zu fördern. Fotos: Hanspeter Bärtschi

Die Schülerinnen und Schüler der 7. bis 9. Klasse im Stadtberner Lorraine-Schulhaus sind sich uneinig: Hat Burger King eine Zahnpasta mit Fleischgeschmack lanciert? Und ist Donald Trump tatsächlich in Pakistan zur Welt gekommen? Beide Informationen sind so in Artikeln im Internet nachzulesen. Doch stimmen diese auch? Oder sind sie Fake News?

Fragen wie diesen widmet sich das Projekt «Lie Detectors». Um die Medienkompetenz von Jugendlichen zu fördern, schickt es Journalistinnen und Journalisten an Schulen. Zu ihnen gehört auch Jonas Glatthard: «Der Artikel zur Burger-Zahnpasta wurde am 1. April publiziert, folglich dürfte es sich um einen Aprilscherz handeln», erklärt er den Stadtberner Jugendlichen. Komplizierter sei die Ausgangslage beim Artikel zu Trump: «Hier muss man wissen, dass dieser sich zuvor negativ über Pakistan geäussert hat und der Text nun Trump diffamieren soll», erklärt Glatthard. Was beiden Texten gemein ist: Ihr Inhalt ist erfunden, sie sind Fake News.

Politisch unabhängig und kostenlos

Zu lernen, was Fake News sind und weshalb diese verfasst werden, ist ein Lernziel des Lie-Detectors-Besuchs. Das andere Ziel: Jugendliche sollen lernen, wie vertrauenswürdige Texte entstehen und wer diese schreibt. Der Besuch soll so das Bewusstsein für Schlechtes und Gutes gleichmässig schärfen – das «Yin und Yang der Medienkompetenz», wie «Lie Detectors» es nennt.

Das Projekt existiert seit 2017. Gegründet wurde es von Juliane von Reppert-Bismarck, die zuvor selbst 20 Jahre als Journalistin tätig war. «In dieser Zeit merkte ich, wie das Vertrauen in den Journalismus stetig abnahm», sagt von Reppert-Bismarck gegenüber BILDUNG SCHWEIZ. Also lancierte sie mit den «Lie Detectors» (Lügendetektoren) ein Angebot, das Verständnis für professionellen Journalismus und einen kompetenten Umgang mit Informationen vermitteln soll.

Der 90-minütige Besuch im Klassenzimmer ist für Schulen kostenlos (siehe Infobox). Finanziert wird das politisch unabhängige Projekt von der US-amerikanischen Wyss Foundation, die vom gebürtigen Berner Hansjörg Wyss gegründet wurde.

Die Perspektive macht’s aus

Im Stadtberner Lorraine-Schulhaus haben inzwischen die Rollen gewechselt. Die Jugendlichen sind nun selbst Journalistinnen und Journalisten. Zum selbstgewählten Thema «Ohne Eltern in die Ferien» müssen sie Schlagzeilen verfassen. Die eine Hälfte der Klasse tut das für das fiktive Magazin «Daily Teenager», das sich an Jugendliche richtet. Die andere Hälfte schreibt für die «Elternpost».

Das Ergebnis: Je nach Zielpublikum setzen die Schülerinnen und Schüler ganz andere Schlagzeilen. «Das Beispiel macht deutlich, dass es unterschiedliche Perspektiven zum selben Thema gibt», sagt Jonas Glatthard. Die jungen Temporär-Journalistinnen und -Journalisten nicken. «Wichtig ist aber sowieso, dass man bei einem Text mehr als nur die Schlagzeile liest», sagt Schülerin Mina.

Pro Jahr absolvieren die «Lie Detectors» rund 1400 Klassenbesuche in sechs Ländern. Neben der Schweiz ist die Organisation auch in Deutschland, Belgien, Österreich, Polen und Luxemburg tätig. Seit dem Start in der Schweiz 2021 haben die zugehörigen Journalistinnen und Journalisten über 230 Klassen besucht.

«In den sozialen Medien sind die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Es fehlt der Journalist, der die Informationen überprüft und verarbeitet.»

Doch wozu braucht es diese Schulung in einem Land wie der Schweiz, wo die Medienfreiheit gewährleistet ist und journalistische Standards gemeinhin eingehalten werden? «Junge Menschen beziehen ihre Informationen immer öfter aus den sozialen Medien», sagt von Reppert-Bismarck. YouTube, WhatsApp, TikTok oder Twitch seien dabei die beliebtesten Plattformen. «Da ist dann egal, wie seriös die klassischen Medien arbeiten», so die Geschäftsführerin. «In den sozialen Medien sind die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Es fehlt der Journalist, der die Informationen überprüft und verarbeitet.»

Doch wie begegnet man dieser Problematik? Für von Reppert-Bismarck ist klar: «Die Jugendlichen müssen selbst die nötigen journalistischen Werkzeuge erhalten, um den Unterschied zwischen einer seriösen Nachrichtenquelle und einem Satire- oder Propagandablog zu kennen.»

Ein Anruf bei der Krankenkasse hilft

Beim Aneignen dieser journalistischen Werkzeuge sollen auch drei Arbeitsblätter helfen. Die Jugendlichen aus der Lorraine-Schule haben sie als Vorbereitung auf den Lie-Detectors-Besuch gelöst. Aufgebaut sind die Arbeitsblätter als sogenannte «News-Challenges». Dabei muss beispielsweise mittels Bild-Rückwärtssuche im Internet geprüft werden, ob ein Video mit freilaufenden Pinguinen in einem Zoo echt ist oder nicht.

«Die Jugendlichen waren beim Lösen der Challenges topmotiviert, weil das Thema sie interessierte und sie den Falschmeldungen wie Detektivinnen und Detektive nachgehen mussten», sagt Klassenlehrerin Aveline Garaio. Bei der Recherche seien ihre Schülerinnen und Schüler auch kreative Wege gegangen: «Eine Gruppe hat bei einer Krankenkassenhotline angerufen und gefragt, ob die Info aus einer Textnachricht, Knoblauch heile angeblich eine Covid-Infektion, stimme.»

Garaio schätzt das Lie-Detectors-Angebot: «Jugendliche sind heute täglich mit so vielen Informationen konfrontiert. Da ist wichtig, dass sie lernen, welchen Quellen man trauen kann und welchen nicht.»

Im Journalismus passieren Fehler

Im Klassenzimmer haben die Jugendlichen inzwischen die Möglichkeit, dem Journalisten Fragen zu seiner Arbeit zu stellen. So sollen die Jugendlichen lernen, dass auch Journalisten nicht alles wissen und im Journalismus Fehler passieren können.

Jonas Glatthard beantwortet die Fragen zu Fake News, Lohn und journalistischer Arbeitsweise mit Geduld. Er ist einer von 30 Journalistinnen und Journalisten, die für «Lie Detectors» in der Schweiz tätig sind. Sie alle stammen aus unterschiedlichen Medienhäusern in der Deutschschweiz. Glatthard beispielsweise ist bei News Digital von SRF als Redaktor angestellt. Seine Besuche absolviert er ehrenamtlich, einzig eine Aufwandentschädigung wird den ehrenamtlichen «Lügendetektoren» ausbezahlt. «Cool ist, wenn eine Klasse konkrete Beispiele hat, die wir gemeinsam auf deren Wahrheitsgehalt prüfen können», sagt Glatthard. Da könne er sein Wissen direkt vor Ort einbringen.

«Die Stärkung der Nachrichtenkompetenz von Jugendlichen ist gerade in Krisenzeiten ein wichtiges Thema»

Das europäische Lie-Detectors-Projekt in die Schweiz geholt hat der Verlegerverband Schweizer Medien. Inzwischen ist die Branchenorganisation dem Projekt als «Wissenspartnerin» verbunden. «Die Stärkung der Nachrichtenkompetenz von Jugendlichen ist gerade in Krisenzeiten ein wichtiges Thema», sagt Marianne Läderach, Leiterin des verbandseigenen Medieninstituts. Das Projekt ergänze so bestehende Angebote zum Thema Desinformation, auch die des Medieninstitutes selbst.

Im Lorraine-Schulhaus ziehen die Jugendlichen ein positives Fazit zum Besuch: «Es war toll, einen Einblick in die Arbeitsstrategien eines Journalisten zu erhalten», sagt Schülerin Samira. Und ihre Klassenkollegin Lila ergänzt: «Ich fand es spannend zu erfahren, was alles an Fake News im Internet kursiert und weshalb Menschen solche Fehlinformationen verbreiten.»

Informationen zum Projekt

«Lie Detectors» bietet Schulbesuche von Journalistinnen und Journalisten in der ganzen Deutschschweiz an. Das Angebot richtet sich an Jugendliche im Alter von 10 bis 15 Jahren. Ein Besuch dauert 90 Minuten und wird durch die Klasse mittels der erwähnten «News Challenges» vorbereitet. Aufgrund der grossen Nachfrage besteht eine Warteliste. Das Angebot ist kostenlos – wie die Seminare für Lehrpersonen, die «Lie Detectors» ebenfalls anbietet.
Mehr Informationen: www.lie-detectors.org

Autor
Mathias Streit

Datum

03.01.2023

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