Andere befürchten, Schülerinnen und Schüler lernten gar nichts mehr richtig.
Auch sie liegen falsch. Eine Kompetenz ist an konkrete Inhalte gebunden. Wenn es um das Bewältigen bestimmter Aufgaben oder Lebenssituationen geht, sind diese ja nicht beliebig. Es geht immer um konkrete Sachprobleme. Ich muss sorgfältig analysieren, um was es geht und welches Wissen und Können ich dazu benötige. Dazu gehören Grundfertigkeiten. Ohne sie ist es gar nicht möglich, bestimmte Kompetenzen zu erwerben.
Die Auseinandersetzung rief die Politik auf den Plan: Die Entscheidung, was Kinder lernten, dürfe man nicht Fachleuten überlassen. Einverstanden?
Ja. Ein Lehrplan soll im Austausch von Wissenschaft und Öffentlichkeit entstehen. Denn das Menschenbild beziehungsweise was Menschen können müssen, hängt mit Werten zusammen. Hier muss die Gesellschaft mitreden können.
Viele Lehrerinnen und Lehrer dachten sich, die Suppe wird sowieso nicht so heiss wie angerichtet gegessen.
Häufig erreicht die Wissenschaft mit ihrer Sprache auch Lehrpersonen nicht. In einem Gespräch mit einem älteren Lehrerkollegen meinte dieser nach meinen Ausführungen zur Kompetenzorientierung: Das mache ich ja schon. Ich musste ihm zustimmen. Er war einst mein Lehrer. Kompetenzorientierter Unterricht ist gar nicht so weit von dem entfernt, was eine gute Lehrperson sowieso macht. Was qualitativ guter Unterricht ist, hat sich nicht fundamental verändert.
Entscheidend ist also, was im Schulzimmer geschieht?
Einverstanden. Aber was dort geschieht, darf nicht beliebig sein. Damit möglichst viele gut und zeitgemäss unterrichten, braucht es Leitplanken. Der mittlerweile in der Deutschschweiz überall eingeführte Lehrplan 21 gibt die richtigen Anregungen. Er ist allerdings etwas überladen. Es braucht darum im Schulalltag den Mut zur Lücke und nach einer ersten Praxisphase eine sorgfältige Analyse, was zu viel ist.
«Die Gesellschaft muss bei Lehrplänen mitreden können.»
Läuft es beim Rahmenlehrplan für die Gymnasien in eine ähnliche Richtung?
Ich gehe davon aus, dass man aus den Erfahrungen mit dem Lehrplan 21 gelernt hat. Es geht um die Harmonisierung. Heute ist die gymnasiale Matura von Kanton zu Kanton unterschiedlich und damit nicht vergleichbar. Der Rahmenlehrplan soll nun greifbare, aber nicht bis ins letzte Detail reichende Vorgaben machen. Es geht um Mindestanforderungen.
Die Kantone haben aber weiterhin eigene Stundentafeln. Die Latte liegt damit künftig gleich hoch, aber die Trainingszeit variiert. Geht das auf?
Das Argument verstehe ich. Vereinheitlichen ist jedoch politisch nicht machbar.
Der Rahmenlehrplan geht bald in die Vernehmlassung. Werden die Wogen so hochgehen wie beim Lehrplan 21?
Ich bin gespannt. Im Unterschied zum Lehrplan 21 wurde der Rahmenlehrplan aber von Fachlehrpersonen mit Unterstützung von Fachleuten und nicht von der Wissenschaft entwickelt. Trotzdem gab es in einer ersten Konsultation die Kritik, der Vorschlag sei überladen.
Ihr Wunsch für die Vernehmlassung?
Dass die Gesamtsicht nicht verloren geht und man über das eigene Fach hinausschaut. Es geht um den Erwerb der allgemeinen Studierfähigkeit und einer vertieften Gesellschaftsreife mittels Vorbereitung auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft. Dazu braucht es eine breite Allgemeinbildung und nicht nur den engen Blick durch die Fachbrille. Daran soll sich die Reform orientieren.
Hohe Ziele. Gleichzeitig hat das Ansehen des Lehrberufs gelitten. Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer damit umgehen?
Ist der Sonderstatus des einstigen Dorflehrers überhaupt erstrebenswert? Ich ziehe ein realistisches Selbstbild vor, das auf einer Begegnung mit den Mitmenschen auf Augenhöhe basiert. Entscheidend sind die Bereitschaft, sich zu erklären, kritikfähig zu sein, den Blick auf die Erfolge zu richten und für sich die Freude am Unterrichten zu bewahren.