Auf Umwegen zurück an die Schule

Ein Kommunikationsprofi und Skipper wird Schulleiter

Michael Gerber liess sich einst zum Lehrer ausbilden. Über viele Stationen ist er mit 55 Jahren nun zurück an der Schule: Seit bald einem Jahr arbeitet er als Schulleiter im bernischen Signau. Das theoretische Rüstzeug holt er sich berufsbegleitend in einer Weiterbildung.

Michael Gerber steht in einem hellblauen Hemd im Gang eines Schulhauses.
Michael Gerber profitiert als Schulleiter von Erfahrungen aus anderen Anstellungen. Fotos: Marion Bernet

Mit 55 Jahren fängt das Leben an. Zumindest ein neues Berufsleben, wie die abenteuerliche Geschichte von Michael Gerber zeigt. Der gebürtige Zürcher fügte sich zunächst ganz der Familientradition – und wurde Lehrer: «Die beiden Grossmütter und ein Grossvater waren Lehrpersonen», sagt Gerber. Auch sein Vater war Lehrer. Er unterrichtete Physik und Mathematik am Staatlichen Lehrerseminar in Spiez. «Ich folgte ihm an dieselbe Schule und liess mich dort zum Primarlehrer ausbilden», so Gerber.

So typisch der Bildungsweg, so untypisch dessen weiterer Verlauf. «Ich habe es in den Praktika als äusserst anspruchsvoll empfunden, vor eine Schulklasse zu stehen und guten Unterricht zu halten. Mir war schon während meiner Zeit am Lehrerseminar klar: Der Lehrerberuf mit all seinen Ansprüchen überfordert mich», gesteht der Vater dreier erwachsener Kinder und Ehemann einer Lehrerin. Gerber unterrichtete immerhin ein Jahr Deutsch und Geschichte an der Berufsmaturitätsschule in Thun. Hinzu kamen einige Stellvertretungslektionen an der Volksschule.

Doch behagte ihm das Schreiben mehr: «Ich heuerte bereits während meiner Zeit am Lehrerseminar bei der ‹Berner Zeitung› als freier Mitarbeiter an und verfasste für das Blatt fortan wöchentlich ein bis zwei Artikel.» Die Schreibarbeit habe so grossen Spass gemacht, dass er sich noch während des Seminars entschied, Journalist zu werden. «Mit dem Lehrerdiplom in der Tasche habe ich mich sogleich für ein Studium in Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Bern eingeschrieben», sagt Gerber.

Auch heute noch verortet Gerber seine Kernkompetenz an der Schnittstelle zwischen Bildungsfragen und professioneller Kommunikation. Eine aussergewöhnliche Verknüpfung, die ihn im Sommer 2023 letztlich dazu verleitete, sich im bernischen Signau als Schulleiter zu bewerben.

Zehn Jahre im Rektorat der PH Bern

«Nach meiner Zeit bei der ‹Berner Zeitung› – und einem kurzen Abstecher in die bernische Kantonsverwaltung – wechselte ich zum Berufsverband Lehrerinnen und Lehrer Bern, heute Bildung Bern.» Danach folgten zehn Jahre als Kommunikationsspezialist im Rektorat der Pädagogischen Hochschule Bern (PH Bern), erzählt Gerber. Dort verantwortete er die Medienarbeit und die Krisenkommunikation. So habe er sich einen grossen Erfahrungsschatz in Schulfragen erarbeitet und viel über Fragen professionellen Kommunizierens nachgedacht – Erfahrungen, die ihm in seiner heutigen Rolle als Schulleiter zugutekommen.

«Ich nehme mein Gegenüber ernst und versuche auch auf dessen Ängste und Befürchtungen einzugehen.»

«Elterngespräche, die sich um den Übertritt von Kindern in die Oberstufe drehen, sind eine Herausforderung», sagt Gerber. Die Art und Weise, wie man als Lehrperson, aber auch als Schulleiter den Eltern gegenübertrete, sei von grosser Bedeutung. «Ich bemühe mich, bei jedem Gespräch möglichst offen und transparent zu kommunizieren. Ich nehme mein Gegenüber ernst und versuche, auch auf dessen Ängste und Befürchtungen einzugehen», führt Gerber weiter aus. Es gehe immer darum, gemeinsam eine passende Lösung zu finden. Alleingänge würden niemanden weiterbringen, ganz egal, wer da wem gegenübersitze. «Menschen sind nun mal keine Maschinen, die auf Knopfdruck tun, was man von ihnen verlangt.»

Sprung ins kalte Wasser

Die rundum gelungene Kommunikation gelingt auch dem Profi nicht immer wie gewünscht. Doch innerhalb des vielfältigen Anforderungsprofils eines Schulleiters gehört die Kommunikation mit Lehrpersonen, Eltern oder Kindern zu seinen Stärken. «Die administrativen Aufgaben, die eine solche Anstellung mit sich bringt, sind hingegen Neuland für mich. Es kostete zunächst viel Geduld und Energie, beispielsweise die Pensen- und Stundenplanung zu verstehen.»

Auch bearbeitet er als Schulleiter Gesuche aller Art. Etwa dann, wenn Eltern mit ihrem Kind während drei Monaten im Sommer auf eine Alp ziehen wollen. Mit solchen Spezialfällen habe er nicht gerechnet. «Sehr erfreulich ist, dass ich viel Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen, von der Schulkommission und vom Schulinspektor erfahre», sagt Gerber. Der frischgebackene Schulleiter will denn auch nichts schönreden: Der Wechsel von der Unternehmenskommunikation der PH Bern hin zum Schulleiter einer Schule im Emmental bedeutete auch für den berufserfahrenen Familienvater ein Sprung ins kalte Wasser – aber keine Überraschung: «Genau eine solche Herausforderung habe ich bewusst gesucht. Ich nehme das als Challenge und als Chance wahr, neue Erfahrungen zu sammeln und etwas zu bewirken.»

Kommt hinzu, dass er sich vom Lehrgang an der PH Bern, mit dem er eben begonnen hat, viel zusätzliches Know-how für den Berufsalltag verspricht. Anfang März startete er mit dem Studium. Nach zwei Jahren winkt den Abgängerinnen und Abgängern ein sogenanntes Diploma of Advanced Studies (DAS). «Diese Weiterbildung qualifiziert mich für die strategische und operative Führung von Bildungsinstitutionen ganz generell und für die obligatorische Schule im Besonderen», sagt er.

Im 70-Prozent-Pensum findet Gerber es herausfordernd, die Zeit dort einzusetzen, wo sie am meisten gebraucht wird.

Neu in einer Führungsposition und mit 35 Mitarbeitenden unter sich, dürstet es ihn nach Wissen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. «Vom DAS erhoffe ich mir, dass ich geeignete Instrumente erhalte und lerne, damit umzugehen. Der Austausch mit anderen Schulleiterinnen und Schulleitern ist absolut zentral.»

Alle im selben Boot

Die grösste Herausforderung sieht Gerber darin, seine mit einem 70-Prozent-Pensum beschränkten Ressourcen genau dort einzusetzen, wo sie gerade am meisten gebraucht werden. «Als Schulleiter habe ich ständig meine Fühler ausgestreckt: Welche Lehrerin, welcher Lehrer benötigt mehr Unterstützung? Welche Klassen harmonieren, wo gibt es Probleme? Werde ich den unterschiedlichen Erwartungen der Eltern gerecht?», zählt Gerber auf.

Hinzu kommt der akute Lehrpersonenmangel, der den Schulleiter vor zusätzliche Herausforderungen stellt. «Das kann zu Konflikten und Überforderung führen. Man kann es aber auch als eine Erweiterung des Horizonts betrachten, wenn wir als Schule nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene ausbilden», sagt Gerber – nicht ohne eine Prise Sarkasmus.

Eine andere Baustelle sind die meist kurzfristigen, krankheitsbedingten Abwesenheiten von Lehrpersonen. «Wenn mich sonntagabends ein Kollege anruft, der mit einer Magendarmgrippe kämpft, muss ich diese Lücke sofort stopfen. Da bin ich auf die Solidarität des Teams angewiesen», so der Schulleiter.

Ganz schön viel zu tun also. Wie schafft es Gerber, trotz alledem die Balance zu halten? «Ich entspanne mich bei Velotouren mit meiner Partnerin, im Gespräch mit meinen drei erwachsenen Kindern – und beim Gleiten über die Wellen auf dem Segelboot.» Bis zu seinem Start als Schulleiter amtete der Berner Oberländer einen Halbtag pro Woche als Segellehrer auf dem Murtensee.

Auch jetzt will er nicht gänzlich auf seine Arbeit als Ausbildner und Skipper auf dem Meer verzichten: «Früher war ich öfter professionell segeln. Heute gebe ich jährlich noch ein bis zwei Hochseekurse. Mit einer Gruppe von sechs Seglerinnen und Seglern verbringen wir eine Woche auf dem Meer, um Seemeilen und Erfahrungen zu sammeln.» Die Parallelen zur Arbeit an der Schule Signau liegen auf der Hand. Denn als Schulleiter versteht sich Gerber ebenfalls als eine Art Skipper: «Ich trage auch hier einen wesentlichen Teil der Verantwortung. Doch ans Ziel kommen wir nur gemeinsam.»

Autor
Text: Lukas Tschopp

Datum

04.06.2024