Teures Lizenzmodell

Digitale Lehrmittel lassen die Kosten steigen

Immer mehr Lehrmittel sind entweder teilweise oder komplett digital. Das bringt für jene, die damit arbeiten, Vorteile mit sich. Doch für Schulen und Gemeinden hat die Entwicklung einen Haken.

Ein Mädchen steht in der Bibliothek und konzentriert sich auf ihr Handy.
Schulkinder benutzen neben Büchern immer häufiger digitale Geräte zum Lernen. Für digitale Lehrmittel fallen Lizenzgebühren an. Foto: iStock/DaniloAndjus

In den 1990er-Jahren hatten viele Schülerinnen und Schüler noch ein Hausaufgabenbüchlein aus Papier. Aufgaben wurden auf analogen Aufgabenblättern oder in Heften gelöst. Schulbücher wurden am Ende der Primarschule für die nachfolgende Klasse zurückgegeben.

Seither hat sich einiges geändert. Laptops und Tablets haben das Klassenzimmer erobert. Der Schulstoff wird zunehmend nicht über Bücher, sondern via Bildschirm vermittelt. Die Digitalisierung hat die Schule erfasst.

Schon heute verlegen einige Lehrmittelverlage ihre Produkte komplett in den digitalen Raum.

Viele Lehrmittel kommen heute in einer Mischform aus digital und gedruckt daher, zum Beispiel mit digital ausfüllbaren Aufgabenblättern, einem gedruckten Theoriebuch und einem Kommentar für Lehrpersonen als PDF-Dokument. Doch schon heute verlegen einige Lehrmittelverlage ihre Produkte komplett in den digitalen Raum und vermutlich werden weitere folgen. Digitale Lehrmittel bieten Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern im Vergleich zu analogen auch viele Vorteile. Doch gerade Schulen und Gemeinden merken, dass sie zudem teurer sind. Wofür zahlen sie eigentlich mehr?

Flexibel und mit Korrigierhilfe

Einige der Vorteile digitaler Lehrmittel kommen in unserem Zeitalter kaum mehr überraschend: Was digital erfasst ist, kann meist auch zeitnah und ohne grösseren Aufwand bearbeitet werden. Zudem bedeutet mehr Digitales weniger Papier.

«Automatisiertes Korrigieren vereinfacht Lehrpersonen das Leben.»

Digitale Lehrmittel haben auch für die alltägliche Arbeit von Lehrpersonen praktische Vorteile, findet Thomas Minder auf Anfrage. Er ist Schulleiter in Eschlikon (TG) und Präsident des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter. «Automatisiertes Korrigieren ist nur eine Anwendung, die Lehrpersonen das Leben vereinfacht», sagt er. «Die gewonnene Zeit kann deshalb für beliebtere Arbeiten eingesetzt werden.»

Weiter können gemäss Minder künftig neue Wege beschritten werden, etwa im Bereich des individualisierten Lernens. Er illustriert dies an einem Beispiel: «Wenn Algorithmen das Leseverhalten von Kindern analysieren, indem die Bewegungen der Augen ausgewertet werden.» Auf dieser Analyse könne danach ein gezieltes Lesetraining aufbauen.

Eine Belastung fürs Budget

Allerdings kosten solche hybriden Lehrmittel wie erwähnt deutlich mehr. Das liegt nur bedingt an der technischen Ausstattung, die für den Zugriff auf die digitalisierten Inhalte notwendig ist. Denn Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler brauchen Laptops, Tablets und andere Geräte heute noch für vieles mehr als nur für die Nutzung von Lehrmitteln.

Ein anderer Faktor wiegt deutlich schwerer: Schafften Schulen oder Familien sich zum Beispiel vor 40 Jahren ein Theoriebuch an, war das für mehrere Jahre in Gebrauch. Kinder nachfolgender Schulklassen nutzten die Bücher der vorherigen. Selbst Bücher oder Hefte, in die direkt reingeschrieben wurde, enthielten oft den Stoff für zwei oder mehr Schuljahre, manchmal gar für einen gesamten Zyklus. Einmal gekauft, konnten Lehrmittel jahrelang genutzt werden.

«In meinen 17 Jahren als Schulleiter hat sich das Budget für Lehrmittel verdreifacht.»

Für digitale Lehrmittel und Hilfsmaterialien muss hingegen eine Lizenz gelöst werden, was den einzelnen Schülerinnen und Schülern nur noch so lange Zugriff gibt, wie sie ihn benötigen. Das macht sich im Schulbudget bemerkbar: «Ich bin seit 17 Jahren Schulleiter», sagt Minder dazu. «Das Budget für Lehrmittel hat sich in dieser Zeit verdreifacht. Darin sind Lizenzen für Software, die nicht eindeutig ein Lehrmittel sind, noch nicht enthalten.»

Auf Nachfrage bestätigt die Gemeinde Wohlen im Kanton Bern diese Entwicklung. Laut dem Departement Bildung und Kultur ist dies auch auf eine veränderte Preispolitik der Verlage zurückzuführen: Die Lizenzen, die früher zum Teil für mehrere Jahre gelöst werden konnten, gelten nur noch ein Jahr und sind personalisiert.

Etwas anders präsentiert sich die Situation an der Sekundarschule Looren der Gemeinde Maur (ZH), allerdings über einen weniger langen Zeitraum betrachtet. «Bei uns sind die Ausgaben in den letzten zwei bis vier Jahren plus minus gleich geblieben», sagt Schulleiter David Wirth. Lehrpersonen stehe es frei, entweder die digitale Version oder aber klassisch Bücher und Arbeitshefte zu beschaffen. Das heisst aber auch: Sie müssen sich zwischen digital oder analog entscheiden. Beides geht nicht. Das erklärt die stabile Situation bei den Kosten zumindest teilweise.

Nicht zu viel Bildschirmzeit

Trotzdem hat Minder Verständnis für die gestiegenen Preise: «Es ist klar, dass Lehrmittelverlage auch ihre Entwicklungskosten decken müssen.» Die zunehmende Digitalisierung von Lehrmitteln für Schulen und Gemeinden bedeute deshalb, dass die Budgets dafür erweitert werden müssen.

Grundsätzlich freut sich der Schulleiter aber über die neuen Möglichkeiten und Chancen, welche die digitalen Lehrmittel mit sich bringen. Wichtig ist ihm aber ausser der Diskussion über die Kosten auch ein pädagogisches Argument: «Es ist an uns Fachleuten, in den Schulen für eine Ausgewogenheit zwischen digitalen und analogen Erfahrungen bei den Schülerinnen und Schülern zu sorgen», sagt Minder. Denn trotz allem sollte man nicht ständig in den Bildschirm starren.

 

Autor
Kevin Fischer

Datum

04.06.2024

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