Ruf nach Vergleichbarkeit

Die Wirtschaft ist unzufrieden mit den Schulzeugnissen

In einem Positionspapier fordern Wirtschaftsverbände faire Selektionsprozesse und vergleichbare Beurteilungen. Sie sehen darin keinen Widerspruch zur ebenfalls notwendigen individuellen Förderung.

Ein Jugendlicher sitzt im Vorstellungsgespräch zwei Erwachsenen gegenüber.
Um vor dem Bewerbungsgespräch eine fundierte Auswahl künftiger Lehrlinge zu machen, fordern Wirtschaftsverbände eine standardisierte Beurteilung. Foto: iStock/SeventyFour

Noten oder keine Noten? Das sei die falsche Frage, finden die Wirtschaftsverbände. In einem kürzlich veröffentlichten Positions­papier bemängeln der Arbeitgeberverband und Economiesuisse die Aussagekraft von Schulzeugnissen. Die Noten seien für die Rekrutierung von Lehrlingen zu wenig aussagekräftig, schreiben die Verbände.

Mehr Vergleichbarkeit

Das Positionspapier fordert eine einheitliche Beurteilungsarbeit der Schulen: «Die Selektion muss anhand einer standardisierten und vergleichbaren Beurteilungsmethodik erfolgen.» In den Forderungen betont das Autorenteam vor allem die Bedürfnisse von Betrieben bei der Lehrlingssuche. «Betriebe sind auf der Lehrlingssuche auf aussagekräftige Beurteilungen angewiesen, um eine Erstselektion treffen zu können», sagt Nicole Meier, Mitautorin und Ressortleiterin Bildung beim Arbeitgeberverband.

Harmonisieren ist schwierig

Die Forderungen stossen bei Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, grundsätzlich auf Verständnis. «In einem Land mit 26 Bildungs- und noch mehr Beurteilungssystemen kann ich das Anliegen nachvollziehen», sagt sie. Eine Schwierigkeit sieht sie allerdings darin, eine national einheitliche Lösung zu finden: «Alle Versuche, die schulische Beurteilung über Kantonsgrenzen hinweg zu harmonisieren, sind bisher gescheitert», sagt sie mit Verweis auf das föderale Bildungs­system.

Ein weiteres Problem ist laut Rösler, dass Tests nur Momentaufnahmen wiedergeben. Sie gäben nie vollständig Auskunft über die Arbeits- und Lernentwicklung der Jugendlichen, wie dies individuelle Portfolios tun würden. «Standardisierung von Tests ist der falsche Weg», ist Rösler überzeugt.

Widersprüchliche Ideen?

Das Positionspapier wirkt in sich nicht ganz stimmig und es offenbart auch, dass Wirtschaftsverbände und Schulen unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die individuelle Förderung bezeichnen die Verbände zwar als wichtig, die Forderung nach standardisierter Beurteilung steht dazu jedoch im Widerspruch. Standardisierung beisst sich auch mit dem Integrationsauftrag der Schulen, die ohne Individualisierung nicht funktionieren kann. «Schulen werden daraufhin sensibilisiert, möglichst individuell auf das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler einzugehen», so Rösler.

Diesen Widerspruch relativiert Meier. «Standardisierte Tests sollen individuelle Portfolios ergänzen», ­ betont sie. «Es darf aber in den Betrieben nicht der Anspruch entstehen, dass standardisierte Resultate allein genügen.» Was diese nicht abbilden, müsse man im Bewerbungsverfahren aufgreifen. Ähnliches empfiehlt auch Rösler, die nicht allein Schulen in der Verantwortung sieht: «Auch die Ausbildungsbetriebe sind in der Pflicht, die Jugendlichen mit der nötigen Sorgfalt zu rekrutieren.»
 

Autor
Patricia Dickson

Datum

26.02.2024