Tandemstellen für Lehrpersonen in Ausbildung

«Die Studierenden stehen schon voll im Berufsleben»

Studierende der Pädagogischen Hochschule Thurgau können bereits während des Studiums als Klassenlehrpersonen unterrichten. Rektorin Sabina Larcher und Studiengangsleiterin Benita Affolter möchten so den Praxisschock mildern.

Sabina Larcher und Benita Affolter sitzen in einem Innenhof.
Rektorin Sabina Larcher und Studiengangsleiterin Benita Affolter sprechen darüber, wie die Pädagogische Hochschule Thurgau den Studierenden den Berufseinstieg erleichtern will. Fotos: Philipp Baer

Ein Thema, das angehende und etablierte Lehrpersonen derzeit verunsichert, ist der Umgang mit politischen Themen im Unterricht. Warum denn?

SABINA LARCHER: Es gab in verschiedenen Kantonen Anfragen und teilweise Abklärungen zur Überprüfung der politischen Neutralität der Lehrpersonen. Die Abklärungen und Diskussionen in den Parlamenten zeigten dann, dass es keine Grundlage für einen solchen Verdacht gab. Solche Anfragen und Abklärungen erzeugen ein Klima der Verunsicherung unter Lehrpersonen.

Was sagen Sie dazu?

LARCHER: Lehrpersonen haben den Auftrag und sind ausgebildet, solche Themen adäquat im Unterricht anzusprechen und zu bearbeiten. Über das Thema politische Bildung sind sie bestrebt, die Lernenden zu einem Engagement in demokratischen Gemeinschaften und Gesellschaften zu befähigen und zu motivieren. Dies geschieht durch den Erwerb von mehreren Kompetenzen und Kenntnissen.Dazu gehören vor allem Sach-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenzen. Am Anspruch und an der Umsetzung, politische Bildung als Aufgabe der Schule zu verstehen, halten Lehrpersonen deshalb klar fest. Konkret wünschen sich viele hierzu jedoch immer wieder Unterstützung.

«Lehrpersonen haben den Auftrag, politische und kontroverse Themen im Unterricht zu bearbeiten.»

Sie sind Rektorin der pädagogischen Hochschule Thurgau (PH Thurgau). Wie geht die PH mit diesem Thema um?

LARCHER: In der Politik und in der Gesellschaft gibt es viele kontroverse Themen, wie beispielsweise den Umgang mit dem Klimawandel. Hierzu werden unterschiedliche Positionen vertreten. Ziel der politischen Bildung ist es, die Schüler und Schülerinnen zum politischen Denken und Handeln zu befähigen, um ihnen eine politische Teilhabe als aktive, kritische und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Der Fokus liegt auf den Kompetenzen, die zur Autonomie im politischen Denken führen. Dies ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie. Unsere Aufgabe als Hochschule ist es, Lehrpersonen für diese Aufgaben auszubilden. Demnächst starten wir hier an der PH Thurgau ein Projekt im Bereich der politischen Bildung, an dem der gesamte Bodenseeraum teilnehmen wird. Zusammen mit allen Anrainerstaaten entstehen dabei Projekte für Schulen. Es wird spannend sein, wie die Jugendlichen aus verschiedenen Ländern diskutieren werden.

Sie beide haben über den Berufseinstieg von Lehrpersonen dissertiert. Was beschäftigt angehende Lehrerinnen und Lehrer am meisten? Und wie haben sich diese Themen in den letzten Jahren verändert?

BENITA AFFOLTER: Beim Berufseinstieg beschäftigt viele Lehrpersonen die Klassenführung. Weiter gilt es, erste Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Eltern zu machen, sich in der Komplexität des Berufsalltags und in der neuen Rolle als Lehrperson zurechtzufinden. Die Vielfalt und die Heterogenität der Gesellschaft, die sich in der Schule abbildet, stellen zudem eine Herausforderung dar. LARCHER: Eine andere Herausforderung sind die Arbeit und Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Die Ansprüche an die Schulen sind gestiegen. Das hat dazu geführt, dass wir heute zahlreiche Expertinnen und Experten haben, die an den Schulen arbeiten.

ZUR PERSON

Sabina Larcher ist seit rund zwei Jahren Rektorin der PH Thurgau. Sie hat eine Ausbildung zur Primarlehrerin sowie ein Pädagogikstudium an der Universität Zürich abgeschlossen.

Benita Affolter ist Studiengangsleiterin Primarstufe sowie Dozentin an der PH Thurgau. Sie ist ausgebildete Primarlehrerin und hat an der Universität Zürich Pädagogische Psychologie studiert.

Im Rahmen eines Studiums an der PH Thurgau können Studierende ab dem dritten Studienjahr zu zweit eine Klasse übernehmen. Wie sieht dieses Lehrtandem genau aus?

AFFOLTER: Die Grundidee der Berufsintegrierten Studienvariante BiSVa ist, dass zwei Studierende gemeinsam die Funktion als Klassenlehrperson übernehmen. «Gemeinsam» bedeutet in diesem Fall: Sie teilen sich die Verantwortung der Klasse. Sie stehen je zwei Tage alleine vor der Klasse. Einen halben Tag pro Woche unterrichten sie die Klasse im Team-Teaching. Zum Studienmodell gehört zudem, dass die angehenden Lehrerinnen und Lehrer spezifische, auf die Studienvariante zugeschnittene und interdisziplinär angelegte Module besuchen. Ein zentraler Teil dieser Module beinhaltet den begleiteten Austausch in der Peergroup an der PH, um Situationen im Klassenzimmer zu reflektieren.

Wie haben die Eltern der Schülerinnen und Schüler reagiert, die von einem Studierenden-Tandem unterrichtet werden?

LARCHER: Diese Frage hat uns im Vorfeld auch beschäftigt. Wir hatten deshalb mit verschiedenen Verbänden über das Thema gesprochen. Jetzt können wir sagen: Die Eltern akzeptieren das Modell wirklich gut. Es ist ein grosses Vertrauen da, auch seitens der Schulleitungen. AFFOLTER: Wir haben bei der Entwicklung des Modells darauf geachtet, dass für die Schülerinnen und Schüler und die Schule eine möglichst hohe Konstanz besteht. Die Eltern und die Kinder wissen immer, wer wann vor der Klasse steht.

«Die Studierenden, die beim neuen Modell mitmachen, sind von der Studienvariante sehr überzeugt.»

Wie beliebt ist das Programm bislang unter den Studierenden?

AFFOLTER: Die Resonanz auf dieses Studienmodell ist sehr gut. Die Studierenden, die bereits mitmachen, sind sehr von der Studienvariante überzeugt. Das ist unglaublich schön für uns. Es freut mich, wenn ich sehe, wie die Studierenden in ihre Rolle als Lehrperson hineinwachsen. Sie stehen nach einem Dreivierteljahr schon voll im Berufsleben und wissen, wovon sie sprechen. Erst kürzlich sprach ich mit einer Studentin, die gemeinsam mit ihrer Klasse schon einige Herausforderungen meistern musste. Diese Situationen wären auch für eine sehr erfahrene Lehrperson herausfordernd gewesen. Es war beeindruckend, wie sie trotz wenig Berufserfahrung professionell reagieren und handeln konnte. Die Studierenden schätzen an der Studienvariante, dass sie sich an der PH Thurgau fast wöchentlich in der Peergroup in der Begleitung einer Dozentin oder eines Dozenten über ihre Erfahrungen austauschen können. So gelingt es ihnen, die Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Die Studieninhalte erhalten mehr Sinn für sie. Sie können Theorien auf ihren Alltag beziehen, ihren Alltag an Theorien überprüfen. Sie lernen ihr Handeln im Unterricht zu begründen.

LARCHER: Die Studierenden gewinnen durch dieses Studienmodell an Selbstwirksamkeit. Sie merken, dass sie in einem geschützten Rahmen Ideen realisieren können und lernen, Schwierigkeiten zu bewältigen. Und mit diesen Erfahrungen gehen sie dann an weitere schwierige Situationen heran. Sie beziehen dabei Dozierende aktiv bei, wenn sie Probleme und Herausforderungen diskutieren möchten.

Je besser die Studierenden auf das Berufsleben vorbereitet sind, desto geringer dürfte der Praxisschock ausfallen. Könnte das neue Studienmodell dem Lehrpersonenmangel entgegenwirken?

LARCHER: Das Programm dürfte einen indirekten Effekt auf den Fachkräftemangel haben. Es macht die Ausbildung möglicherweise attraktiver, weil wir die beiden Lernorte Hochschule und Schule miteinander verknüpfen. Zudem können sich die Studierenden schon ein Netzwerk aufbauen. Sucht eine Schule neue Lehrpersonen, sind diese Studierenden der beste Pool dafür. Sie kennen die Schule bereits und sind im Team verankert. Ob das Studienmodell das Verbleiben im Beruf beeinflussen wird, dazu können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage machen. Grundsätzlich ist aber die Vorstellung, dass viele Lehrpersonen nach der Ausbildung nur kurze Zeit im Beruf verbleiben, ein Mythos. Das zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik sehr deutlich, ebenso eine aktuelle Studie aus dem Kanton Zürich.

AFFOLTER: Was viele möglicherweise mit einem kurzen Verbleib im Beruf verwechseln, ist die Mobilität. Junge Lehrpersonen wechseln eher die Stelle. Es kann sein, dass wir mit unserem Tandemmodell beim Berufseinstieg einen längeren Verbleib an einer Schule erzielen, vielleicht aber auch nicht. Das Modell ist noch zu jung, um Aussagen dazu machen zu können. Den Lehrpersonenmangel können wir mit unserem neuen Modell sicher nicht beheben. Wir können jedoch dazu beitragen, dass die Studierenden optimal begleitet in den Beruf einsteigen und nach der Ausbildung gefestigt alleine eine Klasse übernehmen. Oder wie schon erwähnt, dass die Ausbildung attraktiver wird. Zum einen, weil die Studienvariante eine hohe Praxisorientierung aufweist, zum anderen auch, weil den Studierenden mehr Studienvarianten zur Auswahl stehen. Das Modell ermöglicht es, nebst Studium schon eine Erwerbsmöglichkeit zu haben. Für uns ist darum sehr wichtig, mit den Volksschulen zusammenarbeiten zu können. Wir müssen unsere Ausbildung den Veränderungen an den Schulen stetig anpassen und uns an deren Bedürfnissen mitorientieren.

«Erste Evaluationsergebnisse haben gezeigt, dass die Tandems von der Schulleitung stark unterstützt werden.»

Wie werden die Studierendenbeim Unterrichten unterstützt?

AFFOLTER: Die Studierenden werden sowohl von der PH Thurgau wie auch an den Schulen unterstützt. Es steht den Studierenden an der PH eine Mentoratsperson zur Verfügung, die mehrmals im Semester den Unterricht besucht. Der Unterricht wird gemeinsam in Bezug auf die Unterrichtsqualität analysiert, reflektiert und weiterentwickelt. Die ersten Evaluationsergebnisse haben gezeigt, dass die Tandems in gut funktionierende Schulteams eingebettet sind und in der Regel von den Fach- oder Stufenteams sowie der Schulleitung stark unterstützt werden. Jedem Tandem steht zudem an den Schulen vor Ort eine Mentoratsperson zur Verfügung, die jederzeit kontaktiert werden kann. Die Mentoratspersonen arbeiten an den Schulen selbst und sind von der PH Thurgau speziell für diese Zusatzfunktion ausgebildet worden. Zudem nimmt die Tandempartnerin oder der Tandempartner in der Regel eine hohe Unterstützungsfunktion ein. Dasselbe gilt auch für die anderen Studierenden im Studiengang.

Gibt es diese Tandems nur im Kanton Thurgau?

AFFOLTER: Nach unserem Kenntnisstand gibt es diese Form der Ausbildung aktuell nur im Kanton Thurgau. Andere Pädagogische Hochschulen haben andere berufsintegrierte Studienmodelle, in denen mit einer ausgebildeten Lehrperson eine Klasse übernommen wird.

Autor
Caroline Kienberger

Datum

21.05.2024

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