«L’école, c’est moi.» Philippe Wampfler, Gymnasiallehrer, Dozent und Autor, ändert das überlieferte Zitat des französischen Sonnenkönigs Ludwig IVX. ab und wendet es auf die Schule an. Sein neues Buch trägt diesen Titel. Die Bedeutung, die der kurze Satz nun erhält, unterscheidet sich natürlich diametral von jener, die der absolutistische Herrscher im 18. Jahrhundert «L’état, c’est moi» geben wollte.
BUCHBESPRECHUNG
Begeisterter Lehrer zeichnet kühne Visionen für die Schule von übermorgen
Wie sieht eine Schule aus, in der Kinder und Jugendliche im Zentrum stehen? Philippe Wampfler zeichnet in seinem neuen Buch «L'école, c'est moi» in kühnen Zügen ein Bild von ihr. Trotz des visionären Anspruchs schafft der Autor einen Bezug zum Alltag.


Nun könnte man darin bloss eine Provokation sehen. Wer das Buch liest, erhält einen anderen Eindruck. Wampfler ist mit Begeisterung Lehrer. Er schöpft seine Energie aus dem eigenen Unterricht und dem regen Austausch mit unterschiedlichsten Leuten.
Im Kleinen beginnen
Man darf das Buch jedoch nicht als Anleitung lesen. Es ist eine Utopie, ein Ideal, das Wampfler mit groben Pinselstrichen zeichnet. Es verliert sich dennoch nicht in unerreichbaren Wunschträumen. Denn immer am Ende des Kapitels schlägt er in wenigen Punkten Dinge vor, die Schulen und Lehrpersonen sofort tun können. Zum Beispiel in Bezug auf Partizipation: «Mit ausgewählten Schülerinnen und Schülern über alle relevanten Entscheidungen der Schule sprechen und ihre Meinung anhören.» Oder: «Für Repräsentationen Losverfahren einsetzen.» Dies, weil sie eher eine faire Repräsentation ermöglichten und daher demokratischer seien. Das Buch ist also auch Ansporn, für sich etwas auszuprobieren und im Kleinen zu beginnen.
Wider das «Studenting»
In einigen Kapiteln nehmen Wünschbares und Positionsbezüge etwas stark überhand. Andere wiederum befassen sich mit bekannten Konzepten, etwa dem Churer Modell oder der Arbeit mit Lernprodukten. Dabei steht statt des Lernens auf einen standardisierten Test ein individuelles Produkt und der Weg, der zu diesem geführt hat, im Vordergrund.

Wampfler sagt dem sogenannten «Studenting» den Kampf an. Das ist die Strategie von Lernenden, mit minimalem Aufwand die erwarteten Ziele zu erreichen. Ein zentrales Problem dabei ist für den Autoren der 7-G-Unterricht, in dem «alle gleichaltrigen Schüler zum gleichen Zeitpunkt im gleichen Raum mit den gleichen Mitteln das gleiche Ziel gut erreichen» sollen. Geprägt hat den Begriff in den 1980er-Jahren Hans Weigert.
Begeisterter Lehrer
Wampfler braucht für diese Umdeutung nicht viel Platz: In der Einleitung macht er klar, was er damit meint: Im Zentrum der Schule müssen vor allem die Kinder und Jugendlichen stehen, und auch die Lehrerinnen und Lehrer. Mit dieser Perspektive holt er zu einem grossen Wurf aus und skizziert in zehn Kapiteln, was das für die Schule bedeuten könnte, ja müsste. Die auf den knapp 150 Seiten gestreiften Konzepte, die pädagogisch, raumbezogen oder digital sein können, sprengen den Rahmen der heutigen Schule.
Neue Rolle der Lehrperson
Das neue Buch ist ein Plädoyer dafür, aus dieser Vorstellung von Unterricht auszubrechen. Logisch sieht er seine Rolle als Lehrer auch anders als jene des reinen Vermittlers und Organisators. Er möchte, dass alle Beteiligten möglichst viel Sinn in ihrer Arbeit sehen.
Alle, die Lust darauf haben, erwartet ein verständlich und nicht verkopft geschriebenes, kompakt gehaltenes Buch.
Schülerinnen und Schüler sollen aus Problemstellungen grössere Zusamme hänge erkennen. Lehrende begleiten diese Entwicklung und gestalten Umgebungen, in denen Kinder und Jugendliche aktiv und fokussiert lernen können. Dazu müssten sie «agil» sein, schreibt Wampfler und lehnt sich damit an ein etwas wohlfeiles Konzept aus dem Projektmanagement an.
Buch sorgt für frischen Wind
Positiv hängen bleibt nach der Lektüre von «‹L’école, c’est moi› – Schüler:innen im Zentrum zeitgemäßen Unterrichts» die Offenheit und die Zuversicht. Wer kritisch eingestellt ist, wird das Buch als realitätsferne oder gar ideologisch gefärbte Vision empfinden. Allmachtsfantasien eines Sonnenkönigs liegen dem Autoren hingegen fern. Es geht ihm eher um Selbstermächtigung. Alle, die Lust darauf haben, erwartet ein verständlich und nicht verkopft geschriebenes, kompakt gehaltenes Buch. Es inspiriert jene, die ihren Job lieben und den Kopf gerne aus dem Alltagstrott an die frische Luft strecken.
Autor
Christoph Aebischer
Datum
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