Alessia Vogel wird sich an diesem Nachmittag mit anderen Studentinnen und Studenten den inneren Organen widmen. Nicht theoretisch, sondern praktisch. Das Sezieren von Leichen gehört zum Inhalt ihres Studiums. Seit zwei Jahren studiert die 23-Jährige aus dem aargauischen Fricktal in Freiburg Medizin und ist überzeugt, darin ihre Berufung gefunden zu haben. Dass das für sie eher unangenehme Sezieren auch zum Ausbildungsinhalt gehört, schmälert ihre Begeisterung für die Studienwahl nicht. «Ich bin in diesem Studium am richtigen Ort», sagt Alessia Vogel. Es ist ein Gefühl, das die Medizinstudentin während ihrer obligatorischen Schulzeit nicht immer hatte.
Kopf ermöglicht vieles
Trotz dichtem Studienplan und dem eher unangenehmen Ausbildungsinhalt am Nachmittag, sitzt Alessia Vogel entspannt auf dem Sofa eines Cafés. Wenig, so scheint es, kann sie aus der Ruhe bringen. Es ist eine Eigenschaft, die sie als Ärztin wird brauchen können, und es ist ein Charakterzug, der einen Teil ihrer ungewöhnlichen Bildungsbiografie erklären dürfte. Die Aargauerin wurde einst in die Realschule eingeteilt und hat später ans öffentliche Gymnasium gewechselt.
Schritt für Schritt hat sie die Stufen gewechselt – zuerst in die Sekundar-, danach in die Bezirksschule und am Ende wurde sie fürs Gymnasium empfohlen. Der Entscheid ihrer Lehrerin in der Mittelstufe, Alessia in die Realschule einzuteilen, hat aus Alessias Umfeld niemand direkt hinterfragt – ausser sie selbst. «Ich habe einen sehr starken Willen und in meinem Kopf ist stets vieles möglich», sagt Alessia Vogel. Früh schon hatte sie den Wunsch, Medizin zu studieren. Und das, obwohl ihr einige Gleichaltrige gesagt hätten, dass sie das als Realschülerin niemals schaffen werde.
«Mein Lehrer an der Realschule war sicher ein Glücksfall.»
Heute ist für sie klar: «Die Realschule ist kein Fallbeil, auch wenn das viele denken.» Nebst ihrer ausgeprägten Willensstärke, ihre Träume zu verfolgen, sorgten noch andere Gründe dafür, dass Alessia ihren ungewöhnlichen Weg von der Realschule ans Gymnasium gehen konnte: «Mein Lehrer an der Realschule war sicher ein Glücksfall. Er verstand es, Jugendliche mit den unterschiedlichsten Hintergründen zu begleiten und zu fördern. Er hat das pädagogische Handwerk wirklich verstanden.»
Heute sind Kommaregeln unwichtig
Ein Zuckerschlecken war der Niveauwechsel allerdings nicht: «Gerade das erste Bezirksschuljahr war enorm anstrengend. Vor allem in Deutsch fehlten mir die Grundlagen in der Grammatik. Im ersten Test schrieb ich deshalb eine 2,5. Alle waren schockiert. Nur ich nicht. Ich wusste, dass ich aufgrund meiner Vorgeschichte nicht überall gut sein kann», erinnert sich Vogel. Heute spielen die damaligen Noten ohnehin keine Rolle mehr. «Ob ich die Kommaregeln korrekt anwenden kann, interessiert niemanden.» Schon gar nicht an der Aufnahmeprüfung fürs Medizinstudium, dem Numerus Clausus. Diesen hat Alessia Vogel zwei Mal absolviert. Über die Hälfte der Prüflinge fällt bei diesem Test durch. Überprüft werden in erster Linie das logische Denken sowie Ausdauer und Belastbarkeit. «Ich habe meine Chancen sehr realistisch eingeschätzt und wusste um die hohe Hürde. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, den Numerus Clausus maximal drei Mal zu versuchen», sagt Vogel. Beim zweiten Mal hat es geklappt. Nach dem ersten Mal aufzugeben, das wäre für Alessia Vogel nicht infrage gekommen.

