Bildungsbericht 2023

Wie sich der Zeitpunkt der Einschulung auf die Leistung auswirkt

Verspätete Einschulungen oder der Zeitpunkt des Geburtstags können dazu führen, dass einige Kinder einer Klasse Monate älter sind als die anderen. Der Altersunterschied kann sich auf die schulischen Leistungen auswirken.

Eine Schülerin streckt mit dem Stift in der Hand auf.
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit dem Eintrittsalter ist, wie alt eine Schülerin oder ein Schüler im Vergleich zu den Kindern in der Klasse ist. Foto: iStock/Putzodiac

Klaus wird am 30. März vier Jahre alt. Er soll im Sommer in Nesslau (Kanton St. Gallen) eingeschult werden. In der Klasse wäre er einer der jüngeren Schüler. Seine Eltern sind unsicher, ob sie ihn ein Jahr später einschulen sollen. Sie wollen auf jeden Fall vermeiden, dass er durch sein Alter benachteiligt ist. Solche Überlegungen machen sich viele Familien vor der Einschulung ihrer Kinder.

Kantonale Unterschiede beim Einschulungsalter

Im Schuljahr 2021/22 sind die kantonalen Vorgaben zur Einschulung und den ersten beiden Jahren der Primarstufe (Kindergartenjahre) nicht in allen Kantonen identisch. Es gibt einerseits Unterschiede in der Organisation der Kindergartenjahre: Die meisten Kantone haben die Kindergartenjahre in die obligatorische Schulpflicht eingebunden. In acht Kantonen ist der Besuch von nur einem Jahr Kindergarten obligatorisch.

Andererseits gibt es Unterschiede bei den Stichtagen: Insgesamt 20 Kantone, darunter der Kanton St. Gallen, haben den Stichtag 31. Juli eingeführt. In sechs Kantonen gibt es weiterhin unterschiedliche Stichtage. Dies führt dazu, dass biologisch gleich alte Kinder je nach Kanton regulär ein Jahr früher oder später eingeschult werden.

Grafik: Einschulungsalter und verspätete Einschulung, 2020/21

DIE AUSREISSER LUZERN, OBWALDEN UND URI:
In der Grafik oben scheinen die Kantone Luzern, Obwalden und Uri den grössten Anteil an verspäteten Einschulungen zu haben. Das liegt aber daran, dass in diesen Kantonen nur ein Jahr Kindergarten obligatorisch ist. Berücksichtigt man diese strukturelle Vorgabe, reduziert sich der tatsächliche Anteil an verspäteten Einschulungen in diesen Kantonen auf unter vier Prozent. Anzumerken ist, dass die Kinder trotz nur einjährigem Obligatorium häufig trotzdem zwei Jahre im Kindergarten bleiben. Damit zeigen sich die verspäteten Einschulungen erst beim Eintritt in die Primarschule.

 

Nebst den regulären Einschulungen gibt es auch die Möglichkeit, Kinder ein Jahr später einzuschulen. In praktisch allen Kantonen können die Eltern mit einer Begründung einen verzögerten Eintritt beantragen. Die kantonalen Regulationen unterscheiden sich hier aber teilweise stark. Die Grafik zeigt, dass vor allem diese kantonalen Unterschiede sowie die Dauer des obligatorischen Kindergartens einen Einfluss auf verspätete Einschulungen haben – und weniger die Stichtage. Ein Beispiel: Die Kantone Tessin und Thurgau haben den gleichen Stichtag, haben aber grosse Differenzen beim Anteil an verspäteten Einschulungen. Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und Graubünden hingegen, die jeweils einen anderen Stichtag haben, zeigen nur geringe Unterschiede.

Ältere Kinder zeigen im Vergleich bessere Leistungen

Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit dem Eintrittsalter ist die Frage, wie alt ein Kind im Vergleich zu den anderen Kindern in der Klasse ist. Verschiedenste Forschungsergebnisse zeigen, dass die jungen Kinder in Leistungstests relativ betrachtet schlechter abschneiden als ihre älteren Kameradinnen und Kameraden. Im Bildungsbericht 2023 kann dies anhand der Erhebung zur Überprüfung der Grundkompetenzen (ÜGK) am Ende der Primarstufe auch erstmals für die Schweiz nachgewiesen werden. Aufgeteilt nach Geschlecht macht sich dieser Effekt allerdings nur noch bei den Mädchen signifikant bemerkbar.

Analysen zeigen, dass dies auf die unterschiedlichen Rückstellungspraxen bei den jüngsten Knaben und Mädchen zurückzuführen ist. Die jüngsten Knaben werden aufgrund von Entwicklungsrückständen eher ein Jahr zurückgestellt. Dadurch sind in den Klassen weniger junge Knaben vorhanden, die aufgrund des relativen Altersunterschieds eine schlechtere schulische Leistung erbringen würden. Die Leistungsverteilung sowie auch die Altersverteilung bei den Knaben wird so ausgeglichener.

Im Bildungsbericht wird der relative Alterseffekt anhand der Leseleistung in der Schulsprache aufgezeigt. Ist ein Kind einen Monat älter als eine Mitschülerin oder ein Mitschüler, steigt die Wahrscheinlichkeit um 0,2 Prozentpunkte an, zu den besten Leserinnen und Lesern zu gehören. Beträgt der Altersunterschied ein Jahr, schneidet ein Kind im Vergleich zu den jüngeren Kindern mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,4 Prozentpunkten eher sehr gut ab.

Spätere Einschulung heisst auch späterer Schulaustritt

Für die eingangs eingeführten Eltern von Klaus ist nun einerseits wichtig, dass er in seiner Klasse nicht der Jüngste sein wird. Andererseits spielt es eine Rolle, ob sie ihn aufgrund von strategischen Überlegungen zurückstellen möchten oder ob tatsächlich Entwicklungsrückstände vorliegen. Wie die oben genannten Ergebnisse zeigen, scheinen in der Schweiz bei den jungen Knaben wirklich diejenigen verspätet eingeschult zu werden, die in der Entwicklung zurückliegen. Man muss aber berücksichtigen, dass diese Knaben die Schule dann auch erst ein Jahr später beenden, als es grundsätzlich möglich wäre. Es stellt sich die Frage, ob der Leistungsgewinn durch die verspätete Einschulung den verspäteten Austritt wettmacht.
 

WEITER IM NETZ
Die Angaben zu den verwendeten Daten und Hinweise auf Forschungsliteratur
sind im Bildungsbericht aufgeführt. Zum Bildungsbericht: www.skbf-csre.ch

 

Autor
Ramona Schnorf, Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung

Datum

03.04.2023

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