Start ins Schuljahr

Der Pedibus bringt Kinder sicher und umweltfreundlich zur Schule

40 Prozent der schweren Verkehrsunfälle mit Kindern ereignen sich auf dem Schulweg. Der von Eltern betriebene Pedibus schafft Abhilfe. BILDUNG SCHWEIZ ist zum Start des Schuljahres im Städtchen La Neuveville «mitgefahren».

Mutter führt Schulkinder, die sich an einem Seil festhalten.
Eine Mutter führt den Pedibus von La Neuveville mit den Kindern von Haltestelle zu Haltestelle. Fotos: Marc Renaud

Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags. Auf dem Schulhof der Primarschule La Neuveville warten bereits einige Eltern auf ihre Kinder. In einer schattigen Ecke steht ein Schild in Form eines grünen Schulbusses, der statt Räder Füsse hat. Mit grossen roten Buchstaben steht «Pédibus» darauf. Darunter hängt der Fahrplan des Busses mit den Abfahrts- und Ankunftszeiten an den verschiedenen Haltestellen. Um 11.50 Uhr «fährt» der Pedibus von der Schule los.

Idee des «walking bus» stammt aus Australien

Der Pedibus ist ein Projekt des Verkehrsclub Schweiz (VCS) mit dem Ziel, dass Kinder vermehrt zu Fuss zur Schule gehen. Anstatt im Auto der Eltern gefahren zu werden, gehen die Kinder in Gruppen und in Begleitung eines Erwachsenen zu Fuss zur Schule. Dabei bestimmen die teilnehmenden Eltern die Route, die Haltestellen sowie den Fahrplan selbst und übernehmen abwechslungsweise die Rolle des «Chauffeurs» beziehungsweise der «Chauffeuse». Dieses Begleitkonzept richtet sich in erster Linie an Kinder im Alter von vier bis acht Jahren. Im Durchschnitt führt eine Linie sieben Kinder. Der VCS empfiehlt, dass bei grösseren Gruppen zwei Begleitpersonen die Linie führen, eine an der Spitze und eine am Ende.

Aktionswoche «walk to school»

Zwischen den Sommer- und Herbstferien finden die vom VCS organisierten Aktionswochen «walk to school» statt. Dabei sollen Kinder vom Kindergarten bis zur 6. Klasse motiviert werden, während zwei Wochen den Schulweg zu Fuss zurückzulegen und sich mit der Verkehrssicherheit auseinanderzusetzen. Der Hauptgewinn sind Rekachecks im Wert von 450 Franken. Bis zum 25. August 2023 kann man sich anmelden.

Mehr Informationen zur Aktion und Anmeldung 

Dieses Konzept hat bereits eine lange Geschichte. Im Jahr 1991 entwickelte der australische Aktivist für einen menschengerechten Verkehr, David Engwicht, die Idee des «walking bus». Schnell haben andere Länder wie Grossbritannien, die USA, Deutschland oder Frankreich die Schulwegbegleitung eingeführt. In der Schweiz tauchte das Konzept unter dem Namen Pedibus zum ersten Mal 1999 in Lausanne als Initiative einer Gruppe von Eltern auf.

Der VCS übernahm die Idee und entwickelte sie weiter. Seit dem Start des Pedibus vor 24 Jahren wurden mehr als 1500 Linien gegründet und mehr als 15'000 Kinder haben den Pedibus genutzt, um zu Fuss zur Schule zu gehen. Heute (Stand Ende 2022) gibt es 411 offizielle Pedibus-Linien mit rund 2000 Begleitpersonen und 3500 Kindern, wie der VCS auf Anfrage mitteilt.

Etwas für die Sicherheit und die Umwelt tun

In La Neuveville im Kanton Bern gibt es den Pedibus seit 2007. Pro Jahr sind zwischen sechs und zwölf Kinder der ersten und zweiten Klassen für eine Linie angemeldet. Es gibt noch weitere Linien, die ganz La Neuveville abdecken. Bei der heutigen «Fahrt» sind vier Kinder dabei. Nachdem die Schulglocken geklingelt haben, trudeln sie nacheinander bei der Haltestelle ein. Die Mutter, die heute den Pedibus begleitet, wartet schon. Ausnahmsweise ist auch eine zweite Mutter mit dabei. Rosina Sindoni ist Mitglied des Elternrats und seit zwei Jahren Koordinatorin des Pedibus.

Nach einer kurzen Begrüssung – und einer etwas längeren zwischen den Müttern und ihren Töchtern – reihen sich die Kinder auf und es wird ein Seil herumgereicht, an dem sie sich festhalten. Los geht die «Fahrt». Die Gassen, die zur Schule führen, sind eng, verwinkelt und haben keine Trottoirs. Lediglich gelbe Markierungen auf einer Seite der Strasse zeigen an, wo Fussgängerinnen und Fussgänger gehen. Jetzt um die Mittagszeit herrscht viel Verkehr. Die Kinder werden immer wieder darauf aufmerksam gemacht, die Strasse und die Autos im Blick zu haben.

«Paradoxerweise führt das Elterntaxi zu Risiken für die Kinder, die den Schulweg zu Fuss zurücklegen.»

«C’est horrible», erzählt Sindoni. Zu viele Eltern würden ihre Kinder aufgrund des Wetters, des langen Schulweges oder aus reiner Bequemlichkeit mit dem Auto zur Schule fahren. «Paradoxerweise führt dieses Verhalten zu Risiken für die Kinder, die den Schulweg zu Fuss zurücklegen», sagt Sindoni.

40 Prozent der schweren Kinderunfälle ereignen sich auf dem Schulweg. In der Schweiz sterben jedes Jahr ein bis zwei Kinder bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Schule, teilt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) auf Anfrage mit. Die BFU unterstützt das Projekt Pedibus. Die Kinder würden dadurch das sichere Verhalten im Verkehr lernen. Bis vor Kurzem hat die BFU den Begleitpersonen des Pedibus gratis eine Unfallversicherung zur Verfügung gestellt. Ab diesem Jahr wird diese vom Touring Club Schweiz (TCS) angeboten. Auch die Schule in La Neuveville begrüsst den Pedibus. Dieser leiste einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in der Umgebung der Schule, indem er den Verkehr auf den Zufahrtsstrassen zur Schule und die vielen Elterntaxis verringere, betont Schulleiterin Émilie Burkhalter.

Projekt erfährt unter Eltern grosse Zustimmung

Dank dem Einfluss auf das Verkehrsaufkommen hat der Pedibus neben der Verkehrssicherheit also auch einen umweltfreundlichen Nutzen. Zudem ist Sindoni wichtig: «Heutzutage müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um unseren ökologischen Fussabdruck zu verringern.» Zu Fuss zur Schule und zurück zu gehen, könne dazu genutzt werden, um dies kindergerecht zu thematisieren. Sie sieht im Pedibus aber noch viele weitere Vorteile. So fördere er einerseits die körperliche Aktivität sowie Gesundheit und andererseits die Selbständigkeit sowie soziale Entwicklung der Kinder.

Dementsprechend gut kommt der Pedibus bei den Eltern an. In einer Studie des VCS zur Schulmobilität und dem Pedibus von 2017 gaben 96 Prozent der Eltern an, mit dem Pedibus zufrieden zu sein. Die wenigen unzufriedenen Eltern kritisierten vor allem, dass sich keine weiteren Eltern finden liessen, um eine Linie zu gründen. Aber auch den Kindern gefällt der Pedibus. So erzählt etwa Gabrielle, dass sie es geniesse, draussen zu sein. Sarah, die Tochter von Sindoni, findet es schön, dass sie den Schulweg gemeinsam mit anderen Kindern gehen kann.

Mittlerweile ist der Pedibus an der ersten Haltestelle angekommen. Hier muss heute jedoch niemand «aussteigen». Der Bus geht weiter. Kurz danach kommt er an einem Wohnblock vorbei, wo sich nun das erste Kind von der Gruppe verabschiedet. Das Mädchen lässt das Seil los und winkt der Gruppe noch rasch zu, bevor sie ins Haus geht. Weiter geht’s, quer durchs Quartier. Auch an der zweite Haltestelle muss niemand «aussteigen» und bald ist die dritte und für heute letzte Haltestelle erreicht.

Hier wartet bereits ein Vater mit seinem Sohn auf sein anderes Kind beziehungsweise der Bruder auf sein älteres Geschwister.

«À demain!», rufen sich die Kinder zu und winken.

Der Vater begrüsst die Gruppe und wechselt ein paar Worte mit den begleitenden Müttern, während sich der kleine Bruder spasseshalber am Seil festhält und sich in den Pedibus einreiht. Dann löst sich die Gruppe auf. «À demain!», rufen sich die Kinder zu und winken.

Mehr Informationen zum Pedibus

Autor
Jacqueline Schreier

Datum

14.08.2023

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