BILDUNG SCHWEIZ: Wie wecken Sie bei den Lernenden das Interesse für Energiethemen?
AMADEUS THIEMANN: Wir arbeiten lösungsorientiert und vertrauen darauf, dass Klimawandel sonst im Unterricht vorkommt. Bei Solafrica schaffen wir Erfahrungsräume, zeigen Berufsmöglichkeiten sowie Perspektiven zur Energiewende auf. Wer an einer fingernagelgrossen Solarzelle elektrische Spannung misst und selbst Solarmodule auf dem Dach installiert, erfährt, wie einfach Solarenergie ist. Begegnungen mit Menschen, die mit Kopf, Herz und Hand im Thema sind, macht daraus eine ganzheitliche Lernerfahrung. Katastrophen-Pädagogik hingegen erzeugt Angst. Dadurch wird das Gehirn zwar aktiviert, aber nicht zum langfristigen Denken, zu kooperativem Handeln und zur kreativen Lebensplanung angeregt. Auch an Verhaltensappelle gegen Energieverschwendung glaube ich nicht. Sie widersprechen Bedürfnissen und lösen Widerstand und Schuldgefühle aus.
«Eine Lehrperson ‹ohne Werte› kann vielleicht bald durch eine künstliche Intelligenz ersetzt werden.»
Nachhaltige Energie und Klimaschutz werden auch als Aktivismus kritisiert. Was entgegnen Sie den Kritikerinnen und Kritikern?
Manche wollen eine Schule der neutralen Fakten, aber gerade der Umgang mit Meinungen, Quellen und Werten ist heute wichtig. Bezugspersonen müssen vorleben, authentisch die eigene Meinung zu formulieren und andere Meinungen zu respektieren, besonders bei emotionalen Themen. Wenn Jugendliche den Aktivismus kritisieren, den Klimawandel anzweifeln oder ihre Liebe zu fossil betriebenen Fahrzeugen ausdrücken, balanciere ich meine Position, persönlichen Respekt und die Gestaltung des Erfahrungsraums. Jede Lehrperson transportiert ihre Werte. Wichtig ist, dies bewusst und transparent zu tun, um für persönliches Wachstum ein Vorbild zu sein. Eine Lehrperson «ohne Werte» kann vielleicht bald durch eine künstliche Intelligenz ersetzt werden. Nein, im Ernst: Demokratie geht nicht ohne Aktivismus. Kritik an Aktivismus ist wichtig, wenn die Motive dahinter nicht transparent sind, zum Beispiel wenn viel Geld und wenig Freiwilligenarbeit im Spiel ist, oder wenn die Methode einer Aktion als schädlich beurteilt wird. Wir haben das Motiv, menschliches Leben auf diesem Planeten zu erhalten, und wählen die Methode von Erfahrung, Bildung und Begegnung.
Müssen Schweizer Schulen nachhaltiger werden?
Der Schulbetrieb ist nicht meine Perspektive, sondern die Schweiz in Zahlen pro Person sowie die Prozesse, die Energie umwandeln. So entsteht eine Übersicht der Grössenordnungen. Der Energiebedarf für Mobilität sinkt durch den Elektromotor auf einen Viertel, isolierte Gebäude und Wärmepumpen reduzieren den Wärmebedarf genauso. Effiziente Elektrogeräte brauchen weniger Strom. Der Restbedarf wird 2030 vor allem von Wasserstrom und von 15 Quadratmeter Solarfläche pro Person gedeckt. Weitere 15 Quadratmeter pro Person decken 2050 den Bedarf für Speicherverluste im Winter, Flugtreibstoffe, Chemie-, Metall- und Zementindustrie. In der Schweiz haben wir dafür genug Dachfläche von ungefähr 60 Quadratmeter pro Person. Diese technische Machbarkeit und die Bezahlbarkeit der Energiewende ist Information. Darauf bauen dann Visionen für persönliche Entfaltung, gesellschaftliches Zusammenleben und gesunde Natur auf.