«Digitale Lehrmittel noch wenig verbreitet» – so lautete eine Schlagzeile in der «Aargauer Zeitung» vor nicht einmal sechs Jahren. Die hohen Entwicklungskosten und die fehlende Infrastruktur bremsten die Digitalisierung, war das Fazit der Recherche. Und heute? Heute erscheinen kaum mehr neue Lehrmittel, die nur gedruckt sind. Eine Sammlung von Links oder ein Dossier mit ergänzenden Texten und Bildern, die man weiterverwenden kann – digitale Zugaben sind fast immer dabei.
Ein Beispiel dafür ist das hybride Lehrmittel St. Gallerland. Es ist vor über 50 Jahren erstmals erschienen und wird in den Ostschweizer Primarschulen in «Natur, Mensch, Gesellschaft» eingesetzt. Seit einigen Monaten liegt es gänzlich neu überarbeitet vor. Das textlastige Buch habe nicht mehr in einen modernen, kompetenzorientierten Unterricht gepasst, sagt Helene Mühlestein, Professorin an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Jetzt werden die Inhalte gedruckt und multimedial vermittelt – in Videos, Bildern, Audiodateien oder Chatbots.
«Mit einer Kombination von verschiedenen Medienformaten erreicht man Kinder besser.»
«Mit einer Kombination von verschiedenen Medienformaten erreicht man die Kinder besser», findet Kornelia Hasselbach, Projektleiterin Lehrmittelverlag St. Gallen. Zudem passe das Haptische besser zur Heimatkunde. So hat das dritte Heft «St. Gallen und seine Wirtschaft» stimmig zur St. Galler Stickerei ein Buchzeichen aus Spitze. «Digital geht das nicht.»
Digitale Medien sind kein Kassenschlager
Beides also, digital und analog: Gut fünf Jahre nach dem Bericht in der «Aargauer Zeitung» haben sich die Nebel gelichtet. Raphael Bieri ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Interkantonalen Lehrmittelzentrale (ilz), die 2018 den Bericht «Lehrmittel in einer digitalen Welt» publizierte. «Damals hat man grosse Hoffnungen in die digitalen Potenziale von Lehrmitteln gesetzt», sagt Bieri. «Heute sind sich die Fachleute einig, dass es analoge und digitale beziehungsweise hybride Medien braucht – je nach Schulstufe und Unterrichtsthema unterschiedlich ausgeprägt.»
Diese Botschaft haben die drei grossen Schweizer Lehrmittelverlage – Klett und Balmer, Schulverlag plus und Lehrmittelverlag Zürich – verinnerlicht. So meldet Klett und Balmer auf Anfrage, dass weniger als 30 Prozent der neuen Lehrmittel nur gedruckt seien und weniger als 15 Prozent bloss digital. Hybrid liegt mit über 60 Prozent vorn.
Auf die Kaufzahlen hat sich das jedoch noch nicht im gleichen Ausmass ausgewirkt. «Die Aufmerksamkeit für digitale Lehrmittel ist weit grösser als deren tatsächlicher Erwerb», sagt Patrik Wettstein, Geschäftsführer von Klett und Balmer. Dennoch dürften rein gedruckte Lehrmittel ohne digitale Erweiterungen weiter zurückgehen, der Anteil an hybriden und volldigitalen Lehrmitteln hingegen steigen.
«Am meisten gefragt sind Lehrmittel mit einem ausgewogenen Anteil an Print und Digitalem, je nach Lernziel und Kompetenz.»
Ähnliches berichtet Dirk Vaihinger, der den Lehrmittelverlag Zürich leitet: «Eine Weile lang gingen viele davon aus, dass alle Lehrmittel bald nur noch digital angeboten würden.» Heute produziere der Verlag aber alles hybrid, und das werde bis auf Weiteres so bleiben. Rein digitale Medien würden zunehmend abgelehnt. «Am meisten gefragt sind Lehrmittel mit einem ausgewogenen Anteil an Print und Digitalem, je nach Lernziel und Kompetenz.» Schreiben, Sprechen, soziales Lernen, vieles finde weiterhin in der körperlichen Welt statt.